Max Winiger ist Kommunikationsberater SW, vormals Journalist, Mitarbeiter SonntagsBlick, SonntagsZeitung, Bilanz, Weltwoche, Redaktor bei Radio DRS
In 2007 kamen gemäss einer Untersuchung des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger auf 1000 Einwohner ab 14 Jahren in der Schweiz 354 Tageszeitungsexemplare.]
Die Schweiz lag damit weltweit an dritter Stelle hinter Japan (624) und Norwegen (580). Google publiziert seit März 2011 ein gedrucktes Magazin in kleiner Auflage: Think Quarterly heisst es, ist ein Marketingsinstrument und die Printversion eines qualitativ sehr aufwändigen Webmagazins.
Im Februar dieses Jahres wurden im Rahmen einer Diplomarbeit in Deutschland 88 überwiegend junge Menschen in einer Online-Umfrage über Vor- und Nachteile von Print und Online befragt (http://juiced.de/10644/lesekomfort-haptik-und-flexibilitaet-print-hat-viele-vorteile.htm). Am häufigsten wurde der hohe Lesekomfort von gedruckten Medien genannt, gefolgt von der Haptik. An dritter Stelle der am meisten genannten Vorteile waren die Mobilität und Flexibilität. Die Teilnehmer nannten auch bei den Online-Medien die mobile Verfügbarkeit als grosses Plus. Negativ äusserten sich die Teilnehmer dieser Umfrage bei den Printmedien bezüglich mangelnder Aktualität, dem Preis und dem unhandlichen Format. Im April dieses Jahres ergab [eine Umfrage in England]( (http://www.pressgazette.co.uk/story.asp?storycode=49106), dass 88% aller Magazin-Leser nach wie vor Artikel in gedruckter Form bevorzugen. Ich bin weder Verlagsprofi, noch Zeitungskonzepter, sondern nur ein ehemaliger Journalist und heutiger Kommunikationsberater.
Und ich orientiere mich nicht an der Vergangenheit, sondern sehe die Gegenwart und die Zukunft als Chance. Es gibt aber einige Fakten, die wohl aus systemischen Gründen schon lange so sind und es wohl auch bleiben werden: die Zeitung war noch nie das schnellste Medium. Das war bis vor kurzem allein das Radio. Heute zusammen mit dem Internet. Seit Zeitungen gedruckt werden, ist eigentlich schon alles veraltet, wenn wir es lesen, weil zwischen dem Fertigstellen des Artikels und dem ersten Blättern in der Zeitung ein halber Tag liegt. Das war schon immer so.
In der Schweiz sind die meisten Zeitungen abonniert. Die Zeitung ist also bereits verkauft, bevor sie gedruckt wird. Sie muss nicht wie in anderen Ländern jeden Tag am Kiosk verkauft werden. Entsprechend ist der Abonnent bei uns Gott. Er muss zufrieden sein und darf sein Abo unter keinen Umständen künden. Daraus folgt, dass die Zeitungskonzepte es möglichst allen (Abonnenten) recht machen wollen oder müssen. Um diese Formulierung auch hier zu bemühen: wenn ein Abonnent hustet, hat der Verlag die Grippe.
Auf der Werbeseite versuchen die Verlage alles, um die Agenturen mit möglichst viel Reichweite bei der Stange zu halten. GRP’s sind das einzige Wichtige: Nettoreichweite x Durchschnittskontakte lautet die Zauberformel. Impact? Who cares. Ein Werber, der zu erklären versucht, dass eine kreative Anzeige mit Witz, Charme und Qualität mehr erreicht als 4 schlecht zusammengebastelte Inserate, wird bestenfalls belächelt.
Schlechte Journalisten gab es schon immer. Aber heute haben selbst gute Journalisten Mühe, noch etwas Gescheites in die Tasten zu hauen. Der Zeitdruck ist unmenschlich, die Quellensuche entsprechend oberflächlich und die qualitativen Ansprüche sind offensichtlich je länger je erbärmlicher. In Deutschland verdienen Journalisten teilweise kaum mehr als Harz IV-Empfänger. Wer mit Zeilenhonorar überleben will, muss jeden Monat Artikel im Umfang der Bibel schreiben. Aber im Journalismus ist es nicht anders als anderswo: Qualität ist das hauptsächliche Kriterium. Und Qualität hat ihren Preis.
Das Printmedium hat keine Zukunft, wenn das Wichtigste aufgegeben wird: die Qualität der Schreibe. Dann ist das, was in der Zeitung steht nicht besser, als was im Web von Hobbyjournalisten verfasst wird. Und weil das Web viel schneller ist, kann die Zeitung zusammenpacken. Das Printmedium hat eine Zukunft, wenn Verleger begreifen, dass eine Zeitung als Zeitung funktionieren und ihre einzigartigen Qualitäten entfalten muss während dem ein Internetauftritt einer Zeitung kein Aufwärmen der gedruckten (respektive ein Vorkochen) von Beiträgen sein kann, sondern ein anderes Medium ist. Wetter in einer Tageszeitung? Blödsinn. Online? wunderbar. Börsenberichte in der Tageszeitung? Alter Kaffee. Online: ein Paradies für Business Opportunities.
Leser von Printmedien sind Premium-Leser. Das Produkt muss entsprechend ein Premium-Produkt sein. Qualitativ, nicht quantitativ. Wenn ich heute Tageszeitungen lese, auch regionale, dann bin ich in den meisten Fällen enttäuscht: überall steht mehr oder weniger dasselbe, in vielen Fällen werden ja ganze Bereiche von grösseren Zeitungen übernommen. Der Berner Bund ist eigentlich der Zürcher Tages Anzeiger. Mit Ausnahme des Regional- und dem lokalen Bereich des Sportteils. Macht das Sinn?
In Kanada ist die Zeitungsdichte halb so gross wie in der Schweiz, in Frankreich noch geringer. Vielleicht braucht es eine Flurbereinigung bei uns. Vor allem aber braucht es ein grundlegendes Umdenken. Es braucht wieder Verleger und Chefredakteure mit Visionen und mit journalistischer Denke. Weniger Abonnenten-Sklaven, mehr Blattmacher mit Mut und Können.
Let’s hope and read.
Max Winiger