„Len – who?“ war vor einigen Jahrzehnten noch die Frage eines Kunstjournalisten gewesen. Inzwischen ist der ungewöhnlich kreative Neuseeländer Künstler Len Lye (1901–1980) in der Kunst-Fachwelt zwar etabliert, eine breite Bekanntheit hat er bis heute jedoch nie erreicht. Dabei ist er eine der ungewöhnlichsten Künstler seiner Zeit gewesen. Doch hat sein Werk erstaunlich wenig Einfluss auf die Kunstszene der Dreissiger- bis Siebzigerjahre ausgeübt und gilt bei uns effektiv zu entdecken. Eine sorgfältig, in insgesamt vier Jahren vorbereitete Ausstellung im Museum Tinguely in Basel will das ändern. Vor allem soll in dieser Ausstellung auch erstmalig in Europa Lyes plastisches Werk, das hauptsächlich aus kinetischen Skulpturen besteht, breit gewürdigt werden.
Erste farbige Werbefilme
Geboren wurde Len Lye 1901 in Christchurch, Neuseeland, das er jedoch mit 20 Jahren bereits verliess, um zuerst nach Samoa, 1926 dann nach London zu gehen, wo er zur Künstlergruppe Seven and Five Society stiess. In den 30er Jahren begann er experimentelle Farbfilme mittels einer neuen, von Bela Gaspard erfundenen Technik zu drehen, welche auf Farbzerlegungen basierte. Er schuf 1935 einen der ersten Werbefilme für die Post Office Savings Bank. Das filmische Hauptwerk der Ausstellung ist der mit Musik von Gustav Holst unterlegte Farbfilm „The Birth of the Robot“. Dabei setzte er eine roboterhaft bewegte Holzpuppe ein. Für die Vertonungen arbeitete er auch mit namhaften Jazzern zusammen wie Benny Goodman oder Fats Waller.
Lye schuf auch „direkte Filme“ mittels Kratztechnik direkt auf das Filmmaterial, eine geradezu archaisch anmutende Technik, welche er gegen Ende seines Lebens sogar wieder aufnahm. Diese mühevollen, unendliche Geduld erfordernden Detailarbeiten erinnern auch an die ersten, mit Pinsel colorierten Schwarzweiss-Filme des Bauhaus-Künstlers Laszlo Moholy-Nagy. Lee Lye hat Zeit seines Lebens, trotz seiner schöpferischen Auseinandersetzung mit vielen anderen kreativen Techniken, niemals aufgehört, neue oder sogar von ihm erfundene oder weiterentwickelte filmische oder auch fotografische Verfahren auszuloten.
Fotogramme und Doodles
Eine in Basel präsentierte eindrucksvolle Reihe stellt Porträts und auch ungegenständliche Schwarzweiss-Bilder vor, welche in den 1940er Jahren als Fotogramme entwickelt wurden. Fotogramme entstehen durch direkte Belichtung von Fotopapier ohne Kamera – so zu sehen unter anderem in Porträts von Georgia O’Keeffe oder Hans Richter. Oder auch von den sogenannten „Doodles“, spontane Bleistiftzeichnungen, welche in Richtung von „écriture automatique“ und damit in die Welt der Surrealisten weisen.
In Lyes zweidimensionalem Werk sticht vor allem das frühe Skizzenbuch „Totem und Tabu“ hervor, in dem er sich schriftlich und in farbigen Zeichnungen mit der Kunst der Aborigines, der Maoris und anderer aussereuropäischer Kulturen ausführlich auseinandersetzt. Diesem Skizzenbuch wurde – neben dem umfangreichen Ausstellungskatalog – ein eigenes, faksimiliertes Buch gewidmet.
Komponieren von Bewegung
Schwerpunkt der Basler Ausstellung aber ist das kinetische Werk, also bewegliche Skulpturen, welche einer bestimmten Abfolge unterworfen sind. Zu diesen immer von der Vertikalen beherrschten Skulpturen (schmale Stahlbänder, Schnüre, Stangen) wurde Lee Lye durch eine Beobachtung inspiriert.
Die ab 1959 meist in Stahl ausgeführten und äusserst poetischen bewegten Skulpturen waren die logische Weiterführung einer Beobachtung Lyes aus seiner Jugend. Als er einmal den Wolken dabei zusah, wie sie am Himmel von Wellington vorüberzogen, dachte Lye an John Constables Gemälde von bewegten Wolken: „Ganz plötzlich wurde mir klar – warum nicht einfach Bewegung, wenn es so was gab wie Komponieren von Musik, dann konnte es auch so etwas geben wie das Komponieren von Bewegung.“ Die Basler Ausstellung macht deutlich, was den Künstler in allen von ihm benutzten Medien umgetrieben hatte: Die Bedeutung der Bewegung in der Kunst bestehe letztlich darin, dass sie „unseren psychologischen Sinn für Freiheit weckt“.
Len Lye übergab sein Gesamtwerk kurz vor seinem Tode „zum öffentlichen Nutzen der Neuseeländer“ der von ihm selbst gegründeten Len Lye Foundation. Das Len Lye Center in New Plymouth ist das erste Museum Neuseelands, das einem einzelnen Künstler gewidmet ist. Die Ausstellung reiht sich also nicht nur in Bezug auf den Schwerpunkt von beweglichen Skulpturen, sondern auch noch museumsgeschichtlich sehr gut im Tinguely Museum Basel ein.
Len Lye – motion composer, Museum Tinguely, bis 26.1.2020