Bis in weit in die 70er Jahre war die Schule ein Hort des schweizerischen Föderalismus. Während sich in Wirtschaft und Politik die Hindernisse des Kantönligeistes immer mehr als unhaltbar erwiesen, war die Schule eine letzte Bastion der kantonalen Kulturhoheit. Damals gab es in einzelnen Kantonen noch konfessionelle Schulen, die kantonalen Seminare erteilten Lehrdiplome, die gesamtschweizerisch nicht anerkannt waren und jeder Kanton pflegte sein ganz spezielles Schulsystem. Die Primarschule dauerte vier Jahre wie in Basel, fünf oder sechs Jahre wie in der Ostschweiz.
Koordination der Bildungsinhalte
Vieles hat sich seither geändert. Die Mobilität der Bevölkerung verlangte eine Angleichung der verschiedenen Systeme. Es konnte nicht sein, dass Kinder, die zum Beispiel von Basel nach Zürich kamen in Mathematik oder Fremdsprachen kaum mehr den Anschluss fanden.
Nach den ersten notgedrungenen Anpassungen und einer Lehrpersonenbildung, welche die Diplome gesamtschweizerisch anerkennt, ist nun der Lehrplan an der Reihe. Der jetzt vorgestellte „Lehrplan 21“ soll für die Deutschschweiz eine gemeinsame Grundlage schaffen – zur Koordination der Lehrmittel und zur Harmonisierung der Ziele des Unterrichts. Und neben den hohen bildungspolitischen Zielsetzungen geht es schlicht auch um Geld: Der gemeinsame Lehrplan soll es ermöglichen, die in vielen Kantonen anstehenden Lehrplanarbeiten „kostengünstig“ anzugehen.
Betrachtet man die neuen Lehrplanvorschläge, dann ist das Ergebnis insgesamt wenig sensationell. So betonte man von Seiten der Deutschschweizer Erziehungsdirektoren, dass es nicht um eine Bildungsreform gehe. Vielmehr handelt es sich schlicht um eine Auslegeordnung der Bildungsziele und Inhalte, die pragmatisch das aufnimmt, was vielerorts schon realisiert ist. Der Lehrplan 21 unterscheidet drei Zyklen - die ersten beiden umfassen jeweils vier Jahre bis zum Ende des 2. bzw. des 6. Schuljahres, der dritte Zyklus die letzten drei Schuljahre. Im Weiteren gibt es sechs Fachbereiche, drei fächerübergreifende Themen sowie überfachliche Kompetenzen.
Übertriebene Geheimniskrämerei
Erstaunlich ist, unter welcher Geheimhaltung der Lehrplan erarbeitet wurde – wie wenn die Verantwortlichen zum vorneherein Zoff und harsche Kritik befürchteten. Doch als der neue Lehrplan letzte Woche vorgestellt wurde, erntete er vorsichtige Zustimmung – und jedenfalls nicht die scheinbar erwartete vernichtende Kritik.
Tatsächlich ist der Lehrplan 21 zu harmlos, als dass er grosse Wellen werfen könnte. Zwar gibt es einige umstrittene Positionen: So fordert die Informatik-Lobby um die Hasler Stiftung einen verstärkten Platz der Informatik im Lehrplan. Und auch die Frage welche Fremdsprachen und von welchem Alter an diese in den Schweizer Schulen gelehrt werden sollen, ist nach wie vor umstritten. Ohne Abstimmung über Englisch, Französisch und Italienisch unter den Kantonen bleibt die Harmonisierung der Lehrpläne in diesem wichtigen Bereich Makulatur. Proteste haben zudem die fächerübergreifenden Themen zur Leitidee der nachhaltigen Entwicklung hervorgerufen. Das wirke wie ein links-grünes politisches Programm. Doch es ist zu erwarten, dass das politische System der Vernehmlassungen und die unangetastete kantonale Souveränität Ecken und Kanten weiter abschleifen wird.
Ein Lehrplan für das 21. Jahrhundert
Grundsätzlich Bedenken hat vor allem die SVP, die den Volksschulunterricht immer stärker auf Akademikerquoten anstatt auf Lebenstauglichkeit ausgerichteten sieht. Verteidigt wird hier das bewährte Prinzip „Vormachen – Nachmachen – Routine“. Pikant ist, dass auch die moderne Pädagogik das traditionelle Verhältnis von Meister und Lehrling aufnimmt. Nur wird es hier auf die Aneignung von Wissen und Kompetenzen übertragen. Mit den aus der Meisterlehre abgeleiteten Formen des Lehrens und Lernens sollen die Prozesse geistiger Aneignung von theoretischen Konzepten den Lernenden besser vermittelt werden.
Wenn sich die heutige Schule dabei stärker auf geistige Prozesse als aufs rein physisches Üben und Vormachen bezieht, so ist darin keine Akademisierung zu sehen. Auch wer heute einen handwerklichen Beruf lernt, muss heute oft eine komplizierte und computergesteuerte Maschine einrichten, braucht theoretisches Hintergrundwissen und arbeitet nicht allein mit der Hand. Der Automechaniker ist längst zum Mechatroniker geworden. Gerade dies muss in einem modernen Lehrplan berücksichtigt werden. Denn der Lehrplan 21 sollte mehr sein als ein Lehrplan der 21 beteiligten Kantone. Soll er auf die Zukunft weisen, sollte die Zahl 21 dafür stehen, dass hier ein wichtiger Bestandteil der Bildung im 21. Jahrhundert geschaffen wird.