In verschiedenen Zeitungen Europas machte vergangene Woche eine seltsame Meldung die Runde und erregte Aufsehen. Da soll ein italienischer Mime, Giovanni Mongiano, in Gallarate, einer Kleinstadt Italiens, ein Einpersonenstück mit dem Titel „Improvisationen eines lesenden Schauspielers“ aufgeführt haben – vor 0 Publikum. Keine einzige Karte sei an dem Abend verkauft worden, worauf sich der Unverdrossene entschlossen habe, das Stück im leeren Saal trotzdem zu spielen. Ganz. Eine Geschichte, zu schön, um nicht erzählt zu werden. Bezeugt nur von Zeitungsschreibern, die nicht dabei waren und die sich auf Aussagen der Frau an der Kasse stützen, die durchs Schlüsselloch gelegentlich in den Saal hineingeschaut haben will.
In den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts haben bedeutende Regisseure angefangen, von der leeren Bühne zu träumen – eine Tendenz, die sich heute eher wieder ins Gegenteil verkehrt und die doch auf der Sprechbühne eindrückliche Resultate erzielt hat. Mit einem lapidaren Satz benennt der englische Regisseur Peter Brook in seiner Schrift „Der leere Raum“ die theatrale Situation: „Ein Mann geht durch den Raum, während ihm ein anderer zusieht; das ist alles, was zur Theaterhandlung notwendig ist.“ Die leere Bühne als Wunsch und als Programm – das hat seine Geschichte. Aber den anderen, der zusieht, den braucht es, damit Theater Theater wird.
In Gallarate hat einer diese Notwendigkeit negiert, hat dem Albtraum jedes Schauspielers die Stirn – oder die Stimme – geboten und im leeren Raum für niemanden gespielt. Benötigt Theater, um existieren zu können, Interaktion und Zeugenschaft? Als Denkfigur, als heimlicher Wunsch nach einer extremen Situation, als negative Utopie ist Theater ohne Publikum vorstellbar. Und denkt man an die paar Abende zurück, in denen man im Theater sass und nur noch das Ende dessen ersehnte, was einem von der Bühne herab zugemutet und angetan wurde, kann die Idee vom leeren Zuschauerraum etwas Tröstliches haben.
Für den italienischen Schauspieler Giovanni Mongiano wird – da darf man Wetten eingehen – der trotzige Einsatz positive Folgen zeitigen. Das Medienecho müsste doch die nächsten Auftritte in triumphale Events verwandeln.