Das alte, von der Militärpartei „Union der Solidarität und Entwicklung“ (USDP) beherrschte burmesische Parlament traf sich Ende Januar zu seiner letzten Sitzung. Präsident Thein Sein, als ehemaliger General seit der Öffnung vor fünf Jahren als Zivilist an der Spitze des Staates, sagte unter dem Applaus der Abgeordneten: „Obwohl es Schwierigkeiten und Hindernisse gab, ist uns der Übergang zur Demokratie gelungen“. Dies sei „ein Triumph für alle Menschen in Myanmar“.
Gemeinsam in die Zukunft
Auch der mächtige Armeechef General Min Aung Hlaing gab sich versöhnlich und versprach die Unterstützung der Militärs. Was also die meisten Kommentatoren und Experten noch vor wenige Jahren für unmöglich gehalten haben, ist Tatsache geworden: ein geordneter, friedlicher Übergang von einem halben Jahrhundert Militärdiktatur zur Demokratie oder im burmesischen Militär-Jargon zur „disziplinierten Demokratie“.
Nur drei Tage später trat das neue Parlament zusammen. Aus der Regierungspartei USDP ist plötzlich eine kleine Oppositionspartei geworden. Sie hält in den zwei Häusern des Parlaments gerade noch 41 von 657 Sitzen. Natürlich täuscht das Verhältnis, denn den Militärs stehen laut Verfassung 25 Prozent der Sitze zu, also 166. Dennoch verfügt die siegreiche Nationale Liga für Demokratie (NLD) von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi nach dem überwältigenden Wahlsieg vom November mit 390 Sitzen locker über die absolute Mehrheit.
Mithin kann die NLD auch den neuen Präsidenten wählen. Allerdings kann sie nicht die Verfassung ändern. Hier haben die Militärs mit ihren 25 Prozent Sitzen ein faktisches Vetorecht. Überdies stehen den Uniformierten laut Verfassung die drei Schlüsselministerien Inneres, Verteidigung und Grenzsicherheit zu.
Im Augenblick agiert die NLD und ihre Führung vorsichtig. Die NLD-Abgeordneten, unter ihnen 110 ehemalige politische Häftlinge, geben sich versöhnlich. Als erstes Geschäft wurde der Präsident des Unterhauses gewählt. Es ist der Jurist und ehemalige poltische Gefangene U Wint Myint. Als seinen Stellvertreter aber wählten die Abgeordneten einen Vertreter der Kachin-Minderheit, U Ti Khun Myat von der jetzt oppositionellen USDP. Den Militärs wurde von der NLD-Führung signalisiert, dass man gemeinsam in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit blicken wolle. Auch bestehe man nicht auf einer schnellen Verfassungsänderung.
Verfassungs-Artikel 59 „für die Ewigkeit“?
Das ist ein heikles Thema, weil nach dem Artikel 59 der Verfassung Aung San Suu Ky nicht als Präsidentin kandidieren kann, weil sie mit einem Ausländer verheiratet war und ihre beiden Söhne britische Pässe besitzen. Dieser Passus wurde 2008 von den Militärs in die Verfassung geschrieben. Freilich nahmen sie dabei die kurz vor der Unabhängigkeit 1947 geschriebene Verfassung zum Vorbild, deren Mitgestalter General Aung San war, der Vater von Suu Kyi. „Wenn die Militärs mit einer Verfassungsänderung einverstanden wären“, so NLD-Gewissen U Tin Oo „würde das ihr Vertrauen in unsere Nation und ihre Sympathie zum Volk zeigen“.
Der frühere General, der nach 1988 zur NLD wechselte, fügte jedoch sogleich hinzu: „Die NLD-Politik gegenüber den Militärs besteht darin, derzeit keinerlei Druck auszuüben“. So versöhnlich sich Armeechef Min Aung Hlaing auch gibt, so sehen das offenbar nicht alle Uniformierten gleich. In einer von der Armee unterstützen Zeitung hiess es anfangs Februar, dass der Verfassungs-Artikel 59 „für die Ewigkeit“ nicht verändert werden solle.
Machtanspruch der Demokratie-Ikone
Präsident Thein Sein muss bis Ende März von seinem Amt zurücktreten. Das Unter- und das Oberhaus sowie das Militär werden je einen Kandidaten bestimmen. Mit ihrer absoluten Mehrheit ist der NLD ihr Wunschkandidat gewiss. Wer kandidieren wird, ist noch unklar. U Tin Oo hat sich bereits aus dem Rennen genommen. Der jetzige Präsdent Thein Sein, lange ein möglicher Kandidat, liess verlauten, dass er den USDP-Vorsitz übernehmen werde und mithin qua Gesetz nicht mehr Staatspräsident werden kann.
Der ehemalige USDP-Unterhaus-Vorsitzende Shwe Mann aber, dem seit der Öffnung ein gutes Verhältnis zu Aung Suu Kyi bescheinigt wird, wird noch immer als möglicher Kandidat gehandelt. Viele gehen auch davon aus, dass Suu Kyis langjähriger Arzt und Vertrauter U Tin Myo Win, vorgeschlagen werden könnte. Er war einer der wenigen, der Suu Kyi während ihres langjährigen Hausarrestes regelmässig besuchen durfte.
Der 70 Jahre alten Friedensnobelpreisträgerin – respekt- und liebevoll im Lande seit langem auch „The Lady“ genannt – ist es jedoch egal, welcher NLD-Parteifreund unter ihr Präsident wird. Bereits kurz nach dem überwältigenden Wahlsieg machte sie nämlich glasklar, dass sie „über dem Präsidenten“ stehen werde, sie also die Geschicke das Landes in jedem Fall in letzter Instanz entscheiden werde wer immer auch als Präsident gewählt werde.
Auf dünnem Eis
In den letzten vier Jahren hat sich in Myanmar viel verändert. Neben Menschenrechten wie Versammlungs- und Pressefreiheit sind Wirtschaftsreformen für das einst reiche, durch 50 Jahre Diktatur aber total verarmte Land in Gang gesetzt worden. Doch die Herausforderungen sind auch jenseits der ökonomischen Probleme enorm. Noch immer sind zum Teil bewaffnete Konflikte mit nationalen Minderheiten im Gang. Auch ein Religionskonflikt zwischen der buddhistischen Mehrheit (85 Prozent) und der muslimischen Minderheit (8 Prozent), insbesondere die Verfolgung der ein Millionen Rohyngyas, schwelt weiter.
Von der NLD, nun an der Macht, erwartet das Volk viel und schnell. Bislang ist von einem durchdachten Wirtschafts- und Sozialprogramm der neuen Mehrheit noch wenig sichtbar. Aung San Suu Kyi, nun in der Realpolitik angekommen, bewegt sich auf dünnem Eis. Denn sie ist nicht mit Südafrikas Nelson Mandela zu vergleichen. Sie hat bereits die moralische Deutungshoheit als Friedensnobelpreisträgerin verloren, als sie zum Problem der verfolgten muslimischen Minderheit der Rohyngyas schwieg und danach nur ausweichend Stellung nahm.
Ihr wird auch vorgeworfen, harsch, ja autoritär aufzutreten und Kritik nur schwer zu ertragen, ja sie sei sogar kritikresistent. Nimmt man allerdings die politische Leistung der Tochter von Staatengründer General Aung San seit ihrer Freilassung vom Hausarrest 2010 zum Massstab – zumal ihr konzilianter Umgang mit ihren ehemaligen Peinigern vom Militär – wäre sie gewiss in der Lage, die delikaten und schwierigen Herausforderungen zu meistern. Die Nagelprobe wird die Präsidentenwahl bis Ende März sowie die kurze Zeit danach sein.