Seit mehr als dreissig Jahren wird in verschiedenen Ländern Lateinamerikas unter je verschiedenen Namen, mal öffentlich, mal verdeckt, ein veritabler Krieg geführt. Der „war against drugs“, wie ihn Bush senior zu Beginn seiner Präsidentschaft deklariert und wie er von all seinen Nachfolgern an der Spitze der USA weiter betrieben wurde.
Das Seltsame an diesem Krieg: Er wurde in dem Land erklärt, das mit Abstand über die meisten Drogenkonsumenten verfügt und demnach hauptverantwortlich für die nie nachlassende Nachfrage auf dem Markt ist. Aber er sollte ausserhalb der US-Staatsgrenzen stattfinden, im ehemaligen „Hinterhof“, in denjenigen Ländern Lateinamerikas, die für das Angebot stehen, die also Koka anbauen und Kokain produzieren (in Kolumbien auch Heroin), in Bolivien, Peru und Kolumbien.
Weil wir ja nicht mehr in kolonialen Zeiten leben, was sogar einem grossen Teil der US-Diplomatie bewusst geworden ist, konnten Bush senior und seine Nachfolger den ins Visier genommenen Lateinamerikanern den Krieg nur verordnen, wenn sie ihn auch versüssten. Mit sehr viel Geld, das unter Titeln wie Wirtschaftshilfe oder Entwicklungshilfe gezahlt, in Wirklichkeit aber für den Antidrogenkrieg ausgegeben werden sollte – was die US-Regierung alljährlich kontrollierte, „zertifizierte“, wie sie das bezeichnete.
Die Schlachtfelder
Der Krieg hat weder in Bolivien, noch in Peru, noch in Kolumbien die erhofften Resultate gebracht. Er hat sein Gesicht immer wieder verändert. In Bolivien gab es um das Anbaugebiet im Chaparé erbitterte Kämpfe, gelegentlich mit Militäreinsatz – bis ein ehemaliger Koka-Bauer, Evo Morales, zum Präsidenten gewählt wurde, der darauf hinarbeitet, die Droge zu entkriminalisieren. „Coca si cocaina no“ heisst sein griffiges Motto, das in dieser Absolutheit natürlich nicht funktioniert, aber immerhin eine Richtung weist. Sein kürzlich gewählter peruanischer Kollege, Ollanta Humala, hatte schon im Wahlkampf von Koka als dem „heiligen Blatt der Inka“ geredet. Inzwischen liess er das Kokafelder-Vernichtungsprogramm, das seine Vorgänger mit den USA ausgehandelt hatten, für erste aussetzen und will neue Verhandlungen.
In Kolumbien, das weitaus am meisten Kokain produziert - und dementsprechend weitaus am meisten US-Dollars kassiert – war der war against drugs schon immer auf verworrene Art in die anderen (Bürger)kriege eingeflochten: Polizei, Militär, Paramilitär und Guerilla profitierten vom Drogenhandel – und ein Teil der politischen Klasse ebenfalls. Am erschreckendsten und am blutigsten zeigt sich der Krieg heute in Mexiko, wo er seit dem Jahr 2006 über 50 000 Tote gefordert haben soll. In Mexiko führt der noch für kurze Zeit amtierende Präsident Felipe Calderón den verordneten Krieg geradezu messianisch. Man sieht, mit welchem Erfolg.
Wachsende Einsicht
Inzwischen wächst, in Europa, in Lateinamerika und sogar in den USA die Einsicht, dass mit Repression allein, mit Kriegsmassnahmen das Drogenproblem nicht zu lösen ist. Die Rufe nach einem Umdenken werden lauter, die Vorschläge für andere Strategien konkreter, die Lobbys, die sich dafür einsetzen, mächtiger. Im Januar 2011 gründete ein hochkarätig besetztes Gremium aus ehemaligen Staatspräsidenten, Unternehmern, Kulturkoriphäen in Genf die global comission on drug policy. Das Gremium, zu dem auch Kofi Annan gehört, erklärt den Drogenkrieg als gescheitert und fordert einen Strategiewechsel. Politische Initiativen und finanzielle Mittel sollen statt in Repression in soziale und ökonomische Alternativprogramme investiert werden. Und in medizinische Hilfe. Natürlich wird auch die Entkriminalisierung empfohlen.
Am Amerika-Gipfel in Cartagena brachte ausgerechnet ein konservativer Hardliner und Ex-General, der neue Präsident von Guatemala, Otto Perez, den Vorschlag zur Entkriminalisierung von Drogen auf die Traktandenliste. Und fand, unter anderen, erstaunlicherweise beim bisherigen Befürworter des „heiligen Kriegs“, Felipe Calderón aus Mexiko und beim Gastgeber aus Kolumbien, Juan Manuel Santos, Gehör.
Auf wenig Gegenliebe stiessen solche Vorschläge bei Barack Obama. Der US-Präsident befand sich aber in Cartagena sowieso von Anfang an auf verlorenem Posten. Die selbstbewusster gewordenen Lateinamerikaner sind nicht mehr bereit, die von den USA praktizierte Ausgrenzung Kubas mitzutragen, und haben offen gedroht, den nächsten Gipfel zu boykottieren, wenn Kuba nicht eingeladen würde. Will Obama wiedergewählt werden, kann er sich zur Zeit offen deklarierte liberale Ansichten weder in der Kuba- noch in der Drogenfrage leisten. Zugeständnisse hat er indessen während seiner Amtszeit gemacht. So haben seine Emissäre bei Besuchen auf dem Subkontinent mehrmals signalisiert, dass der Präsident willens sei, das Drogenproblem endlich auch zuhause auf der Nachfrage-Seite, bei den Konsumenten anzugehen. Und zwar ohne einen neuen Krieg anzuzetteln.