Chinas Staats-, Partei- und Militärchef Xi Jinping nutzte die Gunst der Stunde und gab sich staatsmännisch durch und durch. Das Verhältnis Schweiz–China sei beispielhaft für Kooperation zwischen Staaten im 21. Jahrhundert Es war von «innovativer strategischer Partnerschaft» die Rede. Am World Economic Forum in Davos markierte dann Xi, drei Tage vor Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump, selbstbewusst globale Führerschaft. Es sei falsch, redete Xi den führenden westlichen Kapitalisten ins Gewissen, Globalisierung für alles verantwortlich zu machen. Globalisierung müsste einfach besser gemanagt werden. In der Tat, die Globalisierung hat in den letzten Jahrzehnten weltweit zur Verbesserung der Verhältnisse gesorgt, Armutsbekämpfung eingeschlossen.
Dunkler Raum ohne Sonne
Die Ironie des WEF-Auftritts von Xi lag darin, dass ein Kommunist den Kapitalisten die Vorteile des Freihandels nahezubringen versuchte. «Protektionismus», sagte Xi schon fast poetisch, «ist dasselbe, wie wenn man sich in einen dunkeln Raum einsperrt – Wind und Regen bleiben zwar draussen, aber Licht und Sonne ebenfalls». Skeptische Unternehmer, die in China massiv investiert haben, wurden besonders hellhörig, als Xi – wohl an die Adresse der USA – sagte: «China behält seine Türen weit offen, und wir hoffen, dass andere Länder die Türen auch offen halten werden».
Das Echo in Medien und der Schweizer Oeffentlichkeit war insgesamt eher negativ. Die massiven Sicherheitsvorkehrungen der Polizei etwa wurden kritisiert, insbesondere die Festnahme von tibetischen Demonstranten an einer wohlgemerkt nicht bewilligten Demonstration. Die Meinungsfreiheit wurde dennoch nicht «mit Füssen getreten», wie es da und dort hiess. Eine bewilligte Demonstration von Tibetern verlief ruhig, allerdings nicht auf dem Bundesplatz. Dieser zentrale Ort ist zu kritischen Zeitpunkten nicht nur für tibetische Demonstranten tabu. Diese Regel gilt für alle. Der Zwischenfall beim Staatsbesuch von 1999 von Präsident Jiang Zemin war deshalb gravierend, weil tibetische Demonstranten ohne Wissen der Polizei plötzlich auf Hausdächern am Bundesplatz erschienen, ein Sicherheitsrisiko also erster Güte.
«Wie einst die Lakaien»
Das Echo der Medien war verhalten bis negativ. Zwei Zürcher Tageszeitungen zum Beispiel, die nach eigener Einschätzung dem Qualitäts-Journalismus verpflichtet sind, berichten seit Jahr und Tag mit eigenen Korrespondenten aus dem Reich der Mitte. In der Regel der Fälle meist negativ.
Von den «Machthabern in Peking» oder dem «chinesischen Regime» ist da meist die Rede. Eine ähnliche Wortwahl ist bei der Berichterstattung über, sagen wir, die USA oder Deutschland tabu. Die Wortwahl «Machthaber in Berlin» oder «amerikanisches Regime» verbietet sich nach den in Zürich geltenden Kriterien des Qualitäts-Journalismus von selbst. Beim Besuch des chinesischen Staatschefs Xi Jinping und dessen Frau Li Pengyuan konnten die kritischen redaktionellen Kommentatoren wieder einmal so richtig aus dem Vollen schöpfen. «Die Schweiz soll sich nicht bücken» hiess es über einem Kommentar, und rhetorisch wurde die Frage gestellt: «Geziemt es sich, einen solchen Herrscher zu hofieren?». Immerhin, die Analyse war dann weniger einfältig als Titel und Frage und einigermassen differenziert. Ein anderer Kommentar war kurz und vermeintlich originell mit dem Titel «Der Kotau von Bern» versehen. Mit andern Worten, die Schweiz habe sich von Xi und China gebückt, «wie einst die Lakaien, die sich vor dem Kaiser von China in den Staub warfen». Ein Kommentar jenseits von allen Fakten.
Positiv
Dennoch: Irgendetwas müssen die neuen Kaiser von China in den letzten Jahrzehnten wohl richtig gemacht haben. Hunderte von Millionen von Chinesinnen und Chinesen sind von der Armut befreit worden, die Lebenserwartung ist markant gestiegen, kaum jemand in China ist des Lesens und Schreibens unkundig, Millionen reisen ins nahe und ferne Ausland, Hunderttausende studieren in den USA, Kanada, Australien oder Europa (die Zürcher ETH und Lausanner EPFL eingeschlossen), es ist eine drei- bis vierhundert Millionen Menschen starke Mittelklasse entstanden. Die Liste liesse sich fortsetzen. Den Menschen geht es heute in China so gut wie noch nie in der dreieinhalbtausend-jährigen Geschichten.
Negativ
Natürlich gibt es auch viele negative Punkte, die zu Recht immer wieder kritisiert werden und kritisiert werden müssen. Vieles liegt bei den Menschenrechten – Versammlungs-, Rede- und Pressefreiheit inbegriffen – noch im Argen. Was in diesem Zusammenhang aber selten erwähnt wird, ist die Tatsache, dass in den letzten Jahrzehnten auch in diesem Bereich vieles verändert wurde. Der Unterschied zwischen 1986 und 2016 – der Zeitraum, in dem Ihr Korrespondent in China die Entwicklung überblicken konnte – ist wie Nacht und Tag. Bundespräsidentin Doris Leuthard hat kritische Punkte mit Staatschef Xi sehr wohl thematisiert, aber eben nicht mit dem erhobenen moralischen Zeigefinger, wie ihn die oben erwähnten Kommentatoren wohl lieber hätten. Die Schweiz führt seit über zwei Jahrzehnten mit China einen regelmässigen Menschenrechts-Dialog. Mit Respekt und im Dialog, so Bundespräsidentin Leuthard, sei der Staatsbesuch des chinesischen Präsidenten verlaufen. Auch Aussenminister Didier Burkhalter verwahrte sich gegen den Vorwurf, man habe klein beigegeben. «Wir haben», sagte Burkhalter nach den Gesprächen, «nicht gekuscht».
Alles in allem: In der sich bildenden multipolaren Welt des 21. Jahrhunderts jedenfalls ist die sino-schweizerische Kooperation – Partnerschaft in Respekt und im Dialog – gewiss ein beispielhaftes und nachahmenswertes Modell. Die Putins, Erdogans oder die Trumps dieser Welt könnten noch einiges lernen.