Es gibt Schönwettertage, da befindet sich die Stadt Konstanz fest in Thurgauer, in Zürcher, überhaupt in Deutschschweizer Hand. Autokolonnen am Durchwink-Zoll und kein freier Parkplatz mehr in der Altstadt. In den Strassen der Fussgängerzone, auf den Plätzen, am See und in den Gaststätten sind die Einkäufer unterwegs und es erhebt sich ein Gemurmel, aus dem das unentwegt wiederholte „günschtig“ herauszuhören ist.
Das mit dem Schweizeransturm dürfte sich bald ändern, schreibt ein einheimischer Journalist. Er operiert mit dem „Konzilseffekt“, den die Jubiläumsfeier zur Folge haben werde. Da sich die Organisatoren auf das Motto „Europa zu Gast“ verpflichtet hätten, gäbe es für die Schweiz keinen Platz mehr. Was die Einkaufstouristen ebenso schmerzen würde wie die Konstanzer Geschäftsinhaber. Aber so weit muss es nicht kommen. Die reden ja wieder mit uns, die Europäer. Wir können uns sicher auf eine Ausnahmeregelung einigen.
Fünf Jahre lang will Konstanz das Weltereignis, das vor 600 Jahren innerhalb seiner Stadtmauern stattgefunden hat, feiern. Jahresschwerpunkte sind gesetzt – einmal steht die Religion, ein andermal der mittelalterliche Alltag oder dann die Kunst im Mittelpunkt. Dazu kommen Ausstellungen, Theateraufführungen, Konzerte, Vorträge, Führungen durch die Stadt, Workshops, Kinderprogramme, Feste unter Mitwirkung von Rittern und Burgfräuleins etc. etc. Der Konzilseffekt, so die Warnung unseres sarkastischen Journalisten-Kollegen, wenn er denn alles und jedes erfasst, könnte die Bürgerinnen und Bürger nerven statt sie positiv zu infizieren.
Imperia regiert
Einen Konzilseffekt, einen ganz unübersehbaren, gibt es in Konstanz schon seit 20 Jahren. 1993 wurde in einer Nacht-und-Nebel-Aktion am Hafen eine neun Meter hohe Betonfigur platziert. Imperia, so heisst die Schöne, stellt ihre sehr üppigen Reize zur Schau, dreht sich alle drei Minuten ein paar Grade um ihre Achse und hat sich im Laufe der Jahre von einem leidenschaftlich diskutierten Streitobjekt zum allseits beliebten Wahrzeichen der Stadt gewandelt. Der Bildhauer Peter Lenk hat sie geschaffen, die massige Betonsatire auf das Konzil. Die Schöne trägt den Namen einer berühmten römischen Kurtisane aus der Renaissance. Honoré de Balzac hat sie in seinen „Contes drolatiques“ ans Konstanzer Konzil versetzt, wo sie nie war, und verwickelt sie in amouröse Abenteuer mit einem dicken Bischof aus Chur, einem gierigen Kardinal und einem durchtriebenen Pfaffen. Der Bildhauer legt ihr zwei armselige, verkrümmt sitzende kleine Figuren in die erhobenen Hände: König Sigismund und Papst Martin, der eine Haupttaktgeber des Konzils, der andere Hauptprofiteur.
Womit wir beim Konzil wären, dem Ereignis in Europa, das sich damals für das Zentrum des Globus hielt. Imperia steht für die 800 Prostituierten, „Hübschlerinnen“ genannt, die dem Konzil die Ehre gaben und – zu festen Preisen – den auf 70 000 geschätzten Besuchern, Kardinälen, Bischöfen, Theologen, Fürsten, Bankern, Handwerkern, Kaufleuten zu Diensten lagen.
Der deutsch-römische König Sigismund, ein talentierter Diplomat, hatte das Konzil einberufen, vordergründig, um das Schisma, unter dem die Kirche seit Ende des 14. Jahrhunderts litt, zu beenden. Zu den Aufgaben, die dem Konzil gestellt waren, gehörte in erster Linie die Wiederherstellung ihrer Einheitlichkeit, in zweiter Linie das Ausarbeiten von Reformen. In Tat und Wahrheit ging es Sigismund darum, von einem, weltweit anerkannten und respektierten Papst zum Kaiser gekrönt zu werden, was ihm auch gelang, wenn auch erst Jahrzehnte später. In den fünf Jahren, die es dauerte, erzielte das Konzil bemerkenswerte Resultate. Zwei Päpste wurden abgesetzt, ein dritter dankte von selber ab, ein vierter, der erwähnte Martin, wurde rechtens im Konklave gewählt, womit das Schisma fürs erste überwunden war.
Dass Papst und König in Konstanz den bedeutenden böhmischen Reformator Jan Hus, der arglos an den Schauplatz religiösen Weltgeschehens gereist war, verrieten und ihn, samt einem Gefolgsmann, als Ketzer vor den Stadttoren verbrennen liessen, gehört zu den mörderischen Kapiteln der Kirchengeschichte. Der Mord an Hus hat im übrigen die gegen den Katholizismus gerichteten Reformationsbestrebungen eher gestärkt und beschleunigt, denn geschwächt.
Die Akteure in der Ausstellung
Im historischen Konzilhaus am See findet bis Ende September dieses Jahres eine umfassende Landesausstellung statt. Unter dem Titel „Das Konstanzer Konzil“ wird ein vielfältiges Material zusammengetragen und in Schaukästen präsentiert, um dem Besucher Einblick in das 600 Jahre alte Geschehen zu gewähren. Die Ausstellungsmacher beschränken sich bei Texten und Beschriftungen aufs Notwendige, legen den Rahmen fest, führen ein paar Fakten und Zahlen auf, bemühen sich um geopolitische und gesellschaftliche Einordnungen – und lassen im übrigen die Exponate sprechen.
Neben dem natürlich stark vertretenen religiösen Ausstellungsgut – Textilien, Bilder, Reliquien, Reliefs und Figuren, Gebetbücher, Schnitzereien und Goldschmidarbeiten – gibt es eine Menge Gegenstände, Dokumente, Zeugnisse, die es einem ermöglichen, etwas von der Welt, vom Organismus einer Stadt im 15. Jahrhundert zu erahnen. Bilder, Zeichnungen, vor allem die reich illustrierten, in Latein oder Mittelhochdeutsch abgefassten Chroniken, vermitteln einem, in der so expressiven mittelalterlichen Aesthetik, Aspekte des Denkens, Sehens und Handelns jener Zeit. Wenn doch etwas fehlt, in der üppigen Ausstellung, dann vielleicht der Blick auf „die da unten“, auf den Alltag der arbeitenden Stadt- und Landbevölkerung – ein Blick, dem in der modernen Geschichtsschreibung, vor allem in der von Frankreich inspirierten, viel Raum und Bedeutung zuteil wird. Im Konstanzer Konzilhaus werden die weltlichen und geistlichen Akteure des Konzils gezeigt. Die im Dunklen, oft unter härtesten Bedingungen Existierenden, über die erfährt man (zu) wenig.