Unbeirrt hält Besitzer, Verleger und Chefredaktor Köppel daran fest: Hildebrand sei ein «Gauner». Zur Persönlichkeitsverletzung kommt nun auch – nach Hildebrands Klarstellung der Abläufe – praktisch die Verleumdung hinzu, weil widerlegte Vorwürfe aufrechterhalten werden. Aber es geht hier nicht nur um juristische Aspekte. Es geht darum, ob in der Schweiz Sitten wie im englischen Boulevardjournalismus Einzug halten können oder nicht. Das Skandalblatt «News of the World» wurde am 10. Juli 2011 eingestellt. Es ist Zeit, dass die «Weltwoche» diesem Beispiel folgt.
Schall und Rauch
Die «Weltwoche» beschuldigte in ihrer Ausgabe vom 5. Januar den Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank, er betreibe «Insider-Geschäfte», gegen ihn «wurde Strafanzeige erstattet», er sei ein «Sicherheitsrisiko», er «muss gehen», «belügt die Öffentlichkeit», sei «ein Währungsspekulant», habe «per Anruf» am 15. August für 400 000 Franken Dollar gekauft, schlimmer noch: «Der vielgerühmte und auffällig geschniegelte Herr Hildebrand selbst entpuppt sich als Gauner, der sich illegal Vorteile erschleicht.» Für keinen einzigen dieser massiven Anwürfe konnte die «Weltwoche» bis heute den geringsten Beleg erbringen. Ihre Breitseite vom 5. Januar beruht auf der Ausgangsbehauptung, Philipp Hildebrand selbst habe den Devisenkauf getätigt, und daraus leitet sie eine nicht enden wollende Reihe von juristischen, politischen und sonstigen Folgen und Forderungen ab. Nicht nur, aber vor allem die Prämisse muss die «Weltwoche» beweisen. Das konnte sie nicht und das kann sie auch nicht.
Kriminelle Informanten
Schlimmer noch: Als bislang einziges Dokument druckte die «Weltwoche» ein unscharfes Faksimile eines gestohlenen Bankauszugs des Privatkontos von Philipp Hildebrand ab, das, da illegal behändigt, nur von zweifelhafter Beweiskraft ist. Bei allen übrigen Behauptungen stützt sich die «Weltwoche» auf angebliche anonyme Informanten. Chefredaktor Roger Köppel reagiert nicht auf die ihm persönlich zugestellten sechs Fragen, die hier im Journal21 veröffentlicht wurden. Stattdessen sagt er im «Tages-Anzeiger»: «Ich krebse nicht zurück. Wir haben keinen Grund, von unserer Darstellung abzuweichen.» Das ist angesichts der Faktenlage und der überzeugenden Darstellung von Philipp Hildebrand nicht mehr verstockt, sondern verantwortungslos, schäbig, unbegreiflich.
Das Lügengebäude bricht zusammen
Selbst der Autor der Titelgeschichte der «Weltwoche» räumt inzwischen ein, dass er selbst mit keinem einzigen der angeblichen Informanten gesprochen hat, sondern nur mit einem «Mittelsmann». Es kristallisiert sich immer mehr heraus, dass es sich dabei um den Thurgauer Anwalt und SVP-Kantonsrat Hermann Lei handelt, der mir bestätigte, dass er in Kontakt mit einem angeblichen IT-Techniker der Bank Sarasin stand, der offenbar einige Kontounterlagen von Hildebrand gestohlen hat und sich Anfang dieses Jahres selbst anzeigte. Allerdings handelt es sich bei diesem D. T. (*) laut Handelsregisterauszug um ein Kadermitglied mit Kollektivunterschrift der Bank Sarasin. Also keineswegs um einen subalternen, kleinen Angestellten. Alle anderen von der «Weltwoche» angeführten «Informanten», «Kundenberater», «kleinen Angestellten», «Gewährsmänner» und die angebliche Hauptquelle «Deep Throat II» entspringen offenbar der blühenden Fantasie des Revolverblatts, genauso wie angebliche «mündliche und schriftliche Bestätigungen eines direkt involvierten Mitarbeiters der Bank».
Die Konsequenzen
Von hier aus gibt es nur zwei Wege in die Zukunft des Journalismus in der Schweiz. Entweder darf ein unbescholtener Amtsträger in exponierter Position folgenlos mit Jauche übergossen werden, und falls sich die Anschuldigungen als völlig haltlos erweisen, kann es der dafür verantwortliche Roger Köppel mit dem Satz bewenden lassen: «Ich habe nie ein Problem damit gehabt, einen Fehler zu korrigieren und dazu zu stehen.» Oder aber, ein dermassen gravierender Missbrauch der Macht eines Massenmediums, das sich zum willenlosen Organ der Exponenten einer politischen Partei gemacht hat, beschert ihm das gleiche Schicksal wie dem Boulevardblatt «News of the World». Die Parallele liegt auf der Hand. Dem englischen Boulevardblatt brach illegales Handeln das Genick. Angesichts der Verhältnisse bei uns sollte dem Schweizer Boulevardblatt das Verwenden von illegal erhaltenen privaten Kontoinformationen und ihre Ausschmückung mit falschen Vorwürfen das Genick brechen. Das, nachdem schon alle internen Untersuchungen im Vorfeld deren Haltlosigkeit bewiesen hatten. Bereits vor Weihnachten war, angestossen von Blochers Interventionen, der Sachverhalt abgeklärt. Die «Weltwoche» hat, nachdem der Fall auf der politischen Ebene gescheitert war, den persönlichen öffentlichen Angriff zum Jahresbeginn lanciert.
Alternativlos
Die Alternative wäre schrecklich. Denn sie würde beinhalten, dass jeder Staatsbürger, Amtsträger oder Politiker in der Schweiz damit rechnen müsste, unversehens mit kriminell erworbenen Informationen aus seinem Privatbereich, ehrenrührigen und völlig haltlosen Beschuldigungen und Verleumdungen attackiert zu werden. Und während der dadurch verursachte Image- und Reputationsschaden irreparabel bleibt, könnte sich der Angreifer mit einem «da haben wir wohl einen Fehler gemacht» aus der Affäre schleichen. Das kann niemand wollen. Umgekehrt wollen wir auch keine ungarischen Verhältnisse. Aber die Vorstellung hat doch etwas Verlockendes, dass man, weil der Besitzer, Verleger und Chefredaktor Köppel nicht die Grösse eines Rupert Murdoch hat, ihm seine «Weltwoche» einstellt. Das ist kein Eingriff in die Pressefreiheit, sondern ihre Verteidigung.
(*) Name der Redaktion bekannt.