Die britischen Unterhauswahlen enden mit einer saftigen Überraschung. Die Konservativen von Premierminister David Cameron gewinnen die absolute Mehrheit im House of Commons. Cameron bezeichnet das Ergebnis als "den süssesten Sieg meiner Karriere".
Die Parteichefs von Labour, der Liberaldemokraten und der United Kingdom Indepenence Party haben die Verantwortung für ihre Niederlage übernommen und sind zurückgetreten.
Das britische Unterhaus zählt 650 Sitze. Das abolute Mehr beträgt 326 (650 : 2 + 1). Da jedoch der Speaker nicht stimmt und die 5 Abgeordneten der nordirischen Sinn Féin das Parlament boykottieren, genügt - theoretisch - eine Mehrheit von 323 Abgeordneten.
Nach dem am Freitag um 16.45 Uhr veröffentlichten endgültigen Schlussergebnis haben die Konservativen 331 Sitze erobert.
Hätten Cameron einige wenige Sitze zur absoluten Mehrheit gefehlt, hätte er wohl schnell eine kleine Koalitionspartner gefunden. Selbst eine konservative Minderheitsregierung hätte gute Überlebenschancen gehabt. In England und Wales haben die Konservativen etwa 24 Sitze gewonnen.
Das Schlussergebnis:
- Konservative: 331 Sitze (+24)
- Labour: 232 Sitze (-26)
- Liberaldemokraten: 8 Sitze (-49)
- Scottish National Party (SNP): 56 Sitze (+50)
- Plaid Cymru (Wales): 3 Sitze (-)
- United Kingdom Independence Party (Ukip): 1 Sitze (-1)
- Green Party: 1 Sitz (-)
- andere: 19 Sitze
Labour: "Deeply sorry"
Labour erleidet vor allem in Schottland eine schmerzhafte Niederlage. Dort verliert die Partei alle Sitze zugunsten der schottischen Nationalisten.
Nach Angaben der BBC will Ed Miliband, der Labour-Führer, sofort zurücktreten. Er erklärte in einer ersten Reaktion, er übernehme die volle Verantwortung für die Niederlage und sei “deeply sorry”. Die Partei müssen mit "einem neuen Führer neu gebaut werden". Laut britischen Analysten hat der eher linke, gewerkschaftsfreundliche Kurs des Labour-Führers und sein fehlendes Charisma zum schlechten Ergebnis beigetragen.
"Grausame Bestrafung"
Ein Desaster bedeutet die Wahl für die Liberaldemokraten von Nick Clegg. Die Partei kann nur 8 ihrer bisher 56 Unterhaussitze retten. Die LibDems sind in den letzten fünf Jahren eine Koalition mit den Konservativen eingegangen. Nick Clegg war stellvertretender Premierminister. Liberaldemokraten sprechen von einer "grausamen Bestrafung" durch die Wähler.
Hätte Cameron die absolute Mehrheit verpasst, wäre eine Neuauflage der Koalition zwischen Konservativen und LibDems denkbar gewesen. Die Liberaldemokraten wären dann allerdings „zum Pudel von Cameron“ degradiert worden. Nick Clegg, der liberale Parteiführer, konnte immerhin seinen Sitz Sheffield Hallam knapp verteidigen. Bei den Liberalen scheint ein Auflösungsprozess voll im Gang zu sein. Auch Clegg kündigte seinen Rücktritt an.
"Ein-Parteien-Staat" in Schottland
Einen Erdrutschsieg feiert die Scottish National Party (SNP). Sie, die Partei von Nicola Sturgeon, verfügte bisher über sechs Sitze. Sie gewinnt jetzt 56 der 59 schottischen Sitze. Schottland ist damit faktisch zu einem "Ein-Parteien-Staat" geworden. "Das sind ja fast sowjetische Verhältnisse", witzelte ein Journalist.
Die SNP hatte im vergangenen Jahr das Referendum zur Abspaltung Schottlands von England verloren. Nicola Sturgeon erklärte immer wieder, ihr Ziel sei es, David Cameron von der Macht zu vertreiben. Dieses Ziel hat sie bei weitem verfehlt.
Nigel Farage nicht wiedergewählt
Einen schweren Rückschlag verzeichnet die United Independent Party (Ukip), die für einen Austritt Grossbritanniens aus der EU kämpft. Nigel Farage, der Führer der Ukip, ist in seinem Wahlkreis Thanet South in Kent nicht wiedergewählt worden.
Farage kündige vor der Wahl an, im Falle einer Niederlage als Parteichef zurückzutreten, was er inzwischen getan hat. Ein Rücktritt des rhetorisch brillanten und fast charisamtischen Farage wird die Partei schwer belasten. Die Ukip verfügt jetzt nur noch über einen Sitz im Parlament. Die Niederlage des lauten Farage nimmt auch der Diskussion um einen EU-Austritt Grossbritanniens etliche Brisanz.
Die Europa-Frage
Cameron befürwortet einen Verbleib des Königreichs in der Europäischen Union. Um die EU-kritischen Wähler anzuziehen hat er zunächst ein EU-Referendum für 2017 und jetzt für 2016 angekündigt. So wollte er ein Erstarken der EU-kritischen Partei United Kingdom Independence Party (Ukip) von Nigel Farage verhindern.
Laut jüngsten Meinungsumfragen will eine klare Mehrheit der Briten in der EU bleiben. Cameron will offenbar von dieser Stimmung profitieren und schon nächstes Jahr die Briten darüber entscheiden lassen. Zugleich will er Brüssel unter Druck setzen und - vor allem auch gegenüber Deutschland - einige Änderungen in der EU-Struktur erzwingen. Dies wird ihm wohl gelingen, da sich Brüssel einen Austritt Grossbritanniens nicht erlauben kann.
Die Wahlbeteiligung betrug rund 60 %. Die einzelnen Parteien erreichten folgende Stimmenanteile:
Konservative (David Cameron): 36,9 %
Labour (Ed Miliband): 30,5 %
Liberaldemokraten (Nick Clegg): 7,8 %
Scottish National Party (SNP, Nicola Sturgeon): 4,7 % *
United Kingdom Independence Party (Ukip, Nigel Farage): 12,6 %
Plaid Cymru, Wales (Leanne Wood): 1 % *
Green Party of England and Wales (Natalie Bennett): 3,8 %
(* aufs ganze Land gerechnet)
Debakel für die Meinungsforscher
Für die Meinungsforscher bedeutet das Ergebnis der jetzigen Unterhauswahl ein nicht wegzudiskutierendes Debakel. Noch am Wahltag selbst hatten die renommiertesten Institute ein Patt vorausgesagt. Die meisten Meinungsforscher hatten für Labour ein weit besseres Ergebnis errechnet.
So prophezeite etwa eine letzte am Wahltag veröffentlichte ICM-Guardian-Umfrage sowohl Labour als auch den Konservativen je 273 Sitze. Mehrere Institute waren zudem am Donnerstag sogar davon ausgegangen, dass Labour im letzten Moment die Konservativen knapp überholen könnte.
Die "Lord Ashcroft poll" prophezeite am Donnerstag für beide grossen Parteien je 33 Prozent der Stimmen.
Das Institut Ipsos Mori meldet am Mittag des Wahltags, dass ihre letzte Umfrage folgendes Bild ergibt: Konservative 36 Prozent, Labour 35 Prozent.
Alle Institute waren sich einig, dass Labour in den letzten Tagen und Stunden kontinuierlich Stimmen gewonnen hat.
Es kam anders.
(journal21.ch)