Es geht um Wesentliches für die Nation. Um mehr Hygiene etwa, vor allem um Epidemie-Prävention. Die Vogelgrippe hat ihren Ursprung in China, genauso gut wie damals im 14. Jahrhundert die für die Welt verheerende Pestepidemie. Kein Wunder deshalb, dass die seit zwei Jahren sich ausbreitende Toiletten-Revolution zur Chefsache erklärt wurde. Premierminister Li Keqiang warnte 2015 die über 1,3 Milliarden Chinesinnen und Chinesen vor den Folgen unzulänglicher Sauberkeit und Hygiene. Der Direktor des Nationalen Tourismus-Amtes, Lin Jinzao, verordnete deshalb den Bau von 33‘500 neuen Toiletten sowie den Umbau und die Renovierung von 25‘000 bestehenden Toiletten bis Ende 2017. Allein im laufenden Jahr hat die Toiletten-Revolution landesweit satte zehn Milliarden Yuan – umgerechnet 1,3 Mrd Franken – verschlungen.
Drei Sterne – mindestens
Das Ziel ist nach neuesten Berichten vom Mai bereits bei weitem übertroffen. Zudem erreichten die revolutionären Toiletten alle mindestens den 3-Sterne-Standard. Die besten Einrichtungen werden in China mit fünf Sternen ausgezeichnet. Es ist wohl keine Überraschung, dass sich eine dieser noblen Stellen der Notdurft in der Grossen Halle des Volkes, wo das Parlament tagt, befindet. Eine andere ist in der Verbotenen Stadt unweit der Halle der Harmonie platziert. Ausgerechnet.
Harmonie
Doch nicht alles ist Harmonie in der laufenden Toiletten-Revolution. Wie die amtliche Nachrichten-Agentur Xinhua (Neues China) in einem Bericht feststellt, sind jene, die der Revolution Abbruch tun, öffentlich an den Pranger gestellt worden. Dazu gehören etwa der Xixia-Dinosaurier-Park in der Povinz Henan oder das Qinghai-See-Tourismus-Gebiet sowie weitere Regionen in den Provinzen Guangdong (Katnon), Gansu und Jiangsu. Die dort Verantwortlichen erhielten eine «strenge Warnung». In den neuen und renovierten Aborten wiederum kämpfen die Behörden mit ganz neuen Problemen. Zwar konnte die Hygiene merklich gesteigert werden, doch WC-Papierdiebe machten den Hygienegewinn oft gleich wieder zunichte.
«Drei Fliegen pro Kubikmeter»
Bereits jetzt kann wohl die Toiletten-Revolution insgesamt als erfolgreich bezeichnet werden. Ein mindestens dem 3-Stern-Standard («nicht mehr als drei Fliegen pro Kubikmeter») verpflichtetes engmaschiges Toilettennetz überzieht die Grossstädte. Natürlich gibt es immer noch die besonders im Sommer hundert Meter im Gegenwind riechenden Gemeinschaftsklos, ohne Privatheit, Spülung und dergleichen. (Die journalistisch präzise Beschreibung s. journal21.ch, 21.März 2016).
Erleichterung
Mittlerweile hat sich auch die Staats- und Privatwirtschaft der Toiletten-Revolution angeschlossen. Das Business-Modell ist verblüffend einfach. «Die Toiletten sind kostenlos für Touristen und Anwohner», sagt Yang Jianguo, Geschäftsführet der Immobilienfirma «China Everbright». «Gewinn ziehen», so Yang, «können wir aber aus dem Verkauf von Taschentüchern, Snacks und Getränken in den Servicezentren.» «China Everbright» ist erfolgreich mit mehreren Provinzregierungen im Geschäft. Eine weitere Geschäftsmöglichkeit: gesponserte WC. Erleichterung in einer zum Beispiel von der Hausbank gesponserten Toilette zu finden, ist wahrlich ein besondere Erleichterung ...
Javel
Nun ist die jetzige Toiletten-Revolution beileibe nicht die erste ihrer Art im Reich der Mitte. Bereits Mitte der achtziger Jahre wurde die erste Revolution ausgerufen. Ihr Korrespondent beschrieb 1986 einen Toiletten-Sauberkeits-Wettbewerb in Peking. Als Sieger ging eine normalerweise schwer riechende Gemeinschafts-Toilette in der Nähe der Goldfischgasse hervor. Der Trick war einfach, für die Juroren indes überzeugend. Die Lokalitäten wurden eine Woche vor Bewertung geschlossen, geputzt. Eine Stunde vor Eintreffen der Juroren wurde flächendeckend Javel-Wasser versprüht.
«Der Ruf der Nation»
Die zweite Toiletten-Revolution wurde 2004 im Hinblick auf die Olympischen Spiele 2008 in Peking losgetreten. Der damalige Vize-Direktor des Nationalen Chinesischen Tourismusbüros, Gu Chaoxi, brachte es auf den Punkt: «Der Ruf der Nation und der ganzen Gesellschaft steht und fällt mit ihren Toiletten.» Das heute wie gestern die Toiletten-Revolution Chefsache ist, hat bereits der ehemalige Staats- und Parteichef Jiang Zemin (1989–2002) erkannt. Tadelnd meinte er zu Beginn dieses Jahrhunderts: «Wie kann es sein, dass China Satelliten bauen kann, aber keine Toilette, die nicht stinkt.»
Von 13 auf 6 Liter
Die Wissenschaft reagierte prompt. An der Elite-Universität Tsinghua – vergleichbar der Schweizerischen ETH oder dem Amerikanischen MIT – wurde intensiv geforscht. Erfolgreich, denn in einem ersten Schritt wurde der Wasserverbrauch pro Spülung von der internationalen Norm von 13 Litern auf 6 Liter vermindert. Das war im wasserarmen Peking sehr wichtig, weil innerhalb von zwei Jahrzehnten der grösste Teil der Bevölkerung nicht mehr auf Gemeinschafts-Plumsklos, sondern in Spültoiletten in Hochhauswohnungen ihre dringenden Bedürfnisse befriedigte. Längst ist auch Jiang Zemins Satelliten-Wunsch erfüllt. High-tech-Toiletten – keine Spülung, kein Gestank – sind unterdessen die Norm.