Gedenken, Erinnern ist so eine Sache. Insbesondere, wenn es um die Schoah, den Holocaust, geht. Pessimisten befürchten, dass der Völkermord an sechs Millionen Juden Europas, dass die ebenso versuchte Ausrottung von Fahrenden, Homosexuellen und politisch Andersdenkenden während des «Dritten Reichs» innerhalb weniger Generationen vergessen werden könnten, sobald auch die letzten überlebenden Zeitzeugen nicht mehr da sind.
Überreste der Mordindustrie
Die Überreste der NS-Mordindustrie sind geblieben, und sie dienen als Mahnmal, als Gedenkstätten. Bitter nötig, sofern sie nicht gedankenlos «innovativ» genutzt werden. So beinahe geschehen mit dem – nach Rechtsstreit abgelehnten – Plan eines externen Supermarkts an den Toren des Vernichtungslagers Auschwitz.
So tatsächlich geschehen im vergangenen Jahr durch das Aufstellen von Duschen für die Besuchenden gegen die polnische Sommerhitze, ausgerechnet im Todeslager Auschwitz. (Die Todgeweiten der vierziger Jahre wurden nackt in die Gaskammern getrieben unter dem Vorwand, dort zu duschen – doch aus den Duschköpfen kam kein Wasser, sondern das Todesgas Zyklon B.)
Hunger und Zwangsarbeit
Die Gedenkstätte des KZ Flossenbürg nahe der tschechischen Grenze, je etwa 100 km von Nürnberg und Prag entfernt, im Besitz der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, die zudem noch Dachau verwaltet, ist in diesen Tagen das Beispiel einer eklatanten Fehlplanung, offenbar ohne böse Hintergedanken, und sofortiger, vorbehaltloser Einsicht und Umplanung.
Das KZ Flossenbürg wurde 1938 erbaut mit der klaren Zielsetzung «Vernichtung durch Arbeit». Hier schufteten jüdische und nicht jüdische Häftlinge, Regimegegner, Widerstandskämpfer und Zwangsarbeiter täglich 12 Stunden im Steinbruch. Sie starben zu Tausenden an Unterernährung und Misshandlung. Es musste neben immer neuen Baracken auch ein bis heute zu besichtigendes Krematorium gebaut werden, weil dasjenige der nächsten Kleinstadt bald nicht mehr ausreichte.
Mord an Bonhoeffer und Canaris
Wenige Tage bevor Hitler sich durch Selbstmord aus der Verantwortung für die von ihm (und willfährigen Kumpanen) angerichtete europäische Katastrophe und für den Völkermord schlich, befahl er noch persönlich die Hinrichtung prominenter Widerstandskämpfer in Flossenbürg, wie des Theologen Dietrich Bonhoeffer und des Admirals Canaris. Sie wurden durch die SS-Henker prompt erhängt – im April 1945, als die Amerikaner bereits in Bayern vorrückten.
Himmler, Oberaufseher der «Reichssicherheit» und damit der Mordindustrie der Nazis, verbot die von einem verängstigten SS-Anführer vorgeschlagene Übergabe Flossenbürgs an die Amerikaner und befahl schriftlich, kein Häftling dürfe lebend übrig bleiben.
Tausende Leichen
So wurden einige Prominente wie die österreichischen Politiker Leopold Figl und Kurt Schuschnigg ins KZ Dachau bei München transportiert und Tausende Häftlinge auf Todesmärsche nach Dachau getrieben. Unterwegs wurden die noch lebenden Häftlinge von amerikanischen Truppen befreit. Die Juden waren auf einen Güterzug verladen worden, der von der nichts ahnenden amerikanischen Luftwaffe immer wieder beschossen wurde.
Entlang den Marschrouten fanden sich Tausende Leichen von entkräfteten Menschen, die nicht mehr gehen konnten und von SS-Leuten oder Kapos erschossen worden waren. Etwa 1500 ausgemergelte zurückgelassene Kranke im KZ Flossenbürg wurden von amerikanischen Soldaten befreit und betreut.
Also eine Geschichte wie einige andere auch in Europa. Heute ist das, was vom KZ Flossenbürg übrig blieb, eine Gedenkstätte (in den fünfziger Jahren entstand auf einem Teil des Geländes eine Wohnsiedlung). Seit 20 Jahren arbeitet hier der Leiter Jörg Skriebeleit, ein Kulturwissenschafter, der es fertiggebracht hat, dass Schulklassen und andere Besucher über die früheren Schrecknisse informiert werden. Seit einem Jahr gibt es hier ein neues Bildungszentrum, «nicht im Häftlingsbereich», wie er betont, und im Museumscafé arbeiten Menschen mit Behinderung. So weit, so gut.
„So schmeckt Israel“
Ausgerechnet hier, wo von 1938 bis 1945 Menschen ausgehungert wurden, sollte am 8. September ein «Kulinarik»-Anlass stattfinden unter dem Titel «So schmeckt Israel», ausgerichtet durch den deutschen Juristen Tom Franz, der laut Einladung in Israel zum Judentum konvertierte, dort lebt, eine Frau aus einer Überlebenden-Familie heiratete, vom Hobbykoch zum Starkoch avancierte und ein Kochbuch herausbrachte.
Als Rahmenprogramm zu der vom Jüdischen Museum Hohenems übernommenen Ausstellung «Family Affair» im Flossenbürger Bildungszentrum sollte ein Film über israelische Kulinarik gezeigt und für 24 Euro pro Person ein Buffet mit Fingerfood angeboten werden. Und dies nicht etwa mit dem Anspruch, ausgerechnet hier, wo Menschen Hungers sterben mussten, den Nazis ein Schnippchen zu schlagen und Essen aus Israel zu bieten, was bei gutem Willen gerade noch ein wenig verständlich gewesen wäre.
Als der Plan vor einer Woche publik wurde, intervenierten der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, der Direktor der Bayerischen Gedenkstätten-Stiftung, der auch CSU-Landtagsabgeordneter ist, und die Israelitische Kultusgemeinde Nürnberg. Gedenkstättenleiter Jörg Skriebeleit erfuhr in seinen Ferien von diesen «Irritationen» und reagierte sofort.
„Wir haben uns nichts Böses dabei gedacht“
«Wir haben uns nichts Böses dabei gedacht», sagte er auf Anfrage. «Es sollte eine Herausforderung für unsere behinderte Crew des Museumscafés sein.» (Für das nächste Jahr, sagte er, laute deren Thema «Euthanasie».) André Freud, Geschäftsführer der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg, attestiert auf Anfrage, Skriebeleit leiste wertvolle Arbeit und sei «über jeden Verdacht erhaben».
Eine partnerschaftliche Lösung wurde bemerkenswert einsichtig und rasch gefunden: Nun findet der Anlass vom 8. September, weiterhin betreut durch das Personal des Flossenbürger Museumscafés, im neuen, erst vor einem Monat eingeweihten Gemeindezentrum der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg statt.