Von Martin Ebner *)
Es sind nur zwei Worte, aber sie könnten die Welt verändern. In der Schweiz startet gerade eine Volksinitiative, die mit einer Verfassungsänderung den Spekulanten den Hahn zudrehen und den Schweizer Franken zum „sichersten Geld der Welt“ machen will. Heute hat der Staat das alleinige „Recht zur Ausgabe von Münzen und Banknoten“. Geht es nach den Reformern, soll in dieser Vorschrift künftig ausserdem „und Buchgeld“ stehen.
Die Folge dieser kleinen Ergänzung wäre eine Revolution des Finanzwesens: Als erstes Land würde die Schweiz die Vollgeld-Theorie verwirklichen und auch das elektronische Geld zum voll gültigen gesetzlichen Zahlungsmittel machen. Vor allem die Geschäfte der Investmentbanker würden davon empfindlich getroffen.
Radikaler Umsturzversuch
Der radikale Umsturzversuch wird bereits seit 2011 gründlich vorbereitet von dem überparteilichen Verein „Monetäre Modernisierung“. Seine rund 300 Mitglieder sind bislang nicht als Wirrköpfe aufgefallen; zu ihnen gehören zum Beispiel Reinhold Harringer, ehemaliger Leiter des Finanzamts St. Gallen, und Peter Hablützel, früherer Direktor des Eidgenössischen Personalamtes. Den Wissenschaftlichen Beirat bilden Ökonomen. Der St. Galler Professor Hans Christoph Binswanger etwa wurde vor allem mit Plänen für eine ökologische Steuerreform bekannt. Sie alle wollen die Geldschöpfung durch private Banken abschaffen. Das soll Finanzblasen und Inflation verhindern, die freie Marktwirtschaft wieder herstellen und zur Schonung von Mensch und Natur den durch das Zinssystem verursachten „Wachstumsdruck auf die Wirtschaft“ verringern.
„Die heutige Geldordnung ist aus den Fugen geraten, weil die Zentralbanken die Kontrolle über die Geldmenge verloren haben“, erläutert Binswanger sein Engagement. Geld ist schon lange nicht mehr durch Gold gedeckt, sondern nur durch die Wirtschaftskraft des jeweiligen Landes. Daher sollte die Geldmenge ungefähr gleich wie die Wirtschaft wachsen.
In Deutschland zum Beispiel legte die Wirtschaft jedoch von 1993 bis 2008 real nur um 25 Prozent zu, dagegen wurde die Geldmenge M1 (Bargeld und Sichteinlagen) um satte 190 Prozent vergrössert. In der Schweiz schwoll die Geldmenge M1 in den letzten fünf Jahren von 270 Milliarden Franken auf 550 Milliarden an. Diese Flut schwappte vor allem ins Finanzkasino: Inflation bei Wertpapier- und Immobilienpreisen. Wenn Spekulationsblasen platzen, trifft das aber nicht nur die Zocker, sondern die gesamte Wirtschaft: viele Firmenpleiten und hohe Arbeitslosigkeit.
Elektronisches Buchgeld
Woher kommt die Geldschwemme? In der Schweiz - wie in der EU - werden die Münzen von der Regierung in Umlauf gebracht, die Banknoten von der Zentralbank. Das staatliche Bargeld macht aber nur noch etwa 10 Prozent der gesamten Geldmenge aus. Der allergrösste Teil ist elektronisches Buchgeld, auch Giralgeld genannt: Per Computer-Tastendruck erzeugen die privaten Geschäftsbanken Geld, nämlich indem sie Kredite vergeben und die Summen auf Girokonten verbuchen.
Anders als viele Laien glauben, vermitteln die Banken an Kreditnehmer überwiegend nicht Einlagen von Sparern, sondern machen sich ihr virtuelles Geld selbst – und das verleihen sie dann für reale Zinsen, gegen handfeste Sicherheiten wie Häuser. Für das Do-it-yourself-Giralgeld gibt es keine Rechtsgrundlage, es ist aber ein tolles Geschäft: Um 100 Franken aus dem Nichts zu erzeugen, müssen Banken lediglich 2,5 Franken Nationalbank-Geld haben. Grossbanken umgehen selbst diese niedrige Hürde und leihen sich die nötigen Reserven einfach nachträglich aus.
„Guthaben“ auf Girokonten sind eigentlich Schulden von Kreditnehmern – und aus Sicht des Kontoinhabers lediglich Ansprüche auf gesetzliche Zahlungsmittel. Wenn zu viele Kunden sich diese gleichzeitig bar auszahlen lassen wollen, bricht die Bank zusammen, weil sie so viele Reserven gar nicht hat; wer zu spät kommt, verliert sein Geld. Da dann auch der Zahlungsverkehr und weite Teile der Wirtschaft kollabieren würden, muss der Staat derartige Anstürme auf Banken verhindern. Zur Rettung von bankrotten, aber systemrelevanten Banken muss der Staat Schulden machen – natürlich bei Banken. Die Steuerzahler berappen die Zinsen.
Nachteile des heutigen Systems
Neben Unsicherheit und ständiger Gefahr von Überschuldung und Bankrott sieht der Ökonom Mark Joób weitere Nachteile des heutigen Giralgeldsystems: „Es erzeugt Inflationsdruck und ist prozyklisch. Je mehr Kreditgeld die Geschäftsbanken schöpfen, desto grösser sind ihre Zinseinnahmen und ihre Profite – solange die Schuldner zahlungsfähig sind.“ In Zeiten des Aufschwungs würden die Banken daher zu viel Geld in Umlauf bringen, dafür in der Rezession zu stark auf die Bremse treten. „So verstärken sie die Schwankungen im Wirtschaftszyklus.“ Oft trägt es sie ganz aus der Kurve: Allein seit 1970 hat der Internationale Währungsfonds in seinen Mitgliedsländern 145 Bankenkrisen, 208 Währungskrisen und 72 Staatsschuldenkrisen gezählt.
Die Idee, die Kreditgeldschöpfung der Geschäftsbanken zu unterbinden, entstand bereits in den 1930er Jahren in den USA. Der „Chicago-Plan“ für zu 100 Prozent durch Zentralbank-Reserven gedecktes Geld, den Irving Fisher, Milton Friedman und andere Wissenschaftler ausarbeiteten, überzeugte zwar den US-Präsidenten Franklin Roosevelt, scheiterte aber am Widerstand der Banken. Später wollte zum Beispiel der deutsche Bundesbank-Direktor Rolf Gocht dem Staat wieder die Kontrolle über die gesamte Geldmenge verschaffen.
Die heutigen Vollgeld-Konzepte gehen auf den Berliner Ökonomen Joseph Huber zurück. Für seinen Ansatz werben Bürgerinitiativen mittlerweile nicht nur in der Schweiz, sondern von Island bis Neuseeland auch in 15 weiteren Ländern.
Privatbanken können Pleite gehen
Joseph Huber, der sich als Ordoliberalen bezeichnet, sieht Geldschöpfung als öffentlich-rechtliche Aufgabe: Geld soll nicht mehr durch verzinsliche Schulden in Umlauf kommen, sondern als schuldfreier Wert der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden, nämlich durch Überweisung der Zentralbank an den Staat. Damit dabei keine Inflation entsteht, soll die Zentralbank zur eigenständigen „Monetative“ ausgebaut werden – strikt unabhängig von Regierung und Parlament. Gelder auf Girokonten werden in diesem Modell von den Geschäftsbanken nur verwaltet; sie gehen also nicht mehr in die Bankbilanzen ein und werden im Konkursfall – wie heute schon Wertpapiere – einfach auf ein anderes Geldinstitut übertragen. Dann kann der Staat unfähige Privatbanken ruhig pleite gehen lassen.
Die Banken sollen weiterhin verzinste Sparkonten anbieten und Kredite vergeben, gerne auch an der Börse spekulieren – aber eben nicht mehr mit selbstgemachten Geld. Banken verlieren so ihre Privilegien und werden zu normalen Unternehmen. Und der beträchtliche Gewinn, der bei der Geldschöpfung anfällt, soll nicht mehr für hohe Banker-Gehälter und Boni verwendet werden, sondern an den Staat fallen. Bei der Umstellung der bestehenden Giralgelder auf Vollgeld, die rund 15 Jahre braucht, sollen in der Schweiz einmalige Mehreinnahmen von etwa 300 Milliarden Franken anfallen.
Bankiervereinigung lehnt ab
Die Schweizer Banken, deren Geschäftsmodell frontal angegriffen wird, sind überraschend still. Vielleicht wollen sie das Stimmvolk nicht unnötig auf heikle Themen aufmerksam machen? „Die Schweizerische Bankiervereinigung beschäftigt sich derzeit nur am Rande mit dieser Diskussion“, sagt jedenfalls deren PR-Chefin Sindy Schmiegel: „Die SBVg lehnt die Idee einer Vollgeldreform klar ab.“ Es bestehe kein Handlungsbedarf, „denn das heutige System hat sich bewährt. Die Inflation und die öffentliche Verschuldung sind in der Schweiz tief, die Wirtschaft stabil wachsend, die Kreditversorgung ausreichend.“ Ein „so tiefgreifender Umbau des Wirtschaftssystems“ berge „unkalkulierbare Risiken“. Es sei „zu befürchten, dass die Nationalbank zu einem Spielball politischer Interessen würde“, wenn sie allein alles Geld schöpfe.
Ähnlich argumentiert auch das von UBS, Credit Suisse und anderen Konzernen bezahlte Institut Avenir Suisse, das im März die Studie „Leere Vollgeld-Hoffnungen“ veröffentlichte: Das Finanzsystem könne „durch kontrollierte Schritte zuverlässiger reformiert werden als durch einen kühnen Salto“.
Ob die Mehrheit der Schweizer das auch so sieht, wird spannend. Den Grossbanken vertraut laut neuen Umfragen kaum mehr jemand. Dagegen fand die Vollgeld-Initiative schon vor ihrem amtlichen Start im Mai mehr als 64.000 Unterstützer für ihre Forderung, „dass die Banken künftig gleich lange Spiesse haben sollen wie alle anderen Unternehmen, welche ja weder selbst Geld herstellen noch auf staatliche Rettungsaktionen zählen können“. Jetzt müssen innerhalb von 18 Monaten mindestens 100.000 Unterschriften gesammelt werden, um eine Volksabstimmung durchzusetzen. In letzter Zeit verloren die Eliten mehrfach Referenden, etwa zu den Themen Managerlöhnen und Einwanderung. Es wäre daher durchaus möglich, dass es nächstes Jahr so kommt wie im Jahr 1891: Damals verbot das Schweizer Volk den Geschäftsbanken das Drucken von Papiergeld, weil die private Zettelwirtschaft Inflation angerichtet hatte. Jetzt würde die Nationalbank auch das Monopol für elektronisches Geld bekommen.
*) Mag. Martin Ebner arbeitet als freier Journalist in Konstanz