Keine Wasserpumpe? Einfach: Ersetze das Antriebsrad eines Motorrollers mit einem Velo-Rad, verbinde diese durch einen Transmissionsriemen mit der Pumpe – Voilà! Kein Rettungsgurt zum Schwimmen vorhanden? Man verbinde einige leere Coca Cola-Flaschen miteinander und schnüre sich diese um den Bauch. Das schönste, das ich je sah, löste die Frage, wie man zwei Zimmer kühlt, wenn man sich nur ein Kühlgerät leisten kann.
Einfach: Man befestige eine Hose am Gebläse und richte ein Hosenrohr zum Eingang des einen Zimmers, das andere zum Zimmer daneben. Während langer Zeit war ‚Not‘ nicht nur die Befindlichkeit einfacher Leute. Auch die Industrie war auf ‚Jugaad‘ angewiesen. Fünfzig Jahre lang verschloss sich Indien dem Konsumangebot des Westens. Alles wurde im Land produziert, von der Rakete bis zur Stecknadel. Und weil der Staat zu arm war und voller Misstrauen gegenüber privatem Unternehmertum, fehlte es an Forschung und Entwicklung. Stattdessen wurde hinter dem Schutzwall protektionistischer Zölle und Gesetze drauflos kopiert, was das Zeug hielt.
Weltmeister im Kombinieren von Molekülen
Eines dieser Gesetze betraf das Patentrecht. Statt wie im internationalen Recht das Produkt zu schützen, bezogen sich indische Patente nur auf das Verfahren. Wer ein Medikament nachahmen wollte, musste nur das Herstellungsverfahren der Synthesebildung verändern. Die endgültige Formulierung des Präparats mochte international geschützt sein, das Nachahmeprodukt durfte dennoch ungehindert in die Apothekerregale, zu einem Bruchteil des Preises. Die Inder nannten es ‚Reverse Engineering‘, die Pharma-Multis sprachen von geistigem Diebstahl.
Den Indern wird eine enorme Gedächtnisfähigkeit nachgesagt, auch das Denken und Kategorisieren in abstrakten Zahlen und Formeln. Indische Chemiker wurden bald einmal Weltmeister im Hantieren und Kombinieren von Molekülen. Als nach 1991 die Liberalisierung einsetzte, wuchsen überall Pharmafirmen aus dem Boden. Sie nutzten für einige Jahre noch die Prozess-Patentgesetze, um sich auch international als Generika-Unternehmen zu profilieren. Ihr Meisterstück lieferten sie während der weltweit aufflammenden AIDS-Epidemie in den Neunzigerjahren, als Firmen wie Roche sich weigerten, ihre Cocktails in armen Ländern billig zu verkaufen. Angeführt von Brasilien, brachen Entwicklungsländer das harsche Patentkorsett. Indische Firmen waren zur Stelle, um mit Generika dieselbe Wirkung zu erzielen, um ein Vielfaches billiger.
Erfolgreiches Mittel gegen Blutkrebs
Im Zug der Marrakesch-Runde der WTO wurde, nicht zuletzt als Reaktion auf den Aufstand der armen Länder, auch der Schutz geistigen Eigentums neu verhandelt und fand im TRIPS-Vertrag internationale Anerkennung. Indiens Hinterhof-Labors hatten ausgedient und mauserten sich zu respektierten Unternehmen, mit eigenen Forschungslabors; plötzlich war auch Indien am Schutz geistigen Eigentums interessiert. 2005 trat es dem TRIPS-Abkommen bei und warf seine Verfahrenspatente über Bord; an deren Stelle traten Produktepatente.
1996 hatte Novartis das Präparat ‚Glivec‘ international als Patent angemeldet, und es wurde ein überaus erfolgreiches Mittel gegen Blutkrebs. Indien war damals noch nicht an die neue TRIPS-Regelung gebunden, und es war fraglich, ob es nach der Gesetzesänderung von 2005 Glivec den nötigen Exklusivschutz einräumen würde, kostete es doch über 2000 Franken pro Monat (bei einer Behandlungsdauer von zwei Jahren). Novartis kam daher mit einem Nachfolgeprodukt gleichen Namens heraus, mit einer wesentlich verbesserten Wirksamkeit, und meldete es 2006 in Indien zum Patent an.
“Novartis wollte nur Sand in die Augen streuen“
Während die Antwort der Behörde auf sich warten liess, begann Novartis Glivec zu vermarkten. Um den Befürwortern für kostengünstige Arzneimittel den Wind aus den Segeln zu nehmen, führte es ein Programm ein, das den allermeisten Blutkrebs-Patenten (95 Prozent) das Mittel gratis abgab. Doch es fruchtete nichts. Das Patentamt wies das Gesuch ab. Novartis appellierte an die fachspezifische Berufungsinstanz und blitzte erneut ab; es zog das Verfahren, erneut vergeblich, ans Obergericht, und ging schliesslich ans Bundesgericht in Delhi.
Die Basler Firma wollte, so sagte sie selbst, ein Exempel statuieren, um den Standpunkt der Pharma-Multis ein für allemal durchzusetzen; nämlich: die Entdeckung und Entwicklung eines neuen Medikaments kostet viel Geld, deshalb braucht ein Unternehmen eine lange Periode exklusiver Vermarkungsrechte und ein robustes Nachahmeverbot. Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen – allen voran die lokale ‚Cancer Patients Aid Association‘ – brachten sich als Nebenkläger ein. Sie argumentierten, dass in einem Land mit einem Durschnittseinkommen von 60 Dollars pro Monat eine Arznei nicht das Dreissigfache dessen kosten dürfe; mit der Gratisabgabe von Glivec wolle Novartis nur Sand in die Augen streuen, bis es das Patent in der Hand hat. Auch Generika-Unternehmen beteiligten sich am Gerichtsverfahren, aus durchsichtigen Gründen. Wenn es gelingen würde, den Patentanspruch für Glivec in einem so wichtigen Entwicklungsland wie Indien zu brechen, dann hätte man eine Bresche ins internationale Patentregime geschlagen.
Indien als Forschungsstandort abgeschrieben?
In den ersten Jahren des Rechtsstreits standen diese Argumente im Vordergrund. Doch je höher die Berufungsinstanzen, desto fachspezifischer wurden die Argumente. Indien als aufstrebende globale Wirtschaftsmacht habe ein Interesse an einem internationalen Schutz geistigen Eigentums, beteuerte die Regierung; es wolle auch nicht ausländische Investoren abschrecken, die bei einer lokalen Produktion Angst um ihre Urheberrechte haben könnten.
Als das Oberste Gericht vor zwei Wochen sein endgültiges Urteil fällte, war das Verdikt eindeutig: Glivec verdient keinen Patentschutz. Die Konsumentenschützer jubelten, die Generika-Industrie rieb sich die Hände, und Novartis zog sich in den Schmollwinkel zurück. Indien müsse sich nicht wundern, meinte der lokale Firmenchef Ranjit Shahani drohend, wenn es nun als Forschungsstandort abgeschrieben werde; es erweise mit solchen Urteilen gerade den vielen gesundheitsgeschädigten Armen einen Bärendienst, denn nur die Entdeckung und Entwicklung neuer Arzneimittel könne das eklatante Krankheitsprofil des Landes verbessern. Ihr wollt die ‚Apotheke der Welt‘ sein, rief er in der ‚Economic Times‘ den Generika-Produzenten zu; wie wär‘s, erst einmal die Apotheke Indiens zu werden?
Einem ablaufenden Patent neuen Lebensschub geben
Die extremen Reaktionen übersahen, dass das Urteil keineswegs so ‚politisch‘ war, wie es die nationalistisch gefärbte Berichterstattung suggerierte. Im Gegenteil, die 110-seitige Beweisschrift liest sich streckenweise wie ein wissenschaftlicher Aufsatz. Denn das Gericht hatte sich die Mühe genommen, das Argument von Novartis auf Herz und Nieren zu prüfen. Es hatte gelautet: Glivec-2 ist eine genuine Erfindung, wegen seines neuen Syntheseverfahrens und wegen der erhöhten Wirksamkeit.
Dies wies das Gericht emphatisch zurück. Auch eine dreissigprozentige Erhöhung des Wirkungsgrads mache aus Glivec-2 noch kein wirklich neuartiges, erstmaliges Rezept. Was das Gericht nicht sagte, aber antönte: Novartis kommt dem vom TRIPS-Vertrag verbotenen ‚Evergreening‘ nahe, dem Versuch also, an erfolgreichen Formulierungen herumzutüfteln, sie als Neu-Erfindungen anzumelden und so einem ablaufenden Patent einen neuen Lebensschub von 20 Jahren zu geben.
Im Klartext: ‚Indien befürwortet echte Innovation. Was Ihr Basler tut, ist – ‚Jugaad‘.