Amerikas Vizepräsidentin Kamala Harris hat in Philadelphia das Fernsehduell auf ABC gegen Ex-Präsident Donald Trump deutlich für sich entschieden. Harris, gut präpariert, plädierte für zukunftsgerichtetes Denken, Trump, fahrig, fiel in alte Muster zurück.
Eher überraschend traf Donald Trump am Dienstagabend kurz nach Ende der 105-minütigen TV-Debatte mit Kamala Harris im «Spin Room» ein, wo sich Wahlhelfer der Kandidatin und des Kandidaten mit Medienschaffenden nach wichtigen politischen Events zu treffen und auszutauschen pflegen. «Es war die beste Debatte, die ich je gehabt habe», prahlte Trump, dem aufgrund seiner Fernseherfahrung gute Chancen eingeräumt worden waren, die in öffentlichen Auftritten weniger erfahrene Harris zu dominieren. «Sie (Harris) will eine zweite Debatte, weil sie heute Abend ganz schlimm verloren hat», antwortete er unverbindlich auf die Frage, ob er, wie von seinem Wahlkampfteam gewünscht, einer zweiten Debatte zustimmen werde.
«Sie treten gegen mich an»
Doch in Philadelphia trafen gegenteilige Erwartungen ein: Die Vizepräsidentin liess den Ex-Präsidenten buchstäblich alt aussehen und wirkte selbst entspannt und locker. Entsprechend fiel denn auch die Einschätzung der Medien aus, die Kamala Harris zur eindeutigen Siegerin der Debatte erklärten, was auch eingefleischte Republikaner, wenn auch widerwillig, einräumten mussten. Selbst Brit Hume, Star-Moderator des Trump unterwürfig ergebenen Senders Fox News, gestand ein, der republikanische Kandidat habe schlecht debattiert.
«Der Ausgang der Debatte stand überhaupt nie in Frage», sagte derweil Präsident Joe Biden: «Vizepräsidentin Harris hat bewiesen, dass sie die beste Wahl ist, um unsere Nation vorwärts zu führen.» Wobei sich Donald Trump zuvor noch gewundert hatte, wo der amerikanische Präsident geblieben sei: «Er verbringt seine ganze Zeit am Strand» – ein Verweis auf Pressefotos, die Biden in den Ferien am Rehoboth Beach in Delaware zeigen.
Und weiter während der Debatte: «Sie haben ihn wie einen Hund aus dem Wahlkampf geworfen. Wir wissen nicht einmal mehr, ist er noch unser Präsident? Wir haben einen Präsidenten, der nicht weiss, ob er noch am Leben ist.» Worauf Kamala Harris schlagfertig antwortete: «Es ist wichtig, den früheren Präsidenten daran zu erinnern, dass er nicht gegen Joe Biden antritt. Sie treten gegen mich an.»
Trump beharrt auf seiner Wahl-Lüge
Sündenbock der Trump-Anhänger war jedoch nicht ihr Kandidat, der sich wiederholt von seiner Gegnerin zu unsinnigen Aussagen hinreissen liess, sondern der Fernsehsender ABC, dessen Moderatorenteam, eine Majestätsbeleidigung erster Güte, es gewagt hatte, Trumps Lügen richtigzustellen – etwa jene, dass in Springfield (Ohio) Einwanderer aus Haiti Katzen und Hunde fangen und essen würden. Moderator David Muir bemerkte auch, er habe wenige Tage zuvor in Trumps Äusserung, er habe 2020 die Wahl verloren, keinen Sarkasmus entdecken können. Trump entgegnete, er habe das lediglich «sarkastisch» gemeint und hielt an seiner Wahl-Lüge fest.
Muir widersprach mit Verweis auf das FBI auch Trumps Behauptung, illegale Einwanderer würden in den USA die Verbrechensrate in die Höhe schnellen und sie in anderen Ländern sinken lassen: «Sie (die Regierung Biden) haben Terroristen ins Land gelassen. Sie haben Strassenkriminelle ins Land gelassen. Sie haben Leute, Drogenhändler, in unser Land gelassen.»
Die Moderatoren checken die Fakten
Der Ex-Präsident selbst hatte ABC im Vorfeld als «FAKE NEWS» und als die bei weitem «böseste und unfairste Nachrichtenorganisation im Mediengeschäft» verunglimpft. Der Sender habe es Kamala Harris erlaubt, «ununterbrochen zu lügen», sagte etwa Trumps Sohn Don Jr. Es sei gar keine Fernsehdebatte gewesen, wusste der konservative Aktivist Charlie Kirk, sondern «ein öffentlicher Schauprozess, in dem ABC als Richter, Geschworenengremium und Scharfrichter» fungiert habe.
In Wirklichkeit hatte das Moderatorenteam nur getan, was bei Fernsehdebatten zwischen Präsidentschaftskandidaten schon früher hätte erfolgen müssen. Sie unterwarfen die Aussagen eines Politikers umgehend einem Faktencheck, was aber bei einer Figur wie Donald Trump praktisch unmöglich ist, weil vor lauter Korrekturen keine Debatte mehr möglich wäre. Ein erster oberflächlicher Faktencheck von CNN während des Events in Philadelphia folgerte, Donald Trump habe in seinen zweiminütigen Statements und einminütigen Entgegnungen 33 Unwahrheiten geäussert, Kamala Harris dagegen lediglich eine.
Die «New York Times» kam in ihrem Faktencheck zu Themen wie Wirtschaft, Einwanderung und Abtreibung zum Schluss, der Ex-Präsident habe in 17 Fällen schlicht die Unwahrheit gesagt, während er sich in 15 weiteren Fällen zumindest irreführend oder ohne genügenden Kontext geäussert habe. Die Vizepräsidentin, so die «Times», habe in zwei Fällen Unwahrheiten gesagt und sich in vier Fällen irreführend oder ohne ausreichenden Kontext geäussert. Unerwähnt liessen Donald Trumps Anhänger den Umstand, dass ihr Kandidat fünf Minuten länger sprechen durfte als Kamala Harris.
«Mean, bully Trump»
Der Ausgang der Fernsehdebatte in Philadelphia war wohl auch eine Folge der unterschiedlichen Vorbereitungen beider Kandidaten. Während sich Kamala Harris während fünf Tagen in einem Hotel in Pittsburgh eingeigelt hatte, um sich akribisch und so realitätsnah wie möglich für das Rededuell gegen Donald Trump zu wappnen, improvisierte Donald Trump eher, unter anderem in einem seiner Golfclubs, wobei sich sein Lager Sorgen machte, dass er seine Impulse nicht werde im Zaun halten können – zu Recht, wie sich zeigen sollte.
Berater hatten ihm empfohlen, in der Debatte als «happy Trump» und nicht als «mean, bully Trump» aufzutreten. Während der Ex-Präsident 2016 Hillary Clinton noch als «smart» und «harte Arbeiterin» gesehen hatte, hält er Kamala Harris heute seinem Umfeld zufolge für unintelligent und macht sich auch über ihre früheren Beziehungen lustig. Die Vizepräsidentin hingegen hatte durchblicken lassen, wie sie gegen Donald Trump zu argumentieren plante und sich nicht Hillary Clintons Strategie bedienen wolle, den Ex-Präsidenten als Rassisten und Frauenfeind zu brandmarken.
Trump: Ukraine- und Gaza-Krieg am Telefon beenden
«In der Debatte heute Abend werden Sie Altbekanntes zu hören bekommen, einen Haufen Lügen, Klagen und Beleidigungen», sagte Kamala Harris zu Beginn der Debatte und wandte sich, wie auch später, direkt an das Fernsehpublikum: «Donald Trump hat in Wirklichkeit keinen Plan für Sie, denn er ist mehr daran interessiert, sich selbst zu verteidigen, statt sich um Sie zu kümmern.» Ein Argument, das Trump als «kurzen O-Ton» abtat: «Alles, woran sie drei und vier Jahre zuvor noch geglaubt hat, ist jetzt zum Fenster raus – sie übernimmt meine Philosophie. In der Tat dachte ich daran, ihr eine MAGA-Mütze zu schicken. Sie übernimmt meine Philosophie. Aber sollte sie je gewählt werden, so wird sie diese Philosophie ändern und das wird das Ende unseres Landes sein.» Auch ein 3. Weltkrieg sei im Falle ihres Sieges unausweichlich, argumentierte der Ex-Präsident. Wobei er aber die Kriege in der Ukraine und in Gaza umgehend beenden würde, per Telefon und noch vor seinem Amtsantritt.
Kamala Harris wiederum stichelte gegen Trump, nachdem er sich geweigert hatte, seine Wahl-Lüge zurückzunehmen. Er sei, sagte sie, 2020 vom amerikanischen Volk «entlassen» worden: «81 Millionen Menschen haben Donald Trump gefeuert, das sei klar gesagt, und ebenso klar ist es, dass es ihm schwerfällt, das zu akzeptieren. Wir können uns keinen Präsidenten der Vereinigten Staaten leisten, der versucht, wie er das in der Vergangenheit getan hat, den Willen der Wählerinnen und Wähler in freien und fairen Wahlen zu missachten.» Viel Konkretes zu ihren Plänen, sollte sie ins Weisse Haus einziehen, verriet aber auch Harris nicht, auch nicht zu früheren politischen Überzeugungen wie ihrer Haltung zu Fracking, die sie in der Zwischenzeit aufgegeben hat. Doch ihre Werte, sagte sie, hätten sich nicht verändert.
67 Millionen US-Zuschauer
Vor der Fernsehdebatte hatten Umfragen zufolge 30 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner gesagt, sie würden Kamala Harris noch nicht genügend kennen. Ob ihr erfolgreicher Auftritt in Philadelphia acht Wochen vor der Wahl am 5. November dieses Defizit wird ausgleichen können, bleibt abzuwarten; schlüssige Befragungen zum Ausgang der Debatte stehen noch aus.
Fakt ist, dass am Dienstabend 67,1 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer vor dem Bildschirm sassen und mutmasslich Millionen mehr den rhetorischen Schlagabtausch über verschiedene Websites und Streaming Plattformen verfolgten – ein Drittel Publikum mehr, als bei der geschichtsträchtigen Debatte zwischen Joe Biden und Donald Trump im vergangenen Juni. Vor allem mehr Jüngere und Menschen bis Mitte fünfzig schalteten sich zu. Bemerkenswert auch, dass die progressive demokratische Plattform Act Blue in den drei Stunden nach Beginn der Fernsehdebatte um 21 Uhr 24,2 Millionen Dollar an Wahlspenden einsammelte – zusätzlich zu 11,9 Millionen untertags. Diese und nächste Woche beginnt in einigen Staaten bereits die Briefwahl.
Sturm aufs Capitol: «Nichts damit zu tun»
Wer es nicht zu erwarten vermag, Donald Trump im Weissen Haus wiederzusehen, kann sich bereits heute einen Bildband des Ex-Präsidenten unter dem Titel «Save America» kaufen, der rechtzeitig zur Fernsehdebatte erschienen ist. Das Werk kostet 99 Dollar (499 Dollar mit seinem Autogramm) und ist neben Schokoladenriegeln, Turnschuhen, Bibeln, NFT-Tauschbildern und Stoff-Fetzen eines seiner Anzüge (getragen bei der Verhaftung in Atlanta) eines seiner Produkte, um noch etwas Geld zu verdienen – laut «New York Times» ein entlarvendes Dokument, das Einblick in Trumps aussenpolitisches Denken gewährt.
Zu Trumps Enthüllungen gehört etwa die News, dass die Mutter des kanadischen Ministerpräsidenten Justin Trudeau «irgendwie mit Fidel Castro liiert» war: «Viele Leute sagen, Justin sei sein Sohn. Er dementiert das, aber wie zur Hölle will er das wissen?» Zehn Seiten des Bandes sind Aufnahmen mit Nordkoreas Diktator Kim Jong-un gewidmet, unter anderem ein avantgardistisches Foto der Schuhe der beiden Staatsmänner. Auch Chinas Präsident Xi Jinping darf im Band nicht fehlen: «Ich bin immer TOLL mit Präsident Xi ausgekommen, aber COVID hat das gründlich vermasselt.»
Und wie in der Fernsehdebatte mit Kamala Harris kommen auch die Vorgänge am 6. Januar 2021 zur Sprache, aber nicht, um sich allenfalls einsichtig zu zeigen, sondern lediglich, um über die Grösse der damals in Washington DC versammelten Menschenmasse zu prahlen: «DAS IST DER WIRKLICHE 6. JANUAR». Vom Sturm des Mobs auf das US-Capitol wollte Trump in der Debatte nichts wissen: «Ich hatte nichts damit zu tun, ausser dass sie mich anfragten, eine Rede zu halten.»