Es ist der energischste von vielen Angriffen, die er seit dem vergangenen Mai gegen der Stadt unternommen hat. Alle bisherigen waren erfolglos geblieben.
Tanks und Kriegsflugzeuge
Diesmal wurden Tanks und Mig Kampfjets eingesetzt, doch nach Anfangserfolgen gab es Gegenangriffe der drei islamistischen Milizen, welche die Hauptstadt der Cyrenaika beherrschen, und es ist ungewiss, ob die geplante "Befreiung" der Stadt wirklich erfolgen wird.
Die Tanks gehören zur Tankbrigade 204, der einzigen über welche die libysche Armee verfügt. Sie waren während der früheren Kämpfe "neutral" in ihrer Kaserne geblieben. Ihre Kommandanten hatten erklärt, sie seien ganz von den islamistischen Milizen umzingelt. Falls sie gegen diese losschlagen würden, wären die Wohnquartiere gefährdet, in denen die Kaserne liegt. Deshalb hielten sie sich von den Kämpfen zurück.
Doch diesmal war es anders. Die Tanks eröffneten die Gefechte am Morgen des 15. Oktober. Dann kamen Mig Jets und bombardierten das Hauptquartier sogenannten "Brigade der Märtyrer vom 17. Februar". Die Brigade, überrascht, musste sich aus ihrem Hauptquartier zurückziehen. Doch sie eroberte es später in einem Gegenangriff wieder zurück. Bisher sollen über 50 Soldaten Haftars gefallen sein. Die Islamisten geben ihre Verluste nicht bekannt.
Ägyptische Migs mit libyschen Piloten ?
Die Flugzeuge kamen aller Wahrscheinlichkeit nach aus Ägypten, obgleich Sprecher des ägyptischen Präsidenten dies dementierten. Einige ägyptische Beamte hatten es offenbar anonym zugegeben, und einige der libyschen Abgeordneten, die in Tobruk tagen, sprachen auch von ägyptischen Flugzeugen. Andere wollten wissen, es habe sich um ägyptische Flugzeuge gehandelt, sie seien jedoch von libyschen Piloten geflogen worden.
Darüber dass Präsident al-Sissi mit der Regierung von Tobruk sympathisiert und die Gegenregierung von Tripolis ablehnt, kann kein Zweifel bestehen. General Haftar reist oftmals nach Kairo, und eine Woche vor der neuen Offensive gegen Bengasi erklärten sowohl libysche wie ägyptische offizielle Quellen, reguläre Truppen für die Regierung von Tobruk würden in Ägypten geschult.
Rücktritt nach dem Sieg?
Am 27. August hatten Kriegsflugzeuge unbekannter Herrschaft in die Kämpfe bei Tripolis eingegriffen. Ohne ersichtlichen Erfolg. Anscheinend waren sie aus den Arabischen Emiraten gekommen und waren in Ägypten zwischengelandet.
General Haftar hat vor Beginn der Offensive erklärt, wenn Bengasi befreit werde, werde er zurücktreten. Dadurch wollte er den Anklagen entgegentreten, nach denen er eine neue Diktatur über Libyen anstrebe. Er ist nicht der von der Tobruk-Regierung ernannte Heeresführer. Offiziell hat die libysche Armee einen von dieser Regierung ernannten Generalstabschef und Oberkommandierdenden. Doch die Armeeinheiten gehorchen offenbar Haftar eher als ihm, und das Parlament scheint die neue Offensive zu billigen.
Die libysche Nationale Armee
Die libysche Armee besteht aus jenen regulären Truppen, die zur zur Zeit der Erhebung gegen Ghadhafi, am 17. Februar 2011 in Bengasi standen und dort Partei für die Volksbewegung ergriffen, die sich gegen das Regime erhoben hatte. Es waren nicht die privilegierten Elitetruppen, die Ghadhafi zu seinem Schutz in Tripolis hielt und unter die Führung seiner Verwandten gestellt hatte, sondern Einheiten, denen der Diktator wenig vertraute und sie daher im entfernten Bengasi stationiert hatte.
Diese regulären Truppen aus Bengasi kämpften dann mit den irregulären Volksmilizen gegen Ghadhafi und erhielten die Unterstützung der Nato-Luftwaffen. Haftar, aus dem amerikanischen Exil heimgekehrt, wurde der Generalstabschef dieser regulären anti-Ghadhafi Einheiten während der sechsmonatigen Kämpfe. Die Elitetruppen Ghaddafis in Tripolis wurden im Verlauf der Kämpfe aufgerieben. Was bewirkte, dass nach dem Fall und der Ermordung Ghadhafis einzig die einst marginalen Militärs "zweiter Klasse" als libysche Armee übrig blieben.
Die Macht der Milizen
Die Milizen, die sich seit dem Beginn des Volksaufstandes gebildet hatten, waren zahlreicher als diese Soldaten und sie fanden sich auch im Besitz besserer Waffen, nachdem sie die gewaltigen Waffenlager Ghadhafis in Tripolitanien und in der Syrte besetzt und geplündert hatten. Ein Teil der Milizen, die damals kämpften und Gelegenheit erhielten, sich zu bewaffnen bestand aus Islamisten. Ihre Führer waren meist Leute, die aus den Gefängnissen Ghadhafis befreit worden waren.
Zwischen Ghaddafi und den Islamisten aller Art, Muslimbrüdern sowie Salafisten und Bewunderern von al-Kaida, bestand eine Dauerfehde, weil die libyschen Islamisten mehrmals vergeblich versucht hatten, Ghadhafi zu stürzen. Als sie durch den Aufstand befreit wurden, bildeten sie rasch einige der entschlossendsten Kampfgruppen, und sie gehörten zu jenen, die nach dem Ende des Ghadhafi-Regimes ihre Waffen nicht abgeben wollten, weil sie, wie sie erklärten,"den Schutz der Revolution gewährleisten" wollten.
Es gab auch andere Gruppen die ihre Waffen und Anführer beibehielten. Sie taten dies nicht wegen islamistischen Zielsetzungen sondern aus anderen Gründen oftmals lokalpolitischer Natur. Die Berber wollten sicherstellen, dass ihre Ethnie in der Zukunft gebührend berücksichtigt werde, ähnlich dachten bestimmte Stammesgruppen, sowie auch die Kämpfer der Hafenstadt Misrata, die Pläne für eine eigene Zukunft ihrer besonders heftigen Kämpfen ausgesetzten Heimatstadt hegten.
Revolutionäre gegen Politiker
Der Slogan, unter dem Islamisten und die bewaffneten Lokalpatrioten zusammenfanden, war: "die Revolution muss sichergestellt und fortgesetzt werden". Um "die Revolution zu bewahren" traten die Bewaffneten beider Richtungen den gewählten Politikern der politischen Mehrheit entgegen, die darauf ausgingen, die Lage zu normalisieren und über Wahlen und eine Verfassung geordnete demokratische Zustände herbeizuführen.
Die bewaffneten "Revolutionäre" warfen den Politikern vor, sie seien ja alle, oder mindestens mehrheitlich, ehemalige Mitarbeiter oder Nutzniesser des Ghadhafi Regimes, und sie würden etwas derartiges wieder entstehen lassen, wenn sie, die "Waffenträger der Revolution", dies nicht verhinderten.
Zwei Jahre lang versuchten die Politker mit den Waffenträgern zu koexistieren. Doch diese verhinderten die Entstehung eines Regimes, in dem die Mehrheit der gewählten Volksvertreter, das Geschehen bestimmen konnte. Zwischen den Waffenträgern islamistischer Ideologie und der Minderheit der Gewählten, die ebenfalls zu den Islamisten gehörten, entstanden Bündnisse und Aktionsgemeinschaften, die es vermochten, die Initiativen der parlamentarischen Mehrheit abzuwürgen.
Es gab auch zunehmend eine Interessengemeinschaft der Bewaffneten untereinander, denn sie widerstanden gemeinsam dem Druck, ihre Waffen niederzulegen. So kam es zustande, dass in Tripolitanien die starke aber keineswegs islamistisch ausgerichtete Stadtmiliz von Misrata zusammenarbeite mit den islamistischen Bewaffneten von Tripolis und dessen Hinterland, beide unter dem Slogan "Rettung der Revolution".
Bruch mit den neu gewählten Parlament
Als dann im vergangenen Juni ein neues Parlament gewählt wurde, verloren viele der islamistischen Abgeordneten (sowohl Muslimbrüder wie radikaler ausgerichtete Islamisten) ihre Sitze in der Versammlung, und eine grosse Mehrheit von "säkularen" Politikern wurde gewählt. Dies veranlasste die Bewaffneten, ihre Haltung zu ändern. Sie verzichteten auf ihre bisherigen Versuche, indirekt durch Druck auf die gewählte Versammmlung ihre politischen Anliegen durchzusetzen und gingen dazu über, die Herrschaft auf eigene Faust auszuüben.
In Tripolis schritten sie zuerst zur Eliminierung einer Rivalengruppe, nämlich der Berbermilizen von Zintan, die seit dem Sturz Ghadhafis den Flugplatz der Hauptstadt beherrschten. Dies geschah in einer Reihe von blutigen Kämpfen, die mit Artillerie und Raketen ausgefochten wurden, von Juni bis Ende August dieses Jahres. Gleichzeitig wurden die gewählten Abgeordneten des neuen Parlamentes persönlich bedroht und oftmals zur Flucht aus der Hauptstadt gezwungen. Nachdem sie diese Ziele erreicht hatten, erklärten die Milizoberhäupter, die sich zu einer Aktionsgemeinschaft zusammengefunden hatten, "Morgenröte" (Fajr) genannt, das neu gewählte Parlament sei ungültig und das alte (in welchem die Islamisten stärker vertreten waren) gelte weiter.
Zu "Morgenröte" gehören mehrere islamistiche Gruppierungen und die starke, nicht religiös orientierte, Miliz von Misrata, die sich in Tripolis aufhält. Die Milizen von Zintan mussten aus Tripolis und aus dem Flughafen der Hauptstadt abziehen, doch sie sind weiterhin Gegner der "Morgenröte" von Tripolis und Misrata und liefern dieser gelegentlich Gefechte in Randzonen. Sie erklären sich als Verbündete der Kräfte Haftars, die in der Cyrenaika stehen.
Das von "Morgenröte" getragene Gegenparlament von Tripolis hat eine eigene Regierung ernannt, die jedoch nicht international anerkannt ist.
Parlament nahe an der ägyptischen Grenze
Die neugewählten Abgeordneten traten in Tobruk zusammen, nah an der ägyptischen Grenze. Sie tagen dort in einem Hotel, und sie hatten einige Monate lang eine griechische Fähre gemietet, die im Hafen verankert war und als Domizil für die Sekretäre und Beamten diente, die mit den neuen Abgeordneten zusammenarbeiten. Sie scheinen in der Zwischenzeit Unterkunft in Tobruk und Umgebung gefunden zu haben.
Die Fähre ist fortgefahren. Eine Minderheit von gewählten Parlamentariern, meist Freunde der Muslimbrüder, weigerte sich nach Tobruk umzuziehen. Sie blieben in Tripolis. Das Parlament konnte nicht in Bengasi tagen, der Hauptstadt der Cyrenaika, weil dort Unsicherheit herrschte.
Bengasi in der Hand von Islamisten
In Bengasi sind es in erster Linie drei islamistische Milizen, die mit Waffengewalt regieren: die erwähnte Brigade der Märtyrer vom 27. März; die Ansar ash-Sharia (Helfer der Scharia), denen die Amerikaner vorwerfen, sie seien für den Mord des amerikanischen Botschafters vom Christopher Stevens vom 11. September 2012 verantwortlich und die sogenannte Rafah al-Sahati Brigade, welche den Muslimbrüdern nahe steht.
Einheiten der oben erwähnten regulären Armee, die General Haftar zuneigen, halten den Flughafen von Bengasi besetzt und haben Kasernen in aussenliegenden Stadtteilen. Wenn es ihnen unter der Führung Haftars gelänge, die drei Islamistenmilizen aus Bengasi zu vertreiben und dort die Sicherheit zu gewährleisten, könnte das Parlament nach Bengasi umziehen und versuchen, die Provinz Cyrenaika zu regieren.
Diese erstreckt sich südlich über die gesamte libysche Sahara hinweg bis zur Grenze von Tschad, und sie umfasst die ertragreichsten Erdölvorkommen. Von der Cyrenaika aus könnte die gewählte Regierung versuchen, ihre Macht durch Kriegshandlungen oder durch Verhandlungen auf Tripolitanien auszudehnen. Doch vorläufig ist es ungewiss, ob die von Haftar am Fernsehen als Ziel seiner Offensive erklärte "Befreiung" von Bengasi wirklich zustande kommt.
Am 17. Oktober wurde gemeldet, Teile der Bevölkerung von Bengasi seien bewaffnet zu den Kräften Haftars gestossen. Dass es viele Bürger der Stadt gibt, die der Gewaltherrschaft der islamistischen Milizen müde sind, kann man annehmen. Doch deren Kämpfer haben bis jetzt allen früheren Versuchen Haftars, sie zu verteiben, die im vergangenen Mai begannen, standgehalten, und es ist denkbar, dass sie auch dem erneuten Ansturm, der offenbar diskrete Hilfe aus Ägypten erhält, standhalten können.
International anerkannte Regierung in Tobruk
Das Parlament von Tobruk und die von ihm ernannte Regierung sind international anerkannt. Dies ist wichtig, weil Libyen immer noch Erdöl exportiert, allerdings sehr viel weniger als zu Ghadhafis Zeiten, und weil der Erlös aus den Erdölexporten der international anerkannten Regierung zufliesst. Sie verfügt auch über die Milliarden libyscher Reserven, die im Ausland lagern und angelegt sind.
Allerdings befindet sich die libysche Nationalbank, welche diese Reserven verwaltet, in Tripolis unter der Herrschaft der Gegenregierung. Diese hat dem Vernehmen nach bisher nicht versucht, Druck auf die Bank auszuüben, um der libyschen Gelder habhaft zu werden. Vermutlich zieht sie es vor, mit der Bank zu verhandeln, um ihre laufenden Ausgaben zu bestreiten, ohne einen Streit herbeizuführen, den sie zu verlieren droht.
Uno-Behörden sind bestrebt einen Kompromiss zwischen den beiden feindlichen Parlamenten herbeizuführen, um dem Land wieder eine einheitliche Regierung zu verschaffen. Sie haben Verhandlungen zwischen einigen der gewählten Abgeordneten beider Parteien in der fernen Oase Gadames, nah an der tunesischen Südgrenze, in die Wege geleitet. Doch der gegenwärtige scharfe Ausbruch von Kriegshandlungen dürfte diese Schritte für den Augenblick in den Schatten stellen.