Sara C., ein behindertes Mädchen aus den USA, träumte von den Bildern von Sandro Botticelli. In ihrem Rollstuhl stand sie in der Warteschlange vor dem Museum. Doch dann wurde die „Galleria degli Uffizi“, wo Botticellis Bilder hängen, plötzlich geschlossen. An jenem Augusttag war es über 40 Grad heiss in Florenz – und die Klimaanlage des Museums funktionierte nicht mehr. Enttäuscht und traurig sass nun Sara vor verschlossenem Eingang.
Der Direktor des Museums, der deutsche Eike Schmidt, erfuhr davon und fasste sich ein Herz. So wurde Sara in ihrem Rollstuhl vor die Bilder Botticellis geführt – als einzige Besucherin.
Zwischen Himmel und Hölle
Schnell und ausführlich berichteten Zeitungen und Fernsehanstalten darüber. Eike Schmidt wurde als gutherziger Wohltäter in den Himmel gelobt. Gut einen Monat später wird er mit Schimpf und Schande überhäuft.
Völlig überraschend hat Eike Schmidt vergangene Woche seinen Rücktritt als Direktor des wichtigsten italienischen Museums bekanntgegeben. Er werde Ende 2019 die Leitung des Kunsthistorischen Museums in Wien übernehmen. Die Ankündigung schlug in der italienischen Politik und Kulturszene wie eine Bombe ein. Der Rücktritt sei „eine kalte Dusche“ für Florenz, schreibt die Römer Zeitung „La Repubblica“. Angekündigt hat Schmidt seine Demission nicht etwa in Florenz, sondern in Wien, was die Italiener zusätzlich verärgert.
„Superdirektoren“
Schmidt, ein 49-jähriger Kunsthistoriker aus Freiburg im Breisgau, hatte sein Amt in Florenz im November 2015 übernommen. Er hatte eine internationale Ausschreibung gewonnen. Die Jury, die ihn gewählt hatte, war international besetzt.
Dario Franceschini, der italienische Kulturminister, hatte die Aufgabe, den teils darbenden italienischen Museumsbetrieb zu reformieren. Deshalb hatte er die Direktionsposten für die zwanzig wichtigsten italienischen Museen international ausgeschrieben. Diese „Superdirektoren“, wie sie in Italien genannt werden, erhielten grosse Kompetenzen. Sie sollten ihre Museen als ökonomisch selbstständige Einheit führen – ohne dass sie wie bisher vom Kulturministerium an die Leine genommen werden.
Wie ein geldgieriger Fussballtrainer
Florenz hatte Grosses vor mit Eike Schmidt (Bild: Uffizien, Florenz). Die Uffizien sollten zu den „Grandi Uffizi“ umgewandelt und die Ausstellungsfläche verdoppelt werden. Und kaum hat er mit der Arbeit begonnen, wirft er das Handtuch.
Der Rücktritt hat böse Reaktionen ausgelöst. Dario Nardella, der Bürgermeister von Florenz, vergleicht Schmidt mit einem Fussballtrainer, der wegen eines besseren finanziellen Angebots den Klub wechselt, kurz nachdem die Meisterschaft begonnen hat. Rosa Maria Di Giorgi, sozialdemokratische Vizepräsidentin des italienischen Senats, sagt: „Wir fragen uns, was geschehen sein könnte, um einen derart gravierenden Entscheid zu rechtfertigen.“
Italienische Zeitungen spekulieren, die österreichische Regierung habe Schmidt mit viel Geld für einen Wahlkampf-Trumpf geködert. Österreich wählt am 15. Oktober.
„Er ist doch nicht mehr glaubwürdig“
Bürgermeister Nardella stört sich vor allem daran, dass die Uffizien jetzt anderthalb Jahre lang von einem Direktor geführt werden, dessen Gedanken bereits in Wien sind. „Er ist doch jetzt nicht mehr glaubwürdig, er kann doch jetzt nicht mehr echte Reformen durchsetzen.“ Nardella schlägt vor, sofort eine neue internationale Ausschreibung zu starten – und, wenn ein neuer Direktor gefunden wurde, Schmidt vorzeitig freizustellen.
Nicht nur die Politik ist irritiert. Auch in Leserbriefen und in den sozialen Medien wird Schmidts abrupter Entscheid kritisiert. Da spielt auch der italienische Stolz eine Rolle. Die Uffizien gehören mit ihren jährlich zwei Millionen Besuchern zu den berühmtesten Museen der Welt. Alle sind im Haus am Arno vertreten: Botticelli, Michelangelo, Caravaggio, Raffael, Leonardo, Cranach und viele mehr. Da schmeisst man doch nicht einfach den Job hin, heisst es. Jeder sollte stolz sein, dieses Museum leiten zu dürfen.
Sture Italiener
Schmidt ist eng mit Italien verbunden. Er spricht ein blendendes Italienisch, hat in Florenz und Bologna studiert und über die Ebenholzskulpturen der Medici promoviert. Gerade wegen dieser engen Verbundenheit kommt der abrupte Wechsel überraschend. Gegenüber Journalisten sagt er, sein Entscheid nach Wien zu gehen, sei in den „allerletzten Tagen“ gefallen. Er habe sofort seine engsten Mitarbeiter und das Kulturministerium informiert. Und vor allem sagt er: Der Entscheid habe nichts mit Geld zu tun.
Was ist vorgefallen? Schmidt hatte es von Anfang an nicht leicht in Florenz. Viele bedächtige italienische Kunsthistoriker, die sich gewohnt waren, in ihrem Cocon zu arbeiten, ertrugen es schlecht, dass ihnen ein forscher Deutscher vor die Nase gesetzt wurde. „Können wir Italiener denn nicht selbst ein Museum leiten?“ hiess es. Schmidt beklagte immer wieder offen die Sturheit der italienischen Entscheidungsträger und die verkrustete Bürokratie. Jeder Entscheid, etwas Neues zu machen, war auf Ablehnung gestossen. Zudem hatte er riesige Auseinandersetzungen mit den Gewerkschaften und mit Bürgermeister Nardella. „Die beiden liebten sich nicht“, schreibt „La Repubblica“. Die Zeitungen spekulieren noch immer, was denn das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Sicher ist nur: Schmidt hatte plötzlich die Nase voll.
Modeschau
Eigentlich hat er in den zwei Jahren seines Florentiner Gastspiels schon viel erreicht. Vor allem führte er ein neues System für Eintrittspreise ein. Damit sollen die unendlichen Warteschlangen vor dem Museum reduzieret werden. Die Räume hat er gegen viel Widerstand neugestaltet, die Bilder sind besser ausgestellt.
Doch auch das gefiel nicht allen. Laut kritisiert wurde er auch im vergangenen Mai. Die Puristen heulten auf, als plötzlich in den ehrwürdigen Räumen der Uffizien etwas Undenkbares stattfand: eine Modeschau von Gucci.