Amerikanische Diplomaten gaben bekannt, dass ihr Land einen Vorschlag zu Händen des Sicherheitsrates ausgearbeitet hat, nach dem Sanktionen gegen den ehemaligen Präsidenten Jemens, Ali Saleh Abdullah, und zwei der obersten Huthi-Führer verhängt werden sollen.
Die Sabotage
Der Schritt der Amerikaner zeigt, dass sie den Berichten von einer Verschwörung des ehemaligen Präsidenten Jemens und der Huthis Glauben schenken.
Die Huthi-Führer sind Abdel Malek al-Huthi, der oberste Leiter der Huthi Bewegung, und Hakim al-Huthi, der Oberkommandierende der Huthi-Milizen. Die Sanktionen sollen ein Reiseverbot und Blockade der im Ausland lagernden Vermögen der drei Personen umfassen. Begründet wird die vorgeschlagene Massnahme damit, dass die drei den Frieden in Jemen gefährden und dass sie versucht hätten, die gegenwärtige Übergangsphase zu einer vollwertigen Demokratie zu sabotieren.
Dies ist zunächst nur ein Vorschlag der USA, der vom Sicherheitsrat behandelt werden muss. Die Verhandlungen zwischen den beteiligten Staaten können noch zu Änderungen des Vorschlags oder zu seiner gänzlichen Ablehnung führen.
Zusammenspiel Ali Salehs mit den Huthis?
Doch der Vorschlag ist für sich genommen schon von grosser Bedeutung, weil er zeigt, dass die USA an die Hintergrundberichte glauben, die seit Wochen verbreitet werden und wissen wollen, der Expräsident habe sich mit den Huthis verschworen, um das gegenwärtige Regime Jemens zu Fall zu bringen. Die über alles Erwarten rasche und leichte Übernahme der Hauptstadt Sanaa durch die Huthis - ohne wirkliche Gegenwehr durch die jemenitische Armee - und die darauf folgende weitere Machtausdehnung der Huthis nach Süden in den Zentraljemen und nach Westen bis ans Rote Meer und in die Hafenstadt Hodeida - ebenfalls ohne Widerstand der Armee - haben Fragen zur Ursache dieser überraschenden Entwicklung aufgeworfen.
Die Theorie von einer Verschwörung der Huthis und des Expräsidenten mit seinen im Lande und in der Armee weiterhin zahlreichen und mächtigen Anhängern könnte diese Geschehnisse erklären. Der Schritt der Amerikaner zeigt, dass es sich auch in ihren Augen um mehr als um eine blosse Verschwörungstheorie handelt.
Ali Saleh lässt dementieren
Die Sprecher des Ex-Präsidenten, der nach wie vor als der Vorsitzende der politischen Partei seiner Anhänger wirkt, die sich der Demokratische Volkskongress (DPC) nennt, zeigen sich empört über die vorgeschlagene Massnahme der Amerikaner. Sie weisen den Vorwurf einer Verschwörung mit den Huthis weit von sich. Sie betonen, dass Ali Saleh als Präsident "vier Kriege" gegen die Huthis geführt habe. Es sei absurd, sagen sie, nun von einer Zusammenarbeit mit ihnen zu reden. Die Sprecher warnen auch, wenn wirklich Sanktionen gegen den früheren Präsidenten ausgesprochen würden, werde die Partei sich weigern, weiterhin an dem gegenwärtigen Übergangsprozess mitzuwirken. Dies würde ihn zum Scheitern bringen.
Um diese Drohung zu verstehen, muss man wissen, dass die Partei Ali Salehs in der letzten Regierung des Landes - die im September durch den Einmarsch der Huthis gestürzt wurde - die Hälfte aller Minister gestellt hatte.
Der Präsident und die Verschwörung
Zu den Hinweisen, dass es doch eine Verschwörung gegeben habe, gehören Anspielungen, die der gegenwärtige Präsident, Abdrabbo Mansur al-Hadi, gegenüber Parlamentariern machte, nachdem die Huthis Sanaa besetzt hatten. Er soll wörtlich gesagt haben: "Ich verstehe, dass ihr schockiert seit. Ihr müst wissen, es ist eine Verschwörung, die alle Vorstellungen übersteigt. Wir wurden in den Rücken gestochen und verraten von innerhalb und von ausserhalb Jemens. Es ist eine Verschwörung über die Grenzen hinaus, an der viele Kräfte mitwirken."
Soll Islah entmachtet werden?
Wenn man diesen und vergleichbaren Hinweisen, von denen es viele gibt, folgen will, muss man die Gesamtlage folgendermassen verstehen: Es gab die erwähnte Verschwörung. Ihr Zweck muss gewesen sein, die Gegenformation zu Fall zu bringen, die in der oben erwähnten letzten Regierung Jemens die andere Hälfte der Minister stellte. Gegenwärtig hat Jemen keine Regierung, nur einen vom Präsidenten mit Zustimmung der Huthis ernannten Regierungschef, der versucht, eine Regierung zu bilden.
Die der Partei Ali Salehs entgegenstehende Formation ist die Parteienkoalition, die sich "Joint Meeting Party" (JMP) nennt und in der "Islah", die Partei der Muslimbrüder, den Ton angibt. Die Politiker dieser Formation hatten unter Ali Abdullah Saleh eine zahme Opposition gebildet. Doch im Zuge der Protestdemonstrationen gegen den damaligen Präsidenten hatten sie sich von ihm losgesagt und waren Gegner des Präsidenten und seiner Anhänger geworden. Sie hatten dann auch mit den ausländischen Kräften zusammengewirkt, die auf ein Ende der Präsidentschaft Ali Salehs drängten und schliesslich seinen Rücktritt erzwangen.
Hohe Militärs auf beiden Seiten
Im militärischen Bereich spiegelte sich die Spaltung der Politiker. Der ehemalige Vertraute des Präsidenten, Generalmajor Ali Mohsen al-Ahmar, stellte sich mit seinen militärischen Anhängern auf die Seite der Demonstranten und wurde zum Partner der Politiker, welche die Absetzung des Präsidenten betrieben. Andere führende Militärs blieben auf Seiten des umstrittenen Präsidenten, besonders sein Sohn, Brigadegeneral Ahmed Ali Saleh, der die Elite Truppe der Präsidialgarde kommandierte.
Die Gegner des früheren Präsidenten erhielten die Unterstützung des Auslands, Saudi Arabiens, der Vereinigten Emirate und Qatars als Hauptkräfte, um den Rücktritt des damaligen Präsidenten zu erzwingen und die Übergangslösung unter dem neuen Präsidenten al-Hadi (gewählt als einziger Kandidat im Februar 2011) zustande zu bringen. In dieser Übergangsphase befindet sich Jemen noch heute.
Die Huthis - Machthebel des Ex-Präsidenten
Zweck der vermutlichen Verschwörung wäre gewesen, die Huthis als Hebel zu verwenden, um die Politiker der "Joint Meeting Parties", unter ihnen überwiegend "Islah", von der Macht zu entfernen. Die Huthis haben in der Tat in Amran, im Juli, bevor sie Sanaa erreichten, den General Ali Mohsen al-Ahmar und seine militärischen Freunde sowie die mit ihnen verbündeten Stämme geschlagen. Ali Saleh nahe stehende Stämme unterstützten dabei die Huthis. Manche Beobachter wollen wissen, eine Milliarde Dollars sei von der Vereinigten Arabischen Republik an diese pro-Saleh Stämme geflossen.
General Ali Mohsen al-Ahmar musste später sein Haus in Sanaa verlassen und um sein Leben fliehen. Durch die Niederlage von Amran wurden die Politiker der anti-Saleh Koalition (JMP) ihres wichtigsten militärischen Partners beraubt. Jene Offiziere, die dem Ex-Präsidenten anhängen oder nahestehen, griffen nicht in die Kämpfe ein und liessen den Huthis den Weg frei, um sich nach der Hauptstadt und darüber hinaus auszudehnen. Die bewaffneten Zivilisten von "Islah" und die mit ihnen verbündeten Stämme, versuchten den Widerstand gegen die Huthis fortzuführen. Doch sie erwiesen sich als unterlegen. Dies erklärt die bis heute andauernde Feindschaft zwischen "Islah"und den Huthis.
Wenn es diese Verschwörung tatsächlich gab, was nun als wahrscheinlich gelten muss, war ihr Ziel von Ali Saleh Abdullah aus gesehen, seine politischen Gegenspieler, die er als Verräter einstufen dürfte, weil sie einst seine Freunde gewesen waren, zu entmachten, indem er die Huthis zu diesem Zweck verwendete. Von den Huthis aus gesehen muss es dabei darum gegangen sein, ihrerseits zur Macht zu gelangen, wobei sie natürlich versuchen werden, ihre gegenwärtige Machtposition als politische Schiedsrichter über den ganzen Jemen beizubehalten.
Zweiter Akt: Expräsident gegen Huthis?
Doch dies dürfte schwerlich den Zielen des früheren Präsidenten und seiner Anhänger entsprechen. Es wäre zu erwarten, dass sie versuchen werden, einen zweiten Akt der Verschwörung in die Wege zu leiten, der zum Machtverlust der Huthis führen soll und zu ihrer eigenen Rückkehr zur Macht. Wobei möglicherweise der ex-Präsident nicht mehr selbst die Macht ausüben, sondern sie einen Sohn, General Ahmed Ali Saleh überlassen will.
Der Kronprinz des Ex-Präsidenten
General Ahmed Ali Saleh wurde von al-Hadi 2012 nach langen Vorbereitungen seines Kommandos über die Präsidialgarde enthoben und als Botschafter Jemens nach den Vereingten Emiraten geschickt. Die Präsidialgarde wurde sodann aufgelöst und ihre Einheiten wurden verschiedenen anderen militärischen Formationen der Armee einverleibt. Doch dem Vernehmen nach gelang es Ahmed Ali Saleh, seinen Einfluss auf seine ehemaligen Untergebenen weitgehend aufrecht zu erhalten. Was die Passivität jener Armeeteile erklären könnte, die sich enthielten, gegen die Huthis einzuschreiten. Man kann sich sogar vorstellen, dass die Aufteilung der einstigen Eliteinheiten auf die anderen Armeebestandteile, jenen eine Möglichkeit bot, im Sinne ihrer früheren Führung auf ihre neuen Kollegen einzuwirken und sie ebenfalls zu einem passiven Verhalten gegenüber den Huthis zu veranlassen.
Die vermutete Rolle der Emirate
Bleibt noch die "internationale Natur" der Verschwörung zu erklären, auf die al-Hadi anspielte. Dies dürfte sich primär auf die Rolle der Emirate beziehen, in denen General Ahmed Ali Saleh als Botschafter wirkt. Abu Dhabi gehört zu den Hauptgeldgebern, die den Übergang im Jemen finanzierten.
Doch Abu Dhabi ist - zusammen mit Riad - in den letzten Jahren zu einem bitteren Gegner und Gegenspieler der Muslimbrüder geworden. Diese wurden und werden, soweit sie noch aktiv sind, von Qatar unterstützt. Der jemenitische "Islah" ist eine der wenigen politisch bedeutend gebliebenen Teile der Bruderschaft, nachdem diese in Ägypten ihre entscheidende Niederlage erlitten hatte. Kairo, Riad und Abu Dhabi sehen die Muslimbrüder nach wie vor als gefährliche Terroristen. Deshalb ist denkbar, dass Abu Dhabi zusammen mit Ali Saleh und mit den Huthis versucht, Islah im Jemen zu entmachten.
Der Aussenseiter al-Qaeda profitiert
Nicht zu der vermuteten Verschwörung gehört Al-Kaida. Doch ihre radikalen Islamisten profitieren indirekt von ihr, weil sie durch die Machtkämpfe und die durch sie entstehende Schwächung der übrigen Formationen Gewicht und Bedeutung gewinnen. Die Al-Kaida-Kämpfer begannen nach dem Vorstoss der Huthis nach Zentraljemen, südlich von Sanaa, als die Hauptkämpfer gegen die "schiitischen" Huthis zu wirken. Sie können dadurch als die "Verteidiger der Sunniten" auftreten und sunnitische Stämme als Verbündete "gegen die Schiiten" mobilisieren. Dadurch verbereitern sie ihre Einflusssphäre.
Allerdings mussten die Al-Kaida-Kämpfer in den letzten Tagen auch grössere Verluste hinnehmen. Die Amerikaner haben am 27. Oktober 20 von ihnen mit einer Drohne bei Rada (Zentraljemen) getötet, und sie meldeten am 4. November den Tod von zwei Anführern, eines der eigentlichen Al-Kaida und eines der südjementischen Al-Kaida-Filiale, die sich Ansar al-Scharia nennt, beide zusammen durch eine Drohne, auch in Zentaljemen.
Regierungsbeteiligung als Mass der Macht
Die intensiven Kämpfe gegen die Huthis fordern die Zusammenziehung von Al-Kaida-Milizen, und solche Konzentrationen geben bessere Ziele für Drohen ab als Einzelgänger und Kleingruppen.
Militäreinheiten der jemenitischen Armee, so wird gemeldet, sollen den Huthis gelegentlich mit Artillerie und anderen schweren Waffen gegen die Al-Kaida-Kämpfer zu Hilfe kommen.
Bei dem gegenwärtigen, nun schon fast vierwöchigen, Ringen darum, wie die neue Regierung des Jemen unter dem ernannten Regierungschef, Khaled Bahah, zusammengesetzt werden soll, geht es einerseits darum, ob und wie weit "Islah" von der Macht verdängt werden kann, aber andererseits auch schon darum, welche Ausgangspositionen die Huthis gegenüber der Macht des ex-Präsidenten (GPC) und seines Sohnes im Hinblick auf das bevorstehende Ringen zwischen den beiden, einnehmen.