Am vergangenen Freitag wurde in Bengasi gekämpft. Es waren die heftigsten Kämpfe, die die zweite Hauptstadt Libyens seit langem erlebte. Die sogenannte "Nationale Libysche Armee", in Wirklichkeit eine der unzähligen Milizen, griff ein Kasernengelände an, in dem mehrere andere Milizen ihren Sitz haben. Ziel waren islamistische Gruppen.
Die Angreifer wurden von Khalifa Beqasim Hafter kommandiert. Er besitzt den Rang eines Generalleutnants. Im Krieg gegen Ghadhafi war er der dritthöchste Kommandant der libyschen Truppen.
Pensioniert aber einflussreich
Damals befehligte er das Heer. Unter Ghadhafi war Hafter ein Offizier der libyschen Armee gewesen. Nach dem Krieg, den Ghadhafi gegen den Tschad führte und der 1987 zu Ende ging, hatte er sich mit ihm überworfen und Libyen verlassen. Er lebte über 20 Jahre im Exil in Nordamerika. Dort gründete er eine "Freie Libysche Armee", von der angenommen wird, dass die CIA sie finanzierte. 2011 kehrte Hafter nach Libyen zurück und übernahm ein Kommando im Kampf gegen Ghadhafi. Heute gilt er als pensioniert. Doch offenbar besitzt er weiterhin bewaffnete Anhänger. Er gilt auch als einflussreich in seinem Stamm, dem der Farjani.
Hafter hatte im vergangenen Februar wieder von sich reden gemacht. Damals trat er in Uniform vor das libysche Parlament und erklärte es für aufgelöst. Die Abgeordneten gingen nach Hause. Doch weiter geschah nichts. Der erwartete Staatstreich blieb aus. Später hiess es, der Generalleutnant werde vor Gericht zur Rechenschaft gezogen werden. Doch offenbar geschah nichts.
Einsatz von Kampfhelikoptern
Die Kämpfe in Bengasi waren nicht nur die blutigsten seit langer Zeit, sie forderten nach letzten Zählungen über 50 Tote und über 100 Verwundete. Die Angreifer setzten mindestens einen Kampfhelikopter ein, möglicherweise mehrere. Da keine Miliz Kampfhelikopter besitzt, muss angenommen werden, dass Hafter auf Hilfe der regulären libyschen Luftwaffe zählen konnte, die einige solcher Helikopter besitzt.
Die offizielle Armeeführung in Tripolis dementierte dies. Doch einige Armee-Offiziere in Bengasi sollen eingeräumt haben, dass Armeeeinheiten bei dem Angriff mitgewirkt hätten. Angeblich Eingeweihte kommentieren den Vorfall so: "Die Libysche Armee gehorcht selten der Führung in Tripolis. Meistens befolgt sie die Weisungen lokaler Kommandanten. Ihre Einheiten sind stark gespalten je nach geographischer Herkunft und Standorten."
Die Islamisten als Ziel der Angriffe
Hafter erklärt, das Ziel seines Angriffs sei gewesen, den "Terrorismus in Bengasi zu beenden". Er wollte offenbar gegen die islamistischen Milizen vorgehen. Doch dieses Ziel hat er nicht erreicht. Seine Truppen gelang es nicht, das Kasernenareal zu erobern.
Hafter erklärte am Samstag einem lokalen Fernsehsender, er habe seine Truppen aus taktischen Gründen zurückgenommen. Doch seine Aktion sei nicht beendet. Sie würde erst enden, wenn die Terroristen vernichtet seien. Er fügte hinzu, "das Volk" von Bengasi stehe auf seiner Seite, da die Bürger endlich Ruhe und Ordnung wünschten. Er forderte die Bewohner der Quartiere, in denen die umkämpfte Kaserne liegt, auf, ihre Häuser zu verlassen. Offenbar war dies als Warnung gemeint, dass es weiter zu Kämpfen mit schweren Waffen kommen werde. Weiter erklärte Hafter, seine Aktion sei kein Staatsstreich. Es gehe ihm nur darum, dem "Terrorismus" ein Ende zu bereiten. Die Regierung von Tripolis habe ihre Legitimität verloren, da sie nicht für Sicherheit sorgen könne.
Flugverbot über Bengasi
In Tripolis erklärten der offizielle Armeekommandant, Nuri Abu Sahmain, und sein Stabschef, Abdul Salam Jadallah, die Handlungen des Offiziers seien illegal. Er bereite einen Staatsstreich vor. Hafter und alle seine Mitarbeiter würden vor Gericht gestellt. Sie kündigten an, der Luftraum über Bengasi sei geschlossen. Alle Flugzeuge, die dort verkehrten, würden abgeschossen. Doch ob sie über die Mittel verfügen, ihre Drohung wahr zu machen, ist unklar.
Am Samstag soll erneut ein Flugzeug eine Stellung angegriffen haben, in der sich Hafters Gegner befinden. Schaden wurde keiner angerichtet.
Bengasi – absichtlich benachteiligt?
Bengasi ist ein besonders ausgeprägter Unruheherd innerhalb des von Unruhen geplagten Landes. In der Cyrenaika sind die islamistischen Milizen stärker vertreten als in Tripolitanien. Zudem kämpfen dort Separatisten für einen Teilstaat Cyrenaika.
Die Bewohner von Bengasi sind der Ansicht, ihre Stadt sei unter Ghadhafi absichtlich vernachlässigt und benachteiligt worden. Jetzt fordern sie Reparationszahlungen. Unterschiedliche Milizen treten als die Vorkämpfer dieser verschiedenen Forderungen auf. Mordanschläge auf offener Strasse sind häufig. Dass die Bewohner der Stadt dieser Zustände müde sind, haben sie mehrmals durch Demonstrationen gegen die bewaffneten Banden gezeigt.
Möglicherweise versucht Hafter diese Stimmung auszunützen und sich als der "Retter des Vaterlandes" aufzuschwingen. Doch bisher ist es ihm offensichtlich misslungen, den anderen Milizen eine entscheidende Niederlage beizubringen, geschweige denn sie zu "liquidieren“, was sein Ziel ist.
Die Kämpfe werfen ein bedenkliches Licht auf die reguläre Armee Libyens. Sie ist mit Hilfe des Auslands im Aufbau begriffen. Ziel wäre es, dass die neue Armee dem Bandenwesen ein Ende bereitet. Dazu müssen die Soldaten erst noch ausgebildet werden. Doch wenn sie weiterhin vom Geist der Milizen beeinflusst werden und gar mit ihnen zusammenarbeiten, statt sie zu bekämpfen, ist wenig von dieser Armee zu erwarten. Unter diesen Umständen ist sie eine der Milizen unter vielen. Dadurch trägt sie noch zusätzlich zur Unsicherheit im Lande bei.