Li Jinzao, Chef der Nationalen Tourismus-Administration, brachte es am Rande des jährlichen grossen Polit-Powwows in einem Interview mit der Tageszeitung «Global Times» – einem Ableger des Parteisprachrohrs «Renmin Ribao» – auf den Punkt. Die vor einem Jahr ausgerufene Toiletten-Revolution, so der umtriebige Li, müsse entschlossen im ganzen Lande und auf allen Ebenen vorangetrieben werden. Obwohl öffentliche Toiletten als nicht gerade wichtiges Thema gelten, seien dennoch davon alle Bürger und jeder in- und ausländische Tourist davon betroffen, stellte Li treffend fest. Viele Leute hätten Schwierigkeiten, innert nützlicher Frist Toiletten zu finden, und bemängelten einen niedrigen Hygiene-Standard.
Sternen-Toiletten
Li kündigte an, dass im laufenden Jahr in Stadt und Land 170‘000 neue Lokusse gebaut und 80‘000 auf einen höheren Stand verbessert werden. Bereits im vergangenen Jahr wurde ähnlich viel gebaut und renoviert. Ein grosser Teil der diesjährigen «Revolution» wird sich darauf konzentrieren, die öffentlichen WCs auf A-Standard zu bringen. In China heisst das, die Räume mit Wasserklos und Händewaschmöglichkeiten auszustatten sowie für Behinderte und Kinder speziell einzurichten. Es heisst aber auch, Einzel-Toiletten und nicht wie bis vor einiger Zeit Plumpsklos mit bis zu acht Plätzen ohne Zwischenwände. Zudem sind pro Quadratmeter nicht mehr als drei Fliegen erlaubt. In Peking und andern Grossstädten werden die öffentlichen Bedürfnisanstalten mit bis zu fünf Sternen bewertet.
Es versteht sich von selbst, dass die Abgeordneten der «Zwei Sessionen» in der Grossen Halle des Volkes ihre kleinen und grossen Geschäftchen – Xiao Bian und Da Bian auf Chinesisch – in einer top-hygiensichen Kleinen Halle mit Fünf-Stern-Standard verrichten. Aber auch wenn sich die Politiker ausserhalb der Grossen Halle befinden, kommen sie mit ihrer Notdurft in der Hauptstadt Peking nie in Not. Es gibt über 20‘000 öffentliche Toiletten im Herzen Chinas. Das sind 25 Toiletten pro Quandratkilometer, wie die städtischen Statistiker zahlenverliebt feststellen. Somit gibt es innerhalb der Vierten Ringstrasse alle 350 Meter ein Klo, so dass man auch in grösster Not nicht mehr als fünf Minuten gehen – oder rennen – muss. Aber auch wer zwischen der vierten und fünften Ringstrasse unterwegs ist, findet alle 500 Meter Erleichterung. Was für ein Fortschritt! 1949, als die Kommunisten die Macht übernommen haben, gab es gerade einmal 500 öffentliche Plumps-Klos in Peking.
Zivilisation
Die «Revolution» freilich betrifft nicht nur die grossen chinesischen Metropolen. Denn es handelt sich um nicht weniger als eine Frage der «Zivilisation», wie sich ein Volkskongress-Abgeordneter auszudrücken beliebte. Neben der Zivilisation freilich geht es auch um volkswirtschaftliche und gesundheitliche Fragen. Der Tourismus wird immer mehr zu einem Stützpfeiler der sich zu Dienstleistungen und Konsum hin orientierenden Volkswirtschaft. Saubere Toiletten, welcher Tourist und welche Touristin wüsste das nicht, sind dabei nicht von zu unterschätzender Bedeutung.
Saubere Toiletten freilich sind auch für die Volksgesundheit nicht zu vernachlässigen. Nach Fu Yanfen, Wissenschafter bei der Chinesischen Präventions- und Kontrolle-Behörde, sind rund 80 Prozent der ansteckenden Krankheiten wie Durchfall oder Cholera auf mangelnde Toilettenhygiene zurückzuführen. In der südöstlichen Provinz Jiangsu, wo bislang am meisten Fortschritte erzielt worden sind, weiss man um die Schwierigkeiten. «Die meisten Dorfbewohner,» so der Parteisekretär Wang Zhigang von Tanggou, «sind an ihre Art, die Toilette zu benutzen, gewöhnt. Es ist schwierig, das zu ändern.»
Bill und Melinda Gates fördern Dünger
Einer der Gründe: Bauern benutzen die Exkremente als Dünger. Doch neue Trocken-Toiletten sollen das Problem lösen. An der Lösung des Problems beteiligt ist auch die Bill and Melinda Gates Foundation. China hat sich zum Ziel gesetzt, die von der UNO festgelegten Gesundheits-Ziele zu erreichen: 75 Prozent aller ländliche Regionen müssten bis Ende des laufenden Jahres mit hygienischen Klos ausgerüstet sein. China hat das Uno-Ziel sogar auf 85 Prozent bis 2020 erhöht.
Die «Revolution» ist natürlich nicht kostenneutral. Die Kommunen zahlen meist die Zeche. Allerdings erhalten Bauern bei Bau oder Renovation ihres «Hüslis» nach dem von der Zentrale gesetzten Standard Subventionen. An eine Toilettensteuer, wie sie die alten Römer unter Kaiser Vespasian vor zweitausend Jahren kannten, denkt in China niemand. Die Pissoirs in Paris heissen noch heute Vispasiennes und in Italien Vespasiani, obwohl sie heute gratis sind. Doch der pragmatische Kaiser Vespasian hielt seinem Sohn Titus ein Geldstück der Steuer unter die Nase und rief aus: «Pecunia non olet». Streift man heute durch die Pekinger Altstadt, kann man trotz «Revolution» nicht «non olet» sagen. Denn die öffentlichen Gemeinschafts-Toiletten in den Hutongs riechen um nicht zu sagen stinken hundert Meter gegen den Wind. Besonders im Sommer.
Non olet!
Aber um gerecht zu sein, vieles hat sich in den letzten dreissig Jahren verändert. Ihr Korrespondent hat zu Beginn seiner Arbeit in Peking 1986 bereits eine erste «Toiletten-Revolution» erlebt. Damals gab es einen Wettbewerb für die beste öffentliche Bedürfnisanstalt. Als Recherchier-Journalist liess ich es mir natürlich nicht nehmen, alles genau zu prüfen und aus erster Hand zu erproben. Die Leser hatten damals noch solche Ansprüche. Nun, ich möchte dem geneigten Leser und der klugen Leserin von heute Details meiner Recherchen auf den Plumsklos ersparen. Nur soviel: Sieger wurde eine öffentliche Toilette, deren Aufseher die Räume putzte, eine Woche geschlossen hielt und kurz vor Eintreffen der Jury literweise Eau de Javel an Wände, Decken, Boden und Plumsklo vergoss. Non Olet!