Klares italienisches Bekenntnis zu Europa, Höhenflug der „5 Sterne“-Protestpartei, Renzi in der Beliebtheitsskala nur noch auf Platz zwei – das sind die Ergebnisse der jüngsten Meinungsumfrage des Instituts „Demos“ im Auftrag der Römer Zeitung „La Repubblica“. Im Gegensatz zu den britischen Meinungsforschern geben ihre italienischen Kollegen meist ein valables Bild von der Stimmung im Land.
Laut der letzten Befragung von Demos wollen 66 Prozent der Italienerinnen und Italiener in der EU bleiben. Nur 26 Prozent wollen die EU verlassen. Das klare Ergebnis erstaunt, weil in jüngster Zeit auch in Italien die Anti-EU-Stimmen laut geworden sind.
Nur die Lega ist gegen die EU
Die Anhänger aller Parteien, mit Ausnahme der fremdenfeindlichen Lega Nord, sprechen sich klar für den Verbleib in der EU aus. Am EU-freundlichsten sind die Linken: Nur 10 Prozent der Anhänger von Renzis sozialdemokratischem Partito Democratico (PD) wollen aus der EU austreten. Bei der Linksaussen-Partei SEL sind es nur 8 Prozent.
Auch unter jenen, die für Berlusconis Rumpfpartei „Forza Italia“ stimmen, wollen nur 27 Prozent die EU verlassen. Dass sich die Lega Nord-Sympathisanten mit 59 Prozent für den „Italexit“ aussprechen, erstaunt nicht. Die Lega, die dem französischen Front National von Marine Le Pen in nichts nachsteht, trommelt seit Jahren gegen den „Koloss in Brüssel“.
Pro-europäische „5 Sterne“
Interessant ist das Ergebnis der aufstrebenden Protestbewegung „Movimento Cinque Stelle“ (M5S) des Ex-Komikers Beppe Grillo. Die Partei ist ideologisch schwer einzuordnen, sie ist einmal links, einmal rechts, doch fremdenfeindlich ist sie nie. Aber auch M5S-Politiker poltern immer wieder mal gerne gegen Brüssel.
Die Umfrage zeigt jetzt, dass nur ein gutes Drittel, 36 Prozent, der M5S-Sympathisanten gegen die EU sind.
Die Umfrage des Instituts Demos wurde nach der Brexit-Abstimmung zwischen dem 27. und 29. Juni durchgeführt. Die Fehlerquote beträgt nach Institutsangaben 3,1 Prozent.
63 Prozent für den Euro
Erstaunlich ist auch das Ergebnis zum Euro. Wie wurde in den letzten Monaten in Italien der Euro an den Pranger gestellt! Er wurde für alles verantwortlich gemacht, für die hohen Preise, den schleppenden Wirtschaftsgang und die Arbeitslosigkeit.
Die Demos-Umfrage zeigt nun, dass 63 Prozent der Italiener für den Euro sind. 11 Prozent der Befragten sagen, der Euro bringe „nur Vorteile“, 52 Prozent sind der Ansicht, der Euro bringe zwar „einige Komplikationen, sei aber für Europa wichtig“. 32 Prozent sind für eine Rückkehr zur Lira.
„5 Sterne“ – stärkste Partei
Demos befragte die Italiener auch nach ihren politischen Präferenzen. Welche Partei legt zu, welche schwächelt? Welche Politiker sind populär, welche fallen zurück?
Zum ersten Mal hat die oppositionelle „5 Sterne“-Bewegung die regierenden Sozialdemokraten von Ministerpräsident Matteo Renzi knapp überholt.
- Würden heute Wahlen stattfinden, würden 32,2 Prozent der Italienerinnen und Italiener für die „5 Sterne“ votieren. Das ist ein Sprung von 5 Prozent im Vergleich zu einer Umfrage vom April.
- Renzis Partito Democratico kann sich mit 30,2 Prozent halten und legt sogar ganz minim zu.
Hinter den „5 Sternen“ und den Sozialdemokraten „herrscht Leere“, kommentiert La Repubblica das Ergebnis. Tatsächlich, die politische Landschaft wird immer mehr von zwei Parteien dominiert.
- Berlusconis Forza Italia ist auf 11,5 Prozent geschrumpft und spielt im politischen Diskurs kaum mehr eine Rolle.
- Auch die laute Lega Nord fällt zurück und liegt jetzt bei 11,8 Prozent.
Der Höhenflug der „5 Sterne“ hat sicher mit den Bürgermeisterwahlen in Rom und Turin zu tun. Die auch international fast exzessiv mediatisierte Wahl der attraktiven „5 Sterne“-Kandidatinnen Virginia Raggi und Chiara Appendino haben der Partei fast einen Sturm in die Segel geblasen.
Renzi nur noch auf Platz 2
Das wirkt sich auch auf die Beliebtheitsquote der Politiker aus. Luigi Di Maio, der 30-jährige Vizepräsident der Abgeordnetenkammer und einer der Anführer der „Cinque Stelle“, ist plötzlich der beliebteste Politiker Italiens.
- Im Vergleich zum April hat Di Maio 6 Prozent zugelegt und liegt jetzt bei 41 Prozent.
- Matteo Renzi bleibt stabil bei 40 Prozent.
- Beppe Grillo legte um 8 Prozent zu und liegt jetzt bei 38 Prozent.
- Auch Silvio Berlusconi, dessen grosse Herzoperation einen Mitleidenseffekt produzierte, macht einen Sprung nach vorn und kommt auf 32 Prozent.
Dass die Sozialdemokraten den ersten Platz ganz knapp eingebüsst haben, gefällt Renzi sicher nicht. Doch allzu grosse Sorgen sollte er sich noch nicht machen.
Jetzt müssen sie liefern
Die hochgejubelten „5 Sterne“ politisierten bisher einzig aus der Opposition heraus. Sie haben bisher nichts Konkretes geleistet. Jetzt müssen sie liefern. Und dann könnte auch ihre Stunde der Wahrheit kommen. Zwei schöne Bürgermeisterinnen in Rom und Turin genügen bald einmal nicht mehr.
Renzi hingegen hat schon geliefert. Er hat bereits einige wichtige Gesetze durchgebracht. Er hat nicht nur Versprechen abgesondert, sondern auch Konkretes geleistet. Eine Alternative zu ihm gibt es im Moment nicht. Die Zeit könnte für ihn arbeiten – und gegen die „5 Sterne“. Wenn klar wird, dass auch die „Cinque Stelle“ nicht das sofortige Heil auf italienische Erden bringen, werden sie wohl wieder nüchterner bewertet werden.
Lähmendes Politsystem
Trotzdem droht Renzi Gefahr. Im Oktober stimmen die Italiener über eine Verfassungsreform ab, die der Senat in zweiter Lesung gutgeheissen hatte.
Um in Italien ein Gesetz durchzubringen, dauert es oft Jahre. Das lähmte das Land und jeden Fortschritt. Vorlagen wurden manchmal jahrelang von einer Kammer zur andern geschoben – und wieder zurück, und wieder zurück. Die Reform sieht vor, dass der Senat, die zweite Kammer, entmachtet wird.
Zudem soll die Partei, die am meisten Stimmen erhält, mit zusätzlichen Sitzen belohnt und damit gestärkt werden. So soll sie entschluss- und regierungsfähiger gemacht werden. Dann können endlich Reformen verabschiedet werden.
Gefahr von rechts und links
Auch Berlusconi hatte sich einst für diese Wahlrechtsreform ausgesprochen. Er schlug sich auf die Seite Renzis und glaubte, ihn so an die Leine nehmen zu können. Als ersichtlich wurde, dass es umgekehrt herauskam und dass Renzi Berlusconi an die Leine nahm, scherte Berlusconi aus und entwickelte sich zum scharfen Gegner der Wahlrechtsreform.
Doch nicht nur die Mitte-rechts-Parteien sind dagegen. Auch in Renzis eigener Partei gibt es eine starke Opposition. Entscheidend wird nun sein, wie sich die „5 Sterne“-Anhänger verhalten.
Sorgen muss Renzi auch breiten, dass seine eigene Partei immer mehr zerstritten ist. Vor allem der linke Flügel opooniert immer heftiger gegen ihn. Es gelingt ihm immer weniger, die verschiedenen Strömungen seiner Partei in Schach zu halten. Als Parteichef taugt Renzi weniger denn als Ministerpräsident.
„... dann trete ich zurück“
Wie auch immer: Renzi muss noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Würde er die Abstimmung verlieren, könnte dies sein politisches Ende bedeuten. „Wenn ich verliere, trete ich zurück“, erklärt er immer wieder.
Diese Drohung könnte Wirkung zeigen. Denn Renzi ist im Moment ein sicherer Wert, der dem Land Stabilität bringt. Würde er gehen, würden sich die italienischen Politiker wieder einmal zerfleischen – in ihrer theatralischen und traditionell masochistischen Art.