Dem internationalen Finanztechnokraten und Muslim aus dem Norden, Alassane Ouattara, muss die Situation irgendwie bekannt vorkommen. Nach dem Tod des Unabhängigkeitspräsidenten Felix Hophouet-Boigny 1993, der seit der Unabhängigkeit von 1960 sowohl eisern wie flexibel regiert hatte, weigerte sich Ouattara zunächst als Premierminister abzutreten und dem designierten Präsidentennachfolger Konan Bédié freie Bahn zu lassen.
Die Franzosen übten als wichtigster "Partner" der Elfenbeinküste Druck aus und taten das damals - im Gegensatz zu heute - noch sehr ungeniert. Aber Ouattara gab fortan seinen Machtinstinkt, den man ihm vorher als Technokraten nicht zugetraut hatte, nicht mehr auf.
Ouattara als Quereinsteiger
Houphouet-Boigny hatte nie einen Premierminister neben sich geduldet. Er berief Ouattara, der zuvor Gouverneur der Westafrikanischen Bank, dann ein stellvertretender Direktor beim FMI gewesen war, als unpolitischen Aufseher des FMI an seine Seite, als die fetten Jahre des Kakao-Booms in der Elfenbeinküste zu Ende waren. 1990 erlaubte "der Alte" dann auch das Mehrparteiensystem, das der senegalesische Dichterpräsident Senghor einmal als die "Büchse der Pandora" bezeichnet hatte.
Der Pluralismus gestattete Gbagbo den Aufstieg vom Gewerkschaftsführer und illegalen Kontestatär des Systems Hophouet-Boigny zum wichtigsten Oppositionspolitiker mit seiner 1982 gegründeten Partei FPI (Front populaire ivoirien), die er auch in der Sozialistischen Internationale hoffähig machte (diese hat unzimperlich auch die Partei des tunesischen Diktators Ben Ali als fragwürdiges Mitglied). Seit seinem Exil in Paris war er mit dem PS liiert, wenn auch nicht mit Mitterrand, der den offiziellen Kontakt mit seinem Amtsgenossen Hophouet-Boigny pflegte.
Im Oktober 2000 wurde Gbagbo nach einem Staatsstreich zum ordentlichen Sieger der Präsidentenwahl erklärt, nicht zuletzt dank gutem Zureden der Franzosen - genau umgekehrt wie heute. Ouattara war von Konan Bédié als "Ausländer" (wegen familiärer Bindungen an Burkina-Faso) von allen Wahlen ausgeschlossen worden. Gbagbos Stellung selbst wurde ab 2002 durch eine Rebellion von Soldaten vorwiegend aus dem Norden unterminiert.
Die Rebellion, unter anderem im Nachbarland Burkina Faso vorbereitet, war eine Reaktion auf die Wirtschaftskrise, die den muslimischen Norden ebenso traf wie den reicheren christlichen Süden mit seinem Kakao, ferner auf den im Süden geschürten Ausländerhass unter Ausnützung der Krise - von dem sich die nördlichen muslimischen Ethnien wegen starker Verwandtschaften mitbetroffen fühlten - sowie auf einen wachsendem autokratischen Populismus von Gbagbo. Der französische PS hielt ihn - mit wenigen Ausnahmen - ab 2004 für "nicht mehr frequentierbar".
Geteiltes Land
Seit dieser Rebellion, angeführt vom heutigen Premierminister von Ouattara, Guillaume Soro, ist Côte d'Ivoire faktisch geteilt: in den von den "Forces nouvelles" kontrollierten Norden mit der Baumwoille und den Diamanten und in den von Gbagbo beherrschten Süden mit der Hafenstadt Abidjan als wirtschaftlicher Drehscheibe und dem Kakao als goldene Quelle für die Finanzierung privater Milizen, politischer Organisationen und zur Bereicherung des herrschenden Clans. Seit 2003 war der anfängliche Bürgerkrieg, den die französichen Truppen, die seit der Unabhängigkeit in der Elfenbeinküste stationbiert blieben, im Süden zugunsten von Gbago entschieden hatten, in Scharmützel abgeglitten und es herrschte eine relative Ruhe. Sie führte 2007 zum Abkommen von Ouagadougou (der Hauptstadt von Burkina Faso) zwischen Gbagbo und Soro. Soro wurde Premierminister und wartet jetzt an der Seite von Ouattara wieder als als Premierminister auf seine Stunde (erst 39jährig ist er zu jung als Präsidentschaftskandidat).
Die Karriere von Soro zeigt, ähnlich wie vordem diejenige von Gbagbo und Ouattara, dass politische Biographien in Afrika nicht aufgrund von ideologisch-ideellen Kriterien nachgezeichnet werden können. Ethnische Bindungen sind ebenso entscheidend wie reiner Opportunismus und wechselnde persönliche Verpflichtungen in einem komplizierten Parallelogramm der Macht.
Der neue Jungtürk von Gbagbo, der in den Medien vielzitierte Charles Blé Goudé ist keine Ausnahme. Er war Präsident der Fesci (der linken Studentenbewegung) nach Soro und als selbsternannter "General der Strasse" wichtiger Anzettler der Ausschreitungen gegen "das Ausland" (Franzosen und Uno-Mitarbeiter vor allem) von 2003, was ihm Sanktionen der Uno eintrug. Gbago machte ihn nach seinem "Wahlsieg" zum Jugend- und Arbeitsminister. Als Chef der sogenannten "Jungen Patrioten" hatte sich Blé Goudé eine milizartige Hausmacht aufgebaut, über die er heute nur noch beschränkt kommandieren kann. Er hat sich, was den Jüngeren nicht entging, hinter ihrem Rücken auch schamlos bereichert (wie sein Patron Gbagbo es ihm vorgemacht hatte).
Verbrechen gegen die Menschenrechte
Die hausgemachten und aus Liberia rekrutierten Milizen ermöglichten Gbagbo einen Terror, der nur schwer nachzuweisen war und ist. Todesschwadrone und Massengräber für die Opfer von Ouattaras Anhängern sind diesmal noch nicht schlüssig nachgewiesen. Aber eine Klage gegen Gbagbo vor dem Internationalen Menschenrechtshof in Den Haag ist in Vorbereitung und könnte nur durch ein Abkommen über Machtverzicht mit Zusicherung von Immunität abgewendet werden können. Dies schlugen die USA und die afrikanischen Vermittler bereits vor.
Ohne ein Nachgeben von Gbagbo würde ein Bürgerkrieg oder aber das Eingreifen einer Ecowas-Truppe unausweichlich. Ouattara, der nicht über die gleichen Machtmittel wie Gbagbo verfügt (Armee, Milizen, staatliches Radio- und Fernsehen), schliesst den Bürgerkrieg nach einigem Zögern jetzt aus, nicht aber eine auswärtige Kommandoaktion zur Entfernung von Gbagbo. Drei Präsidenten der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas), die unter dem Präsidium Nigerias steht, die schon zweimal eine Vermittlung versucht haben, stiessen bisher auf die Unnachgiebigkeit von Gbagbo, der ständig neue Finten - wie die Nachzählung der Stimmen - erfindet, um im Amt bleiben zu können und den Konflikt der endgültigen Abnutzung auszusetzen.
Keine Seite will eingreifen
Die Ecowas hat mehrmals mit dem Eingreifen gedroht, aber auch Gbagbo weiss, dass ihren 15 Mitgliedern damit nicht sehr ernst ist. Nigeria hat im April Präsidentenwahlen, die anderen Staaten, meist frankophone, sind mit Friedensmissionen ohnehin überfordert und auf anderweitige Hilfe angewiesen (Uno, Frankreich, die USA). Die westlichen Staaten würden eine "afrikanische Lösung" vorziehen, da ihr Eingreifen in Côte d'Ivoire noch mehr böses Blut schaffen würde.
Frankreich hatte sein ursprüngliches Kontingent von 4000 Mann (das noch Gbagbo schützte) auf 700 reduziert, um seine 15'000 Staatsangehörigen und natürlich seine bedeutenden Wirtschaftsinteressen zu schützen. Gbagbo schiebt schon alle Schuld auf die bösen "Neokolonialisten", die ihm an den Kragen wollen. Die Ecowas-Missionen in Liberia und Sierra Leone sind zudem nicht vergleichbar mit einem allfälligen komplizierteren Eingreifen in der Elfenbeinküste und auch in anderer Hinsicht kein ermutigendes Beispiel.
Abgang Gbagbos nicht die ganze Lösung
Wirkungungsvoll wäre es, Gbagbo und seine breitere Entourage von ihren Konten abzuschneiden und mit Reiseverbot zu belegen. Die Westafrikanische Zentralbank, die USA und die EU haben erste Schritte in dieser Richtung verfügt. Aber das Aushungern bedeutet nicht unbedingt die Vermeidung des Bürgerkrieges. Beide Lager, Gbagbo weit mehr allerdings als Ouattara, haben Erfahrung mit schmutzigem Krieg, den sie als "Gleichgewicht des Terrors" rechtfertigen, dem im letzten Jahrzehnt schon Tausende von Unschuldigen zum Opfer gefallen sind. Eine Friedenslösung müsste auch dieses Konfliktpotential nach einem allfälligen Abgang von Gbagbo - vorzugsweise in ein ausländisches Exil - eindämmen und neutralisieren, was lange dauern wird.