Die Männer interessieren sich nicht für die junge Frau. Sie interessieren sich für das Ding, auf dem sie sitzt. Der Scooter, der da durch die engen Römer Gassen saust, ist ein auferstandenes italienisches Kultobjekt.
Vor 41 Jahren wurde seine Produktion in Italien eingestellt. Viele Tränen flossen damals. Pathetische Nachrufe jagten sich. Ein Kapitel in der italienischen Industriegeschichte war zu Ende.
Jetzt ist sie wieder da: die Lambretta, die echte. Die ersten Modelle waren 1947 auf den Markt gekommen. Ihren Namen hat sie vom Mailänder Fluss Lambro. Produziert wurde sie von einem Unternehmer, der während des Kriegs hunderttausende Bomben und Geschosse herstellte.
Scooter-Boom
Die Lambretta stand immer ein wenig im Schatten der grossen Vespa, die ein Jahr früher auf den Markt kam. Sowohl die Lambretta als auch die Vespa brachten den kriegsgeplagten Italienern etwas Freiheit. Nur wenige konnten sich einen Fiat Topolino leisten. So fuhr man denn nach dem Krieg mit dem Roller ans Meer, in die Berge oder in andere Städte.
Heute steigen viele Italienerinnen und Italiener vom Auto auf den Scooter um. Die Motorräder erleben einen Aufschwung. Die engen Gassen der Drei-Millionen-Stadt Rom sind hoffnungslos verstopft. Autofahren ist eine Plage. Den Rollern gelingt es, an den stehenden Kolonnen vorbeizuschwirren.
Die Scooter gehören zu Rom wie das Kolosseum oder die Engelsburg, wie das Pantheon oder der Tiber. Verewigt wurden die zweirädrigen Flitzer auch in mehreren Filmen. Audrey Hepburn und Gregory Peck kurven in Roman Holiday auf einer Vespa durch die Stadt. Fellini hat die Vespa in La dolce vita weltberühmt gemacht. Auf Dutzenden von Wespen rast eine Horde Journalisten der üppigen Anita Ekberg nach.
Solche Ehre ist der Lambretta nicht widerfahren. Trotzdem wurde auch sie zu einer Ikone der italienischen Industriegeschichte. „La signora“ wurde sie damals genannt – oder „La Lady“.
Vehikel für die Arbeiterklasse
Produziert wurde sie bis 1971 von der Industriefirma Innocenti, die einst vor allem Röhren und dann Kriegsmaterial herstellte. Geleitet wurde die Firma vom legendären Industriepatron Ferdinando Innocenti. Er pflegte gute Beziehungen zu allen Kriegsparteien und unterstützte auch finanziell die Partisanen. Das half ihm nach dem Krieg. Die Anlage befand sich in der via Pitteri im Mailänder Vorort Lambrate, der nach dem Fluss Lambro benannt ist. Beim Rückzug der Deutschen aus Italien liess Generalfeldmarschall Kesselring einen grossen Teil der Industrieanlage abbauen und nach Deutschland transportieren.
Nach dem Krieg wollte Ferdinando Innocenti ein preisgünstiges Vehikel für die Arbeiterklasse bauen. Vielleicht machte er dann einen grossen Fehler. Er verhandelte mit Oberst Corradino D’Asciano, einem Helikopterpiloten, über den Bau eines Scooters. Doch Innocenti zerstritt sich mit ihm. D’Asciano ging zu Piaggio und konstruierte die Vespa.
“Lahme Berta“
Doch dann wurde 1947 die erste Lambretta gebaut, ein Produkt voller Unzulänglichkeiten. Es fehlte an Geld und Rohmaterial. Die Produktion lief schleppend an. In der deutschen Schweiz erhielt die Lambretta den unschönen Übernamen „Lahme Berta“. Dann folgten verbesserte Modelle. 1951 wurden schon 7000 Stück pro Monat produziert. 25 Prozent der Produktion konnte ins Ausland verkauft werden. Mit NSU in Deutschland schloss man einen Lizenzvertrag.
Während Jahren hatten sich Vespa und Lambretta öffentlich gestritten, wer denn schneller fahren könne. Beide Firmen bauten Prototypen, die fast wie Geschosse oder Bobschlitten aussahen. Lambretta soll mit 201 Kilometer pro Stunde den Geschwindkeitsrekord aufgestellt haben.
Ab Ende der Fünfzierjahre erlebte Italien einen wirtschaftlichen Aufschwung. Immer mehr Leute kauften ein Auto. Mitte der Sechzigerjahre begann der Absatz von Scooters zu lahmen. Zudem waren manche der Ansicht, die Lambretta sei zu teuer. Piaggio begann früher als Lambretta die Produktion zu automatisieren und konnte die Vespa günstiger produzieren.
Das Ende
1967 versuchte man noch das Steuer herumzureissen. Der Star-Designer Nuccio Bertone wurde damit beauftragt, die Lambretta neu zu designen. Doch alles nützte nichts. 1971 wurde in Italien die letzte Lambretta produziert. Im Ausland, in Spanien und in Südamerika, wurde die Lambretta noch einige Jahre in Lizenz gebaut, in Indien bis 1997.
Luigi Innocenti, der Sohn des grossen Firmengründers, hatte grosse Träume. Er wollte nicht nur die Lambretta bauen, sondern auch ein Auto. Ende der Fünfzigerjahre begann die Zusammenarbeit mit British Leyland. Sie brachte die Produktion eines eigenen Innocenti Mini und war anfänglich ein Erfolg. Doch längerfristig übernahmen sich die Italiener. Die starke Konkurrenz von Fiat machte Innocenti das Leben schwer. 1991 wurde Innocenti an Fiat verkauft. 1993 wurde der letzte Innocenti Mini gebaut.
Neugeburt
Jetzt denkt niemand mehr an eine Innocenti-Autoproduktion. Jetzt aber kurvt die Lambretta wieder durch die italienischen Städte. Bereits werden verschiedene Modelle angeboten, mit verschieden starken Motoren, mit Zweigang- und Viergangschaltung. Alessandro Tartarini ist der Konstrukteur der neuen Lambretta. Er stammt aus einer italienischen Motorrad-Dynastie. Sein Vater Leopoldo hatte die Firma Italjet Moto gegründet. Während die Ur-Lambretta weiss war, werden ihre Nachfolger in verschiedenen Farben angeboten.
Gebaut wird die neue Lambretta im Moment ein wenig überall, auch im Ausland, auch im fernen Osten. Das soll zum Teil auch so bleiben. Man will die einzelnen Teile dort produzieren lassen, wo „die Erfahrung des Personals und die Technologie am entwickeltsten ist und es erlauben, die besten Resultate zu erzielen“. So heisst es in der Eigenwerbung. Jetzt wird eine Lambretta-Produktionsstätte in Ghisalba in der Provinz Bergamo eröffnet.
Ferdinando Innocenti, der 1966 verstorbene Vater der Lambretta, war ein ruhiger Mann, der die Öffentlichkeit und Partys scheute. Man sagt ihm nach, dass er ausser den Buchhaltungsbüchern nie ein Buch gelesen hat. Seine Passion war das Kino. Sein grösster Wunsch war, dass seine Lambretta einst Star in einem grossen Film würde. Wird dies die neue Lambretta schaffen?