Mit der deutschen Afro-Amerikanerin Chenoa North-Harder und René Pfister, USA-Korrespondent des Spiegels, und Verfasser des Bestsellers «Ein falsches Wort» diskutiert Tim Guldimann, wie im Kampf gegen Diskriminierung liberale Grundsätze verletzt werden können.
Ihre eigene Diskriminierung erlebte North-Harder als Identitätskrise: «Für mich war es vor allem in jungen Jahren sehr schwer in Deutschland. Dass die Grundannahme von jedem, der mit mir redet, immer ist, dass ich nicht Deutsche bin, ist einfach verletzend.»
Verstehen die privilegierten alten weissen Männer diese Diskriminierung vielleicht gar nicht? Und sollten sie sich deshalb gar nicht dazu äussern dürfen? North-Harder hält das für Humbug, denn «durch eure Sichtweisen, könnte ich versuchen zu verstehen, wie es dazu kommt, dass ich erlebe, was ich erlebe. Das einzig Wichtige ist aber, dass man verstehen muss, dass man diesen Schmerz nicht nachvollziehen kann, vor allem den systematischen Schmerz, der sich über Generationen zieht.»
Soll die Gleichberechtigung verordnet werden, zum Beispiel durch das Gendern in öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, in Zeitungen oder staatlichen Dokumenten? North-Harder: «Wieso denn nicht?» Ist es so anstrengend zu gendern und dadurch Menschen mit einzuschliessen, die sich sonst ausgeschlossen fühlen und dadurch verletzt sind?» Pfister ist zwar für die Nennung beider Geschlechter – Lehrer und Lehrerinnen – aber gegen den Genderstern, weil die Leute das nicht wollen. Das Gendern als Sprache einer akademischen Elite schliesse viele Leute aus.
Was macht man mit historisch belasteten Erbschaften, wie geht man in Berlin beispielsweise mit der Mohrenstrasse um? Pfister findet, dass man im öffentlichen Raum keine Namen mit klarer rassistischer Konnotation beibehalten solle, wenn dazu unter den Betroffenen Konsens bestehe. Dagegen North-Harder: «Strassennamen sollten auf gar keinen Fall geändert werden, das ist Teil der Geschichte Deutschlands.» Auf rassistische und kolonialistische Reminiszenzen solle aber mit Informationstafeln hingewiesen werden.
Kulturelle Aneignung: Darf ein Weisser Othello spielen oder eine afrikanische Frisur tragen? North-Harder ist dafür offen, hält aber die kommerzielle Verwertung in der Modebranche etwa von traditionellen Haartrachten oder Kleidung aus Ghana für problematisch.
Das Kernargument seines Buches ist für Pfister, dass «nicht nur in den USA, sondern auch in Europa ungefähr die Hälfte der Menschen sagen, sie können nicht mehr offen darüber reden, was sie denken, nicht mehr offen ihre Meinung sagen. Und was man in Amerika über die letzten 15 bis 20 Jahre erlebt hat, ist, dass aus einer berechtigten Frustration darüber, dass Gleichberechtigung nicht da ist, versucht wurde, den liberalen Rechtsstaat und die Prinzipien der Meinungsfreiheit zumindest zu hinterfragen.»
Journal 21 publiziert diesen Beitrag in Zusammenarbeit mit dem Podcast-Projekt «Debatte zu dritt» von Tim Guldimann.