Wer Israel, seine Gründungsjahre und die vorläufige Unlösbarkeit des israelisch-palästinensischen Konflikts tiefer verstehen will, sollte Amos Oz’ bewegenden autobiographischen Roman «Eine Geschichte von Liebe und Finsternis» lesen. Der Autor verwebt darin die hintergründige eigene Familiengeschichte, in der die Grenzen zwischen Tragödie und Komödie manchmal verschwimmen, mit der Geschichte des jüdischen Staates. Er war bei dessen Gründung im Jahre 1948 neun Jahre alt.
Aus Klausner wird Oz
Eine wichtige Rolle im Kosmos von Amos Oz’ Familiensaga spielt sein Grossonkel Joseph Klausner. Er war ein zu seiner Zeit renommierter Gelehrter, der mit seinem Buch «Jesus von Nazareth» in Israel Aufsehen erregte. Klausner vertrat darin die These, dass Jesus eigentlich gar keine Religion habe gründen wollen, sondern nur als eine Art Reformator beabsichtigte, das Judentum auf seine undogmatischen Ursprünge zurückzuführen. Allerdings sei Jesus in dieser Sicht auch nicht als Sohn Gottes zu betrachten.
Mit dieser Interpretation seines Onkels, die zu einer vertieften Annäherung zwischen jüdischer und christlicher Religion führen sollte, könne er sich ohne weiteres identifizieren, erklärte Oz vor einigen Jahren im Gespräch. Weder die jüdische noch die christliche Obrigkeit hat sich bisher mit Klausners Gedankengängen anfreunden können.
Als 15-Jähriger, zwei Jahre nachdem sich seine Mutter das Leben genommen hatte, zog Amos Oz in einen Kibbuz. Es war eine Flucht aus zerbrochenen Familienverhältnissen. Die Eltern waren anfangs der 1930er Jahre aus Osteuropa in Palästina eingewandert. Den eigenen Namen Klausner änderte er in den Namen Oz um, was hebräisch Kraft bedeutet. 30 Jahre lang hat Oz in der Kibbuz-Gemeinschaft gelebt und gearbeitet. Auch von diesen Erfahrungen erzählt sein autobiographischer Roman auf packende Weise.
«Liebe Fanatiker»
Das erst in diesem Jahr auf Deutsch erschienene Buch von Amos Oz trägt den gleichzeitig herausfordernden und im besten Sinne friedensbewegten Titel «Liebe Fanatiker». Der Autor widmet es seinen vier Enkeln. Das schmale Bändchen enthält drei Essays, in denen Oz sich vor dem Hintergrund seiner eigenen Lebenserfahrungen mit der Frage auseinandersetzt, wie man zum Fanatiker werden kann und was man aus der Geschichte über die Exzesse des Fanatismus lernen kann. Es versteht sich, dass Amos Oz dabei vor allem Erscheinungen von politischem und religiösem Fanatismus im Zusammenhang mit dem seit hundert Jahren brodelnden israelisch-palästinensischen Konflikt unter die Lupe nimmt.
Eindringlich kommt er auch auf Gründe für den Untergang früherer israelischer Reiche zu sprechen. Von frühester Kindheit an, erzähle man den Leuten, dass die Zerstörung des Zweiten Tempels in Jerusalem durch die Römer auf interne Streitigkeiten und grundlosen Hass unter dem eigenen Volk zurückzuführen sei. Das Gleiche werde auch zur Zerstörung des Ersten Tempels durch die Babylonier erzählt.
Doch das seien falsche Erklärungen, schreibt Amos Oz. «An den früheren Zerstörungen sind die Fanatiker schuld, die jedes Mass und jeden Sinn für die Realität verloren und das Volk Israel hochmütig zu einer Auseinandersetzung mit Mächten geführt hatten, die um ein Vielfaches stärker gewesen waren als sie selbst. Auch dem Staat Israel von heute drohe eine ähnliche Gefahr, meint der Autor, «wenn unsere jetzigen Fanatiker weiterhin mit dem Kopf gegen die Wand rennen».
Zwei Staaten in Palästina
Amos Oz gehörte zwar zu den Mitgründern der inzwischen politisch zu einer Randbewegung gewordenen und zersplitterten Friedensbewegung in Israel, aber er war nie ein naiver Pazifist. Er diente mehrere Jahre in der Armee und war aktiver Soldat im Sechstagekrieg von 1967. Doch er blieb bis zu seinem Tod überzeugt, dass nur durch die Schaffung eines zweiten Staates für die Palästinenser an der Seite Israels eine einigermassen stabile und gerechte Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts möglich sein werde. Weil die Regierung Netanyahu sich trotz früherer Lippenbekenntnisse nie ernsthaft für dieses Projekt eingesetzt hat, macht Amos Oz in seinem Essay-Band «Liebe Fanatiker» aus seiner Abneigung gegen diese Führung auch kein Geheimnis.
In einem Interview im deutschen Fernsehen wartete er zur umstrittenen Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem mit einer verblüffenden Idee auf. Alle Länder, meinte er, sollte Präsident Trumps Beispiel folgen und ihre Botschaften ebenfalls nach Jerusalem verlegen. Aber gleichzeitig, fügte er hintergründig hinzu, sollten alle diese Länder eine eigene Botschaft in Ostjerusalem als Hauptstadt des palästinensischen Staates eröffnen.
Israel ist durch das Verstummen dieser starken, unbestechlichen und mitfühlenden Stimme ärmer geworden. Aber auch all jene werden sie vermissen, die die Möglichkeit einer Friedenslösung für den verwickelten Palästinakonflikt nicht prinzipiell für eine Fata Morgana halten.