Bislang war das ergeblich. Vielleicht kann Asad die Ereignisse gar nicht mehr steuern. Jedenfalls gehen die Unruhen weiter. Der saudische König Abdullah hat Syrien in undiplomatisch scharfen Tönen verwarnt, entweder das Assad Regime müsse sofortige echte Reformen durchführen oder es habe ein Chaos zu gewärtigen. Gleichzeitig wurde der saudische Gesandte für Konsultationen nach Hause berufen, und sämtliche Golfstaaten zogen ihre Spitzendiplomaten ebenfalls ab.
Auch der türkische Aussenminister Davutoglu kam nach Damaskus. Er diskutierte dort sechs Stunden lang mit dem Staatschef. Dann kehrte er nach Ankara zurück - offensichtlich unverrichteter Dinge. Unmittelbar nach seiner Abreise gab Syrien bekannt, das Land werde sich nicht fremden Einmischungen beugen.
Keine Wirkung auf Asad
Sowohl die Türkei wie Saudi Arabien haben sich bisher bemüht, mit guten Ratschlägen und freundlichen Worten auf Damaskus einzuwirken. Die beiden sind die wichtigsten Partner Syriens in Nahost. Beide haben bedeutende Interessen in Syrien, die Türken in erster Linie kommerzielle und wirtschaftliche, die Saudi mehr politische, zu verteidigen. Doch beide scheinen einzusehen, dass mit freundschaftlichem Zureden nichts mehr zu retten ist. Sie versuchen es nun mit drohenden Mahnungen, doch auch diese werden wahrscheinlich wirkungslos verpuffen.
Die syrischen Gesprächspartner, offenbar bis hinauf zum Staatschef, bleiben bei ihren Standardantworten. Sie bestehen darauf, dass das Regime in Wirklichkeit populär sei. Es habe nur gegen bewaffnete Banden zu kämpfen, die vom Ausland aufgehetzt würden. Es habe ja zudem auch bedeutende Reformen angekündigt, die demnächst verwirklicht würden.
Mahnungen, aber keine Gewalt
In Wahrheit stehen diese Reformen nur auf dem Papier, während die Realität der gewaltsamen Niederhaltung der Bevölkerung zur Tagesordnung gehört. Die Gesprächspartner von Damaskus wissen dies. Sie fordern deshalb als Vorbedingung für alle Reform Schritte ein Ende der Gewalt gegen die syrische Bevölkerung. Doch Damaskus weigert sich, die Lage im eigenen Land auch nur zur Kenntnis zu nehmen, und vermeidet es dadurch, über sie sprechen zu müssen.
Viel mehr als drohen und mahnen können die aussenstehenden Regierungen nicht. Eine gewaltsame Intervention würde wahrscheinlich dazu führen, dass das Regime zum Krieg gegen die fremde Einmischung aufriefe, wobei es - vielleicht nicht bei allen aber doch bei grossen Teilen der Syrer - selbst bei Demonstanten ein patriotisches Echo fände. Jedenfalls droht jede Gewaltanwendung von Aussen, die negativen Entwicklungen in Syrien, welche die Nachbarn vermeiden möchten, nur zu beschleunigen.
Schwerer Schaden für die die Nachbarn
Was die bisherigen politischen Partner Syrien befürchten, ist Chaos und Bürgerkrieg in Syrien. Die Türkei sähe dadurch nicht nur ihre unter Erdogan erfolgreich begonnene Aussenpolitik von "Null Problemen mit den Nachbarn" gescheitert, sondern auch die bedeutenden wirtschaftlichen Interessen in Frage gestellt, die die Türkei in den letzten Jahren als Exportland und als Unternehmer im technologischen und im Baubereich in Syrien erworben hatte.
Saudi Arabien war bisher in Syrien und im benachbarten Libanon vor allem darauf bedacht, als Gegengewicht gegen den Einfluss Irans zu wirken und aufzutreten. Die Saudis fürchten sich sehr vor der iranischen Expansion im arabischen Raum. Sie sehen vor allem die arabischen Schiiten als potentielle Verbündete und Instrumente des iranischen Schiismus, von dem sie annehmen, er gehe darauf aus, die sunnitische Welt zu erschüttern und zu untergraben. Saudi Arabien sieht sich als die Schutzmacht aller Sunniten. Schiitische Mehrheiten gibt es im Irak, in Libanon, in Bahrain und schiitische Minderheiten in Saudi Arabien selbst, in Kuwait und in geringeren Zahlen im ganzen Golf. Dies sind jedoch arabische Schiiten mit ihren eigenen Loyalitäten, die nicht notwendigerweise mit dem iranischen Regime übereinstimmen.
Der Kampf der Saudi gegen Iran
Doch die Saudi können auf die seit gut vierzig Jahren funktionierende Achse Iran-Syrien-Hizbullah in Libanon verweisen, und auch die Machtverschiebung im Irak, welche die amerikanische Invasion des Landes bewirkt hat, scheint ihnen sehr gefährlich zu sein. Im Irak regieren, als Folge des amerikanischen Eingriffs und im Zeichen der Demokratie die Schiiten an Stelle des früheren Staatsvolks der Sunniten. Ein bitterer Bürgerkrieg hat diesen Machtwechsel begleitet, und Iran ist bestrebt, seine Zusammenarbeit mit den irakischen Schiiten zu fördern.
Die Saudis sehen hinter diesen Entwicklungen einen systematischen Plan der Iraner, die sunnitische Welt zu unterwandern. Damit letzten Endes auch Saudi Arabien selbst. Dies dürfte auch der Grund für die riesigen Waffenkäufe sein, die Saudi Arabien in den USA tätigt.
Syrien als Transmissionsriemen für Iran
Syrien dient in dem von den Saudis vermuteten Gesamtplan schiitischer Expansion als ein Bindeglied zwischen Iran und den beiden Guerilla Gruppen, Hizbullah im Libanon und Hamas in Gaza. Hamas findet Hilfe in Teheran, obwohl es sich um eine sunnitische Gruppierung handelt. Die Waffen und Gelder fliessen aus Iran über Syrien zu den beiden westarabischen Kampf- und Politgruppierungen. Diese bilden Zellen iranischen Einflusses in der westlichen arabischen Welt.
Syrien selbst ist der älteste Verbündete der iranischen Revolution im arabischen Raum. Erst neuerdings rückt auch der Irak unter Ministerpräsident Maleki in freundschaftliche Nähe zu Teheran.
Saudi Arabien als Gegengewicht gegen Iran
Saudi Arabien war bisher immer darauf bedacht, als ein Gegengewicht gegen den iranischen Einfluss in Syrien zu wirken, indem es für gute Beziehungen zwischen der alawitischen Präsidentenfamilie und der sunnitischen Mehrheit der Syrier eintrat. Zu diesem Zweck hatten die Saudis ein enges Verhältnis zu Asad und den syrischen Machthabern gepflegt und bisher aufrecht erhalten.
In Libanon sind die Saudis die Partner und Schutzherren Saad Hariris, des sunnitischen Widerspielers von Hizbullah, der zu Beginn dieses Jahres durch die Machtspiele von Hizbullah aus seiner Position als Ministerpräsident Libanons vertrieben wurde.
Saudi Arabien ohne politischen Partner
Die traditionelle Politik Saudi Arabiens in Syrien ist unhaltbar geworden, seitdem die sunnitische Bevölkerung zu grossen Teilen im Widerstand gegen Asad steht und dafür einen schweren Blutzoll bezahlt. Es gibt immer wieder unbestätigte Berichte darüber, dass iranische Revolutionswächter den syrischen Militärs mit Waffen und guten Ratschlägen in ihrem Kampf gegen die "Rebellen" zu Hilfe kämen. Sie können dabei, wenn dies wirklich der Fall sein sollte, auf ihre Erfahrungen mit dem Volksaufstand der Iraner vom Sommer 2009 hinweisen, den sie niederschlugen.
Die Saudis dürften derartige Berichte ernst nehmen. Sie stimmen mit ihrer Beurteilung der Gesamtlage überein, die Iran als die Quelle eines schiitischen Einflussstrebens im gesamten Raum ansieht.
Ohne Zweifel würde wachsendes Chaos in Syrien den Iranern tatsächlich reichlich Gelegenheit bieten, ihren Einfluss dort auszubauen. Dies dürfte ein Hauptgrund dafür sein, dass Saudi Arabien verzweifelt nach Mitteln sucht, die Unruhen irgendwie zu beenden. Doch wirksame Hebel, die die Aussenwelt einsetzen könnte, um einen baldigen Wechsel zu bewirken, fehlen.
Ein wachsender innerer Graben
Deklarationen und Mahnungen werden schwerlich wirken. Im täglichen Geschehen sind die Dinge zu weit gegangen. Die Erschiessungen und Folterungen der syrischen Bürger haben ein Eigengewicht. Es bewirkt, dass die Schergen und Aktivisten, die in die Untaten verwickelt sind, immer deutlicher spüren, dass sie selbst Vergeltungsakten ausgesetzt wären, wenn es zu einer Aussöhnung käme. Wahrscheinlich sieht sich die gesamte alawitische Gemeinschaft in dieser Gefahr, obwohl es nur einzelne alawitische Offiziere, Elitetruppen, Sicherheitskommandanten, Bandenführer und Machthaber sind, die das syrische Regime tragen und verteidigen. "Mitgefangen mitgehangen!" dürften viele Alawiten urteilen, und deshalb glauben sie sich als Gemeinschaft gezwungen, nicht nachzugeben und das Regime zu verteidigen, koste es was es wolle.
Unter den gegenwärtigen Umständen ist es nicht einmal sicher, dass Präsident Baschar al-Asad wirklich noch das Kommando führt. Jedenfalls gibt er beständig Versprechen ab und erklärt sogar, er erlasse Gesetze, die keinerlei praktische Wirkung zeigen. Einmal, zu Beginn der Unruhen, hat er, nach seinen Erklärungen, seinen Truppen verboten, das Feuer auf die Demonstranten zu eröffnen. Sie schiessen aber täglich nicht nur mit Gewehren, sondern auch mit Tank Kanonen.
Er hat auch im April dieses Jahres erklärt, der Sonderzustand, der in den vergangenen Jahrzehnten, den syrischen Sicherheitsleuten die legale Grundlage gab, um beliebig mit der Bevölkerung umzuspringen, sei beendet. Doch seither wüten die Sicherheitsleute noch viel brutaler. Sie machen damit deutlich, das sie keinerlei legale Basis für ihre Untaten benötigen. Sie brauchen wohl auch keine Zustimmung oder Ablehnung von Seiten des Präsidenten. Der Willen von Maher al-Asad, des jüngeren Bruders des Präsidenten, der ihren Einsatz leitet, dürfte ihnen genügen.
Eine Stadt und ein Dorf nach dem andern...
Auf der Gegenseite jedoch klingen die Demonstrationen nicht ab. Eine gewisse Routine ist erkennbar. Die Demonstranten übermannen in dieser oder jener Provinzstadt oder auch in kleineren Flecken durch ihre grosse Überzahl die lokalen Behörden. Für kurze Tage wagen die offiziellen Regierenden kaum, sich zu zeigen. Auch die Polizei verschwindet von den Strassen. Die Bevölkerung demonstriert immer zahlreicher. Doch nach Tagen oder auch Wochen kommt die syrische Armee mit ihren Tanks. Sie umzingelt die Ortschaft, schneidet Wasser und Elektrizitätszufuhr ab und bemächtigt sich zuerst der umliegenden Orte und Außenquartiere. Dann, oft Tage darauf, fahren die Tanks in die Stadtzentren ein. Eröffnen das Feuer aus ihren Kanonen, offenbar wenig gezielt, um die Strassen zu leeren und einige Häuser zu beschädigen. Die Bewohner haben nur die Wahl, entweder zu fliehen oder sich in ihre Häuser zurückzuziehen. Dort wird das Wasser knapp und allmählich fehlen die Lebensmittel.
Einzug der Schergen
Nach Tagen der Besatzung ziehen die Sicherheitsleute von Haus zu Haus und nehmen Verhaftungen vor. Manchmal haben sie Listen von gesuchten "Ruhestörern", manchmal scheinen sie arbiträr vorzugehen. Viele der Demonstranten sagen, sie würden es vorziehen, erschossen zu werden, als in die Hände der Sicherheitsleute zu fallen. Wenn das geschieht, müssen sie jedenfalls mit Misshandlungen, möglicherweise auch mit gezielter Folter rechnen, die dazu dienen soll, sie zu Aussagen über ihre Gefährten zu zwingen. Manche der Gefangenen kommen nach Tagen oder Wochen wieder frei. Andere verschwinden. Nach welchen Kriterien die Schergen vorgehen, ist unbekannt. In vielen Fällen geht es wohl einfach darum einzuschüchtern und Angst zu verbreiten. Die Tanks werden nach einiger Zeit wieder abgezogen. Jedoch die Sicherheitsleute bleiben länger.
Während dies vor sich geht, brechen die Demonstrationen an anderen Orten aus. Alle gleichzeitig vermögen weder die Truppen noch die Sicherheitsleute "zu behandeln". Dieses Geschehen hat in den letzten Wochen das ganze Land durchzogen, von Süden nach Norden, dann Richtung Osten. Hama, Homs, Tratus, Deir az-Zor, waren die gösseren Orte, die längere Zeit in Anspruch nahmen und mehr Todesopfer kosteten.
Über Grenzorte an der jordanischen, an der libanesischen und an der türkischen Grenze war etwas mehr zu erfahren als über die Städte und Flecken des Inneren, weil Teile der Bevölkerung über die Grenzen flohen. Überall sucht das Regime das Geschehen vor Aussenstehenden zu verbergen.
Umkämpftes Prinzip der Gewaltlosigkeit
Die Presse wird nicht zugelassen, obgleich in den letzten Wochen einige Journalisten nach Damaskus einreisen durften. Dort stehen sie jedoch unter genauer Aufsicht der Behörden. Die Geheimhaltung dient den Behörden, um ihre Version von den "aufständischen Banden", die bekämpft werden müssten, aufrecht zu erhalten. Sie wird natürlich auch über das staatliche Fernsehen verbreitet.
Es kommt offenbar vor, dass Gruppen von Demonstranten in Zeitpunkten, in denen die Truppen mit ihren Tanks ausserhalb der Ortschaften stehen und sich auf den Einsatz im Inneren vorbereiten, improvisierte Barrikaden aus Steinen und Abfallkübeln errichten. Dies in der Illusion, die Truppen am Eindringen zu verhindern. Manchmal haben die Aufrichter von solchen Hindernissen offenbar auch einige Waffen. Dies liefert den Regierungspropagandisten Stoff, um ihre These von "den Banden" zu stützen und zu illustrieren.
Die Rolle der Shabbiha Milizen
Die Organisatoren der Demonstrationen suchen daher solche Aktionen zu unterbinden. Sie betonen stets die Notwendigkeit von Gewaltlosigkeit. Sie unterstreichen auch regelmässig, dass das ganze Volk demonstriere unabhängig von Zugehörigkeit zu dieser oder jener Religionsgruppe. Damit suchen sie der Entwicklung entgegenzuwirken, die beinahe unvermeidlich auf Spaltungen zwischen den Sunniten und den Alawiten hinausläuft.
Je mehr es zu solchen Spaltungen auf konfessioneller Grundlage kommt, desto grösser wird die Gefahr eines Bürgerkrieges, in dem sich die verschiedenen Konfessionen bewaffnen und konfrontieren.
Die Demonstranten werfen der Regierung vor, sie arbeite auf solche Spaltungen hin, indem sie alawiten Milizen einsetze, die sogenannten Shabbiha, bei denen es sich um bewaffnete Banden von Kriminellen handelt, die schon vor den gegenwärtigen Unruhen im Schutz von Regimepolitikern Schmuggelaktionen und andere ungesetzliche Handlungen durchführten. Es sind meist Alawiten, und sie werden gegenwärtig als Mitarbeiter der Sicherheitskräfte und der Armee eingesetzt, um Aufgaben von besonderer Brutalität und Grausamkeit zu übernehmen. Sie wirken auch als Provokateure, um die Regierungsthese von den "bewaffneten Banden" zu stützen.
Ruhe in den beiden wichtigsten Städten
Die Demonstrationen haben weder Damaskus noch Aleppo erreicht. Es gibt wohl mehrere Gründe dafür. In den beiden zentralen Grosstädten besteht eine sehr dichte Polizei- und Geheimdienstpräsenz. Doch es gibt dort auch offensichtlich grössere Bevölkerungsgruppen, welche die Demonstrationen ablehnen. Der Reichtum des Landes ist in diesen beiden Städten konzentriert. Beide besitzen auch ein alteingesessenes Händler- und Bürgertum. Diese Leute haben von der Stabilität des Regimes profitiert, welches Vater und Sohn Asad während vierzig Jahren aufrecht erhielten.
Sie blicken eher misstrauisch darauf, was ihnen eine "revolutionäre" Zukunft nach dem Sturz des Regimes bringen könnte. Natürlich gibt es auch in diesen Städten viele Personen und Familien, die direkt vom Regime abhängig und eng mit ihn verbunden sind. Sie würden ihre Stellen und Privilegien verlieren, wenn es zu Fall käme.
Demonstrationen gibt es typischerweise in den Vorstädten und Aussenquartieren von Damaskus und Aleppo. Dort leben keine Privilegierten. Doch die Polizei ist sofort in Massen zur Stelle, wenn die unzufriedene Vorstadtbevölkerung sich zu regen versucht. Sie kann nur selten bis ins Stadtinnere vordringen.