Es geschah am 15. November 1989 kurz nach 22 Uhr. El Salvadors Guerillaverbände der FMLN (Frente Farabundi Martí de Liberación Nacional) hatten in den letzten Tagen erstmalig in dem bereits neun Jahre andauernden Bürgerkrieg die Kasernen in der Hauptstadt angegriffen und sogar den Präsidentenpalast und die Privatresidenz des Präsidenten unter Beschuss genommen. Die FMLN-Verbände kontrollierten weite Teile San Salvadors. Oberst Guillermo Alfredo Benavides, Direktor der Militärakademie und Chef des „Sicherheitskommandos des Militärkomplexes“, zu dem die Militärakademie, das Verteidigungsministerium, das Stabshauptquartier, die Nationale Nachrichtenabteilung sowie die Wohnbezirke der Militärs gehörten, kam gerade aus einer Sitzung des Generalstabs. „Niedergeschlagenheit“ herrschte unter den Offizieren, die „langsam verzweifelten, weil sie die feindliche Offensive immer noch nicht kontrollieren konnten.“ Man hatte „drastischere Massnahmen“ beschlossen, um der Rebellenattacken Herr zu werden. Man diskutierte über „die Notwendigkeit, die Subversion zu enthaupten“. Stabschef René Emilio Ponce befahl, „die Anführer, Gewerkschaftsfunktionäre und bekannte Sympathisanten der FMLN (zu) eliminieren.“
In der Militärakademie zitierte Oberst Benavides zwei Offiziere in sein Büro: „Die Situation ist, entweder sie oder wir. Fangen wir mit den Köpfen an. In unserem Operationssektor liegt die Universität, und dort ist Ellacuría.“ Schon lange hatte die Militärführung Ignacio Ellacurías Bemühungen um eine Beilegung des bewaffneten Konflikts misstrauisch verfolgt. Sie hielt den spanischen Jesuiten, Karl-Rahner-Schüler und Rektor der katholischen „Universidad Centroamericana José Simeón Cañas“ (UCA) ohnehin für einen FMLN-Sympathisanten und die UCA für eine „Zufluchtsstätte der Subversiven.“ Nun gab Oberst Benavides Befehl, den Geistlichen „aus dem Weg (zu) räumen, und ich will keine Zeugen.“ Leutnant José Ricardo Espinoza, der einst an der ebenfalls von Jesuiten geleiteten Schule „San José“ bei Padre Segundo Montes sein Abitur abgelegt hatte, den er heute ebenfalls ermorden sollte, wandte ein: „Das ist eine schwerwiegende Angelegenheit.“ Doch sein Vorgesetzter beruhigte ihn: „Mach dir keine Sorgen, du hast meine volle Unterstützung.“
Drohungen, Morde und Lügen
Gegen Mitternacht bezogen über 300 Soldaten, darunter ein Sonderkommando des berüchtigten Atlacatl-Bataillons, rund um das nahegelegene Universitätsgelände, auf den Dächern und vor den Unterkünften der gelehrten Padres Position. Mit Gewehrkolben brachen sie die Türen auf, jagten sechs Professoren, Angehörige des Ordens vom Herzen Jesu, aus ihren Betten ins Freie und erschossen El Salvadors Intelligenz. In zerstörerischer Wut zerschossen und zertrümmerten sie Universitätseinrichtungen, raubten Gegenstände aus dem Besitz der Geistlichen und 5000 Dollar und pinselten ans Eingangstor zum Campus „Die Guerilla richtete die Spitzel. Sieg oder Tod. FMLN“, um den Verdacht auf die linken Rebellen zu lenken.
„Ich persönlich kann mir kaum vorstellen, was das für Tiere sind, die kaltblütig Priester und unschuldige Zivilisten umbringen“, machte Washingtons Botschafter in San Salvador, William Walker, „Terroristen“ der linken Guerilla für die Tat verantwortlich und bot jedem Zeugen, „der Licht in das Verbrechen bringen kann“, US-Schutz an.
Hektische Betriebsamkeit herrschte in den darauffolgenden Wochen in Washington und San Salvador. Zunächst informierte sich eine US-Regierungsdelegation vor Ort. Dann stellte eine Kommission des Repräsentantenhauses eine Untersuchung an. Daraufhin schickte das State Department General Maxwell Thurman, Chef des Kommandos Süd der US-Streitkräfte, aus Panama nach San Salvador, um sich – wie es hiess – der Kooperation des salvadorianischen Offizierscorps zu versichern. Eine „Ehrenkommission“ der salvadorianischen Armee ermittelte, die US-Bundespolizei FBI ermittelte, Richter Ricardo Zamora ermittelte – doch all die eifrigen Untersuchungen erbrachten keine Ergebnisse. Niemand schien wirklich an Aufklärung interessiert. Der Vorsitzende der „Ehrenkommission“ weigerte sich, gegen Vorgesetzte zu ermitteln. Der amerikanische Geheimdienst CIA unterdrückte Beweismaterial mit dem stereotypen Hinweis, dass „die Dokumente Sicherheitsbelange der Nation“ berührten. Die Militärs verstrickten sich „vom ersten Ermittlungstag an in eine Konspiration des Schweigens und der Lügen“, beobachtete der US-Abgeordnete Joseph Moakley, der Vorsitzende der Kongresskommission.
In den Fängen des FBI
Die einzige Zeugin, die Köchin Lucía Barrera de Cerna, die in der Mordnacht „fünf uniformierte Männer“ gesehen hatte, als sie in die Unterkünfte der Priester eindrangen, meldete ihre Beobachtung anderntags den Jesuitenoberen. Die Ordensbrüder baten Diplomaten der spanischen und französischen Botschaften um Hilfe, um Lucía Barrera sicher in ein Ordensheim in Florida bringen zu können. Als Botschafter Walker von dem Plan erfuhr, drängte er Frankreichs Botschafter, US-Botschafts- sowie FBI-Personal in der bereitgestellten französischen Militärmaschine mitfliegen zu lassen, „um eine problemlose Ankunft in den Vereinigten Staaten zu erleichtern“.
Doch als die Maschine in Miami landete, hatte das State Department bereits die Kontrolle übernommen. Man brachte Lucía Barrera und ihren Mann in ein Hotel. Von dem Ordensheim der Societas Jesu war keine Rede mehr. Tag für Tag verhörten FBI-Beamte Lucía Barrera und setzten sie unter Druck, ihre Aussage zu widerrufen. Eines Tages stiess auch noch Oberstleutnant Manuel Antonio Rivas aus El Salvador zu den Verhörspezialisten – jener Rivas, der als Chef der von den USA aufgebauten „Sondereinheit zur Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen der Streitkräfte“ nach Meinung Moakleys und des amerikanischen „Lawayers Committee for Human Rights“ vorrangig damit beschäftigt war, „die Hintergründe des Verbrechens zu vertuschen“.
Isoliert, ohne Anwalt, zum ersten Mal in ihrem Leben in einem fremden Land und erschreckt durch die Anwesenheit des salvadorianischen Offiziers, verlor Lucía Barrera die Nerven: „Ich fürchtete mich vor diesen Männern. Ich hatte nicht mehr das geringste Vertrauen. Da sagte ich: ‚Nein, ich weiss überhaupt nichts‘“, berichtete sie später vor einem Kongressausschuss (Moakley-Report vom 30. April 1990). Nach neun Tagen, in denen sie ständig aggressiven Verhören ausgesetzt war, widerrief sie ihre Aussage. Nun erst entliessen sie die FBI-Beamten in die Obhut der Gesellschaft Jesu, wo sie wieder zu ihrer ursprünglichen Aussage zurückkehrte.
Sofort erklärte El Salvadors Justizminister Lucía Barrera zu einer „sehr unglaubwürdigen Zeugin“. Frau de Cerna, die inzwischen in einem Versteck in den USA lebte, wurde „eher als Verdächtige denn als freiwillige Zeugin behandelt“, urteilten Kongressabgeordnete: „Ein bedauerliches Ergebnis dieser Affäre ist, dass Zeugen in diesem oder anderen Menschenrechtsfällen in El Salvador nun wohl weniger bereit sind, sich zu melden und Schutzangebote der USA anzunehmen.“
Und San Salvadors Erzbischof Arturo Rivera y Damas beschuldigte das State Department aufgebracht, Lucía Barrera einer „Gehirnwäsche“ unterzogen sowie „aggressiven und heftigen Verhören“ ausgesetzt zu haben. Weihbischof Gregorio Rosa Chávez hatte „zusammen mit Erzbischof Rivera y Damas und vielen Zeugen mehr“ gehört, wie Soldaten per Megaphon in den Strassen verkündeten: „Jetzt fielen die Jesuiten. Machen wir weiter, Kommunisten zu töten.“ Wenig später hörten die beiden Geistlichen dieselbe Stimme erneut über Megaphon: „Wir sind die Soldaten der I. Brigade.“
Die störenden Aussagen eines US-Majors
Blanker Terror herrschte nun in dem kleinen mittelamerikanischen Land. Militär und Todesschwadronen nutzten die nächtliche Ausgangssperre für Verfolgungen, Verhaftungen und Mord. Zwölf ausländische Mitarbeiter der lutherischen Kirche, darunter sechs Deutsche, wurden 24 Stunden von der Finanzpolizei festgehalten und verhört. Erst nachdem sie sich in einem vorgefertigten Dokument selbst als Terroristen beschuldigten, wurden sie freigelassen und des Landes verwiesen. Neun Mitarbeiter der „Comadres“, ein Zusammenschluss von Angehörigen Verschwundener, Ermordeter und politischer Gefangener, wurden verhaftet. Eine 41 Jahre alte Amerikanerin wurde zusammen mit einem dreissigjährigen Landsmann zwei Tage lang von Verhörbeamten misshandelt, ehe sie im Beisein eines US-Konsulatsbeamten unterschrieben hatte, gut behandelt worden zu sein, und entlassen wurde. Der Vorsitzende der sozialdemokratischen Partei, Guillermo Ungo, floh vor Morddrohungen nach Venezuela. Der Generalsekretär der Partei, Héctor Oqueli Colindres, wurde entführt und gemeinsam mit seiner Fahrerin erschossen. Die Botschaft Nicaraguas schloss nach einer Serie anonymer Drohungen und flog ihr gesamtes Personal aus. Polizisten drangen in die Kirche „San Roque“ ein und prügelten auf 55 Menschen ein, die dort vor den Kämpfen in ihrer Gegend Schutz und Zuflucht gesucht hatten. Sie suchten den Ortspfarrer, Pedro Cortés. „Schlagt so lange zu, bis sie sagen, wo der Pfaffe ist“, feuerte der kommandierende Offizier seine Leute an.
Am 2. Januar, sechs Wochen nach den Morden auf dem Campus, meldete sich ein sichtlich nervöser Major Erick Warren Buckland, einer von rund 100 amerikanischen Militärberatern in El Salvador, bei seinem Vorgesetzten in der US-Botschaft, Oberstleutnant William Hunter. „Ich weiss, wer es tat. Am 20. oder 21. Dezember“ habe ihm sein salvadorianischer Kontaktoffizier, Oberst Carlos Armando Avilés Buitrago, unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählt: „Oberst Benavides hat in einem Gespräch mit dem Vorsitzenden der Untersuchungskommission (die Ehrenkommission der Streitkräfte) gesagt, er habe es getan.“ Benavides war seinerzeit Direktor der Militärakademie. Schon früher habe ihm Avilés gesagt, die Padres seien in Gefahr, und sie wollten es auf die traditionelle Art erledigen, indem sie einfach ein paar Priester töten“, gab Buckland in Washington unter Eid zu Protokoll. „Avilés sagte mir, Benavides gehöre zur alten Schule und sei immer noch ‚der Hammer‘.“
Im FBI-Hauptquartier in Washington enthüllte der Major die nächste schockierende Nachricht: Der Stabschef, Oberst Emilio Ponce, „wusste von Benavides Plänen“, die Jesuitenpadres umzubringen.
Bei einer vom Chef der amerikanischen Militärmission angeordneten Gegenüberstellung in Gegenwart von Stabschef Emilio Ponce stritt Avilés plötzlich alles wieder ab. Er habe „nicht die leiseste Idee, woher Bucklands Informationen über Benavides“ stammten, jedenfalls nicht von ihm. Da er den Major doch kaum kenne, habe er „keinen Grund, ihm etwas zu erzählen und so seine Karriere (zu) ruinieren.“ Der US-Major hingegen behauptete, zwischen ihm und dem salvadorianischen Obersten habe sich „innerhalb kurzer Zeit eine gute, berufliche und persönliche Beziehung entwickelt.“
Aussergerichtliche Vernehmungen und ballistische Untersuchungen aller Waffen des Atlacatl-Bataillons führten schliesslich doch zur Verhaftung von Oberst Benavides und acht weiteren Soldaten. Ein neunter desertierte und entkam der Festnahme. „Wir haben eine Gruppe von Soldaten festgenommen, die schuldig sind, und das genügt“, erklärte Vizeverteidigungsminister Orlando Zepeda.
Dass Benavides der ranghöchste Offizier sein sollte, der in die Mordsache verwickelt ist, wurde von der Kirche bezweifelt, von amerikanischen Abgeordneten und sogar von Militärs. „Benavides gehorchte. Es war nicht seine Entscheidung. Sie gaben ihm den Befehl“, glaubte der Oberst im Ruhestand, Sigfredo Ochoa und verwies auf verdächtige Vorgänge im Vorfeld der Mordnacht.
Demnach war Ignacio Ellacuría Anfang November von Präsident Alfredo Christiani gebeten worden, ein wenige Wochen zurückliegendes Massaker zu untersuchen, das vom Oberkommando der Armee befohlen worden sein sollte, und dem zehn Gewerkschaftsfunktionäre zum Opfer gefallen waren. Wenige Tage später, am 13. November, nahmen Mitglieder des erst kurz zuvor gebildeten Sicherheitskommandos des Atlacatl-Bataillons eine Haussuchung in den Unterkünften der Jesuiten vor. „Diese Haussuchung unterschied sich erheblich von früheren“, berichtete danach ein Ordensbruder der Gesellschaft Jesu. „Die Soldaten suchten nicht wie sonst üblich Waffen oder anderes sogenanntes subversives Material. Sie wollten nur wissen, wer in welchem Raum schläft.“
Zwei Tage später durchsuchten Soldaten erneut vier Stunden lang die Wohnräume der Professoren. Als die Truppe gegen 18 Uhr abzog, drohte ein Offizier Pater Saenz, sie kämen wieder, „Jesuiten umlegen.“ Um zwanzig Uhr desselben Tages fand eine Sitzung des Generalstabs mit allen Kommandeuren der diversen, in der Hauptstadt stationierten Truppenverbände statt, in der aber nach Auskunft aller Beteiligten „nicht über die UCA oder die Jesuiten gesprochen wurde.“ Der San Francisco Examiner zitierte jedoch in einem Bericht US-Militärquellen, wonach auf besagter Konferenz die Forderung gestellt wurde, „alle Köpfe der Terroristen um(zu)legen“.
Erst Monate später erwähnte Präsident Christiani eine weitere Sitzung in jener Mordnacht, an der er zwischen 23 und 2.30 Uhr teilgenommen habe. „Die Militärs hielten ihn die ganze Zeit von der Aussenwelt abgeschirmt. Enge Vertraute von ihm sagen, seine einzige Informationsquelle in all den Tagen der Guerillaoffensive sei das Radio gewesen“, berichtete ein Jesuitenpater. „Er durfte in jener Nacht für Ellacuría nicht erreichbar sein. Die beiden kannten sich seit Christianis Studentenzeiten.
Ausreden und Vertuschung
Viel sprachen die Zeugen, die im Zusammenhang mit der Affäre vernommen wurden, von Sitzungen, die in jener Nacht stattgefunden haben sollen. Doch seltsamerweise fragte nie jemand in den zahlreichen Vernehmungen nach jener Konferenz, die noch in derselben Nacht nach Christianis Weggang einberufen worden sein soll. Oder nach den beiden Nachmittagskonferenzen des 15. November um 15 und um 17 Uhr im Büro Zepedas. „Was geschah dort“, fragten anonyme Autoren unter dem Namen „Bewegung der jungen Offiziere“ in einem Brief, von dem sie Kopien an den Präsidenten, den Stabschef, das Parlament und die Presse verschickten: „Der Vorgesetzte von Oberst Benavides war bei allen Operationen entsprechend der Befehlsstruktur und der Regelungen unserer Institution Oberst Zepeda.“
Oberst Zepeda war einer der Hauptverdächtigen. Jener Soldat, der sich angeblich durch Desertation der Festnahme entzogen hatte und seither verschwunden war, hatte in der Mordnacht vom Wohnhaus der Jesuiten per Funk bei Zepeda persönlich um Anweisungen nachgesucht, wie das amerikanische „Anwaltskomitee für Menschenrechte“ herausfand. Demnach waren die Mörder auf zwei Frauen gestossen, die Köchin Elba Ramos und ihre fünfzehnjährige Tochter Celina, und fragten nun an, was mit ihnen geschehen sollte. Zepedas Antwort: „Bringt sie auch um.“ Zepeda allerdings wusch seine Hände in Unschuld und wies unter Hinweis auf die Befehlsstruktur jeden Verdacht von sich. Er habe erst anderntags von den Ereignissen erfahren.
Die Befehlsstruktur war in allen Untersuchungsverfahren der Offiziere liebste Ausrede. Sie wussten „nicht genau, wann das Sicherheitskommando eingerichtet wurde“, aus welchen Verbänden es zusammengestellt war, wo genau die Grenzen des sogenannte Militärkomplexes verliefen, in dessen direkter Nachbarschaft und in dessen Bannmeile die Universität (wie die Deutsche Schule) noch heute liegt. Beteiligt an der Operation waren damals Einheiten aus dem ganzen Land, was das Verwirrspiel erheblich erleichterte. Da tauchte ein „Folio Nr. 337“ auf, demzufolge am 16. November nur kurz nach Mitternacht im Stab die Meldung von der Ermordung der sechs Professoren eingegangen sein soll, gezeichnet „C-II/B“. Während der gesamten Ermittlungen konnte niemand sagen, wer Meldung gemacht und wer sie empfangen hatte. Das „muss aus der Abteilung Operationen kommen“, wo Zwischenfälle registriert wurden, orakelte Oberstleutnant Equizabel Figueroa, der angeblich „für Aufklärung zuständig“ war, offiziell aber nur „als Chef der Personalverwaltung“ fungierte. Schliesslich brachten die Offiziere ein Versetzungskarusell in Gang, dass selbst Richter Zamora schwindelig wurde. „Routinemässige Umbesetzungen“ nannte das Oberkommando die Versetzung nahezu aller Verdächtigen ins Ausland oder in die Provinz.
„Er zerstörte seine Karriere“
Der amerikanische Major indes, der als einziger gerichtsverwertbare Hinweise gegeben hatte, „zerstörte seine Militärkarriere“, erkannte ein Kongressabgeordneter, der sich mit Buckland unterhalten hatte. „Der Junge ist wirklich sauer, seine Frau flippte aus, und er hat das Gefühl, einen seiner besten Freunde reingeritten zu haben.“
Am 13. Januar 1990 schickte das FBI eine Abschrift sowie eine Video-Aufzeichnung von der Washingtoner Aussage des Majors an die US-Botschaft in San Salvador. Einen Tag später rief Buckland beim FBI an, um seine Angaben zu korrigieren. Er sei „in schlechter Verfassung“ gewesen, erklärte er. „Sein Gedächtnis habe ihn getäuscht, nachdem er ein Foto von Oberst Benavides gesehen habe. Er habe diesen Mann jedoch nie auf den Stufen der Militärakademie gesehen“, vermerkt die Gesprächsnotiz des FBI über das Telefonat. Buckland habe sich von den Verhörbeamten gedrängt gefühlt, „er müsse etwas über die Pläne wissen.“
Am 18. Januar erschien Buckland zum letzten Mal vor dem FBI, diesmal in Fort Bragg, seinem Heimatstandort in North Carolina. Im Gegensatz zu seinem ersten Auftritt, in dem er locker, manchmal etwas ausschweifend erzählt hatte, klang dieses Statement formal und legalistisch, fanden später Kongressabgeordnete, nach Einsicht in die FBI-Unterlagen. Nun widerrief Buckland, Kenntnis von den Mordplänen gehabt zu haben. FBI-Agenten hätten ihn im ersten Verhör dermassen unter Druck gesetzt, dass er zusammengebrochen und mehrmals in Tränen ausgebrochen sei. Er sei „völlig hilflos und durcheinander“ gewesen.
Im März hörte Moakley, der Vorsitzende der Untersuchungskommission des Kongresses, in der amerikanischen Botschaft in San Salvador zum ersten Mal „seltsame Kommentare“ über Buckland, die fatal an Daniel Ellsbergs Geschichte erinnerten, nachdem dieser Anfang der siebziger Jahre die geheimen „Pentagon-Papiere“ der New York Times zugespielt hatte. Der Major sei „verrückt“, hiess es. Oberst Emilio Ponce beschrieb ihn als „psychisch instabil“. Oberst Avilés erklärte ihn gar für „wahnsinnig“. Sein Stubenkamerad erzählte dem Miami Herald, Buckland patrouilliere nachts im Pyjama und mit geschultertem Gewehr durchs Haus, eine hochgestellte Couch sei gegen die Tür gelehnt. Im State Department wurde ihm ein „übertriebener Gerechtigkeitssinn“ attestiert. Sein Herz habe El Salvador „retten“ wollen und wurde dann grausam enttäuscht, ähnlich Lawrence von Arabien, der Opfer seiner eigenen Illusionen geworden sei. „Er ist Eric von El Salvador“, spottete ein Diplomat und unterstellte ihm, einer „Art Lawrence-Phantasien“ zu erliegen.
Das gesamte US-Personal in El Salvador hatte Anweisung gehabt, jede Information zum Mordfall an der UCA sofort zu melden. Buckland hatte einem Offizier einer anderen Armee zwei Wochen lang nachgegeben und geschwiegen. Dieses Verhalten war so schlimm, wie ein Vorgesetzter später erklärte, dass Buckland besser „das Maul gehalten hätte. Im Hinblick auf seine Karriere verhielt sich Buckland dumm.“
Die Ermittlungen, Untersuchungen und Vorbereitungen für das Gerichtsverfahren gegen die der Tat Verdächtigen zog sich beinahe zwei Jahre hin. Ende September 1991 schliesslich sollten fünf Geschworene unter dem Vorsitz eines Richters über die neun Angeklagten urteilen. Sie sprachen Oberst Benavides sowie Leutnant Yusshy René Mendoza Vallecillos des Mordes und terroristischer Handlungen schuldig. Sie wurden zu dreissig Jahren Gefängnis verurteilt. Zwei weitere rangniedere Offiziere erhielten Haftstrafen von je drei Jahren wegen Anstiftung und Verschwörung, terroristische Handlungen zu begehen. Nur Benavides und Mendoza traten ihre Haft auch an, alle Anderen wurden gegen Kaution auf freien Fuss gesetzt.
Ein Jahr später einigten sich die Regierung El Salvadors und die FMLN unter Vermittlung der Vereinten Nationen mit dem „Abkommen von Chapultepéc“ auf einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen. Nur eine Woche später verabschiedete die Gesetzgebende Versammlung in San Salvador das „Ley de Reconciliación Nacional“, in dem allen „unmittelbaren und mittelbaren Tätern oder Komplizen, die politische Delikte begangen haben“, Straffreiheit zugesichert wurde.
Die UN-Wahrheitsfindungskommission
Im August 1993 veröffentlichte eine „Wahrheitsfindungskommission“ der Vereinten Nationen die Ergebnisse ihrer Untersuchungen der gröbsten Menschenrechtsverletzungen in einem Bericht „Vom Irrsinn zu Hoffnung: Zwölf Jahre Krieg in El Salvador.“ Darin stellte die Kommission ohne Umschweife fest, dass der „damalige Oberst Emilio Ponce im Beisein und unter Mitwirkung von General Juan Rafael Bustillo, Oberst Juan Orlando Zepeda, Oberst Inocente Orlando Montano und Oberst Francisco Elena Fuentes Oberst Guillermo Benavides den Befehl erteilte, Pater Ignacio Ellacuría zu töten und keine Zeugen zu hinterlassen…
…Zu diesem Zweck wurde Oberst Benavides eine Einheit des Atlacatl-Bataillons zur Verfügung gestellt, die zwei Tage zuvor schon die Wohnungseinrichtungen der Priester durchsucht hatte…
… Anschliessend unternahmen diese und andere Offiziere, die von dem Geschehenen wussten, Schritte, die Wahrheit zu verschleiern.
… Die Planung der Operation übernahm der damalige Major Carlos Camilo Hernández Barahona. Die Operation wurde von einer Gruppe von Soldaten des Atlacatl-Bataillons unter dem Kommando von Leutnant José Ricardo Espinoza sowie Leutnant Gonzalo Guevara Carritos durchgeführt…“
Des weiteren stellte die Kommission fest, dass die „Besondere Ehrenkommission (der Streitkräfte) Aussagen änderte, um die Verantwortlichkeit hochrangiger Offiziere für die Morde zu verschleiern.“ Mehrere Offiziere, darunter Oberst Ponce und Oberst Zepeda, „übten Druck auf rangniedere Soldaten aus, in ihren Aussagen vor Gericht nicht zu erwähnen, dass die Befehle von höherer Stelle gekommen“ seien. Angesichts dieser Sachlage hielt es die Kommission „für unfair, dass Oberst Benavides und Leutnant Mendoza immer noch im Gefängnis sind, während jene Leute, die für die Planung der Morde verantwortlich sind, und jene Person, die den Befehl gegeben hat, frei bleiben. Die Kommission ist der Auffassung, dass der Bitte der Gesellschaft Jesu, Oberst Benavides und Leutnant Mendoza zu begnadigen, stattgegeben werden sollte.“
Zwanzig Jahre lang genossen die Verdächtigen die Amnestie und die Nachsicht der Regierungen der ultrarechten Arena (Partei), die einst als politischer Arm der Todesschwadronen gegründet worden war. Oberst Emilio Ponce wurde nur wenige Monate nach den Morden in der Universität zum General befördert und Verteidigungsminister. Er starb 2011. Nun scheint die Vergangenheit doch noch einige der Beteiligten einzuholen. Schon im Mai 2011 hatte Richter Eloy Velasco von der Audiencia Nacional de España Klage erhoben und internationale Haftbefehle ausgestellt. Die Angeklagten sollten innerhalb von zehn Tagen vor Gericht erscheinen. Es dauerte etwas länger. Erst unter einer Regierung der inzwischen zu einer politischen Partei gewandelten FMLN sollte sich dies ändern.
Anfang Februar nahm die Polizei in El Salvador auf ein Ersuchen von Interpol vier längst ins Zivilleben zurückgekehrte Soldaten fest: Oberst Guillermo Alfredo Benavides Moreno, Antonio Ramiro Ávalos Vargas, Angel Pérez Vásquez und den Sergeanten Tomás Zárpate Castillo. Sie sollen an Spanien ausgeliefert werden. Zuvor schon hatte ein Richter in North Carolina die Auslieferung von Oberst Inocente Orlando Montano an die spanische Gerichtsbarkeit angeordnet. „Immer noch halten sich Menschen versteckt; wir wissen nicht, ob sie sich im Ausland aufhalten. Ich rate ihnen aber, sich zu stellen“, kommentierte Präsident Salvador Sánchez Ceren die Massnahme. „Wir müssen die Wahrheit darüber erfahren, was in der Vergangenheit geschehen ist, wir brauchen aber auch Gerechtigkeit und Vergebung.“
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EL SALVADOR, EIN GESCHEITERTER STAAT
Zwischen 75 000 und 90 000 Menschen fielen dem Bürgerkrieg der Jahre 1980 bis 1991 zum Opfer. 264 Massaker listen Menschenrechtsorganisationen auf, die in jenen Jahren zumeist von der Armee und den Sicherheitskräften des Landes oder den Todesschwadronen begangen worden waren, darunter eines der blutigsten Gemetzel in der Geschichte Lateinamerikas, als das in Fort Bragg, North Carolina, ausgebildete „Atlacatl-Elitebataillon“ in drei Weilern am Berg El Mozote 800 Bauern, Frauen und Kinder abschlachtete. Neben Óscar Arnulfo Romero, dem Erzbischof von San Salvador, mordeten Todesschwadronen, Polizeiorganisationen und Armee 50 Priester und Nonnen, zwei Dutzend Journalisten, Hunderte Studenten, Gewerkschafter und Zehntausende Arbeiter und Campesinos.
Das Morden geht bis heute, 25 Jahre nach der Beilegung des Konflikts, weiter. Kürzlich kürte die BBC San Salvador zur „Welthauptstadt des Mordes“, wo beinahe täglich neue Rekorde gebrochen werden. „Der letzte Sonntag war kurzzeitig mit vierzig Morden der blutigste Tag des Jahres. Der Rekord wurde aber schon am Montag mit 42 Mordfällen gebrochen und Dienstag mit 43 erneut überboten“, berichtete The Guardian im August letzten Jahres sarkastisch. „Sogar der Irak mit seinem Bürgerkrieg, seinen Selbstmordattentaten, Mörserattacken und amerikanischen Drohnen schaffte das nicht.“
Der salvadorianische Revolutionsdichter Roque Dalton nannte das kleine mittelamerikanische Land „el pulgacito“, das Flöhchen. Inzwischen ist El Salvador bekannt als „el camincito“, der kleine Weg oder Pfad. Hier kämpfen Mexikos Drogenbanden um die Kontrolle der Transportwege in die Vereinigten Staaten. Hier unterhalten die Zetas, einst von Spezialisten der amerikanischen Sonderkommandos nach ihrer Entlassung aus dem aktiven Dienst in Mexiko gegründet, Ausbildungslager und rekrutieren unter den illegalen, von der US-Border Patrol zurückgebrachten Immigranten ihren Nachwuchs. „Los Perrones“ begannen ihre Karriere während des Bürgerkriegs in den achtziger Jahren mit dem Schmuggel von Käse aus Honduras; heute schmuggeln sie für das Sinaloa- und das Golf-Kartell Kokain. Vormalige Jugendbanden wie die Mara Salvatrucha (MS-13) oder die „Barrio 18“-Gang, fanden ebenfalls Beschäftigung und Einkommen im Drogenhandel. Für das lokale Texiskartell arbeiten Polizisten, Soldaten und Richter ebenso wie Parlamentarier, angesehene Geschäftsleute und Politiker. Armee-Angehörige verkaufen den Meistbietenden Sturmgewehre, raketengetriebene Granatwerfer, panzerbrechende Granaten oder SA-7 Boden-Luftraketen, mit denen sie von den USA ausgerüstet wurden. Sogar die italienische Mafia engagiert sich inzwischen in El Salvador.
Heute wird der Floh als „failed state“, gescheiterter Staat, eingestuft, als ein Staat, in dem es weder öffentliche Sicherheit, noch Rechtsstaatlichkeit noch ein funktionierendes Gemeinwesen gibt.