17 Staatsoberhäupter, 25 Regierungschefs, Minister, Botschafter, Uno-Generalsekretär Ban Ki-Moon, die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini, US-Aussenminister John Kerry, der frühere spanische König Juan Carlos und 2'500 weitere geladene Gäste – sie alle strömten in die kolumbianische Karibik-Metropole Cartagena. Auch Dutzende Guerilleros, die direkt aus dem Dschungel kamen, waren angereist.
Kommentatoren überschlugen sich mit Würdigungen. "Historisch" war das meist verwendete Prädikat. 1'200 Journalisten aus dem In- und Ausland liessen sich akkreditieren. "Das Finale von 52 Jahren Krieg", titelte "El Tiempo", Kolumbiens grösste Zeitung.
Eine Viertelmillion Tote
Jahrzehntelang hatten die kolumbianischen Farc-Guerilleros gegen den Staat und seine Armee gekämpft: mit Zehntausenden Erschiessungen, Terror, 343 grossen Massakern, Anschlägen auf Pipelines und Elekrizitätswerke sowie 24'483 Entführungen und Geiselnahmen. Unter den Opfern befinden sich zahlreiche Politiker und hohe Militärs. Auch rechtsgerichtete paramilitärische Milizen waren das Ziel der Angriffe. Der Rebellenkrieg forderte über eine Viertelmillion Tote; viele waren Zivilisten. 900'000 Menschen wurden in die Flucht getrieben.
Zu den prominentesten Entführungsopfern gehörte die kolumbianisch-französische grüne Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt. Sie war 2002 als Geisel genommen und 2008 von Armee-Einheiten befreit oder freigekauft worden.
"Ich entschuldige mich für all das Leid"
Jetzt, an diesem Montag richteten sich die Augen auf den kolumbianischen Präsidenten Juan Manuel Santos und den 56-jährigen Guerillaführer Rodrigo Londoño Echeverri, genannt Timochenko.
Am frühen Abend (23.00 Uhr Schweizer Zeit) war es soweit: Auf der "Explanada de Banderas" im Kongresszentrum am Hafen von Cartagena begann die Feierstunde. Kardinalstaatssekretär Pietro Paroli, Abgesandter des Papstes, las zunächst eine Messe. Dann setzten Santos und Timochenko die Unterschrift unter einen Vertrag, der den ältesten bewaffneten Konflikt in der westlichen Welt beenden soll.
Timochenko erklärte: "Im Namen der Farc-EP entschuldige ich mich aufrichtig bei den Opfern des Konflikts für all das Leid, das wir in diesem Krieg angerichtet haben." Anschliessend wurde die Nationalhymne gespielt. Die Zeremonie dauerte anderthalb Stunden. Anwesend waren auch 400 Überlebende des Konflikts.
Fünf Millionen Dollar Kopfgeld
Auf Timochenko (auch Timoleón Jiménez genannt) hatten die USA ein Kopfgeld von fünf Millionen Dollar ausgesetzt. Seit fast fünf Jahren war er der Anführer der knapp 8'000 Kämpferinnen und Kämpfer starken Farc-EP, der "Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo" (deutsch: "Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee"). Er hatte in Moskau und Kuba studiert und galt als Hardliner. Timochenko war beschuldigt worden, Hunderte Menschen getötet zu haben. Geld beschaffte sich die Farc mit einem ausgedehnten Kokainschmuggel. Timochenko, der seit Jahren nicht mehr in Erscheinung trat, war Nachfolger des 2011 getöteten Farc-Chefs Alfonso Cano.
Die Farc-Guerilleros hatten vergangene Woche an der zehnten nationalen Konferenz einstimmig beschlossen, mit der Regierung Frieden zu schliessen. Schon am 22. Juni war ein Waffenstillstand beschlossen worden. Die Farc will jetzt ihre Guerillatätigkeit aufgeben und eine politische Organisation aufbauen. Die EU hatte am Montag die Farc von der Liste der Terrororganisationen gestrichen.
Straffreiheit für die Mörder
Noch müssen die Kolumbianerinnen und Kolumbianer dem Friedensabkommen zustimmen. Die Volksabstimmung findet am kommenden Sonntag statt. Zwar begrüssen alle ein Ende der Kampfhandlungen, doch vielen Kolumbianern stösst das Vertragswerk sauer auf – vor allem deshalb, weil den jahrzehntelang mordenden Guerilleros in dem Abkommen Straffreiheit zugesichert wird.
Zu den Gegnern des Abkommens gehören auch der frühere Präsident Álvaro Uribe und viele Anhänger seiner Oppositionspartei "Centro Democrático". Uribe führte am Montag eine Demonstration von 2'000 Manifestanten an, die im "Zapatos Viejos"-Park in Cartagena eine Menschenkette bildeten. "Wir sind hier, um den Terroristen Nein zu sagen", rief der frühere Präsident, "Nein zu diesem schlechten Vertrag, Nein zur Unterschrift unter diesen Vertrag." "Nie wieder Farc", riefen die Demonstranten, "nie wieder Santos."
Wer bemächtigt sich des Drogenhandels?
Trotz erheblicher Gegnerschaft prophezeihen Meinungsumfragen, dass die Mehrheit der Bevölkerung am Sonntag des Abkommen gutheissen wird.
Die Frage ist jetzt, ob sich alle der Farc-Kämpferinnen und -Kämpfer an den Friedensschluss halten werden. Das Abkommen sieht eine Entwaffnung der Guerilleros vor. Innerhalb eines halben Jahres sollen sie alle Waffen der Uno übergeben. Aber: werden dies alle tun? Wie werden sie sich ins zivile Leben integrieren können – sie, die nur den Krieg kannten? Und wer bemächtigt sich jetzt des lukrativen Drogenhandels?
Eine zweite Guerillabewegung
Sollte der Krieg mit der Farc wirklich zu Ende sein, wird die kolumbianische Regierung jetzt versuchen, mit der zweiten kolumbianischen Guerillabewegung ein Abkommen zu schliessen. Das könnte schwierig werden.
Noch älter als die Farc ist der "Ejército de Liberación Nacional" (ELN). Diese Nationale Befreiungsarmee, die wie die Farc marxistisch orientiert ist, zählt etwa 2'000 Kämpferinnen und Kämpfer. Sie war die erste südamerikanische Guerillabewegung. Ihr gehörten viele praktizierende Christen an, unter ihnen der renommierte katholische Befreiungstheologe Camilo Torres. Die ELN wirft den kolumbianischen Machthabern vor, das Land dem "Gringo-Kapitalismus" auszuliefern und die verarmte Bevölkerung zu knebeln. Offenbar sollen erste geheime Kontakte zwischen der Regierung und der ELN stattgefunden haben – ohne Aussicht auf einen baldigen Erfolg.
(Quellen: El Tiempo/El Espectador/EFE)