Ich bin nicht katholisch. Christlich bin ich zwar irgendwie, aber distanziert: 1977 aus der protestantischen Kirche ausgetreten, 2004 wieder eingetreten – die Gründe für beides mögen hier ausgeklammert bleiben, auch wenn jene für 1977 durch den Feminismus als erklärt gelten dürften.
In fast klösterlicher Abgeschiedenheit hörte ich die Osterbotschaft des Papstes. Darin gibt es einen Passus, den ich nun am Abend auf Radio Vatican lesen konnte. Der Passus lautete folgendermassen:
Bei den vielen Gebieten der Welt, die vom Coronavirus betroffen sind, kommt mir eigens in Bezug auf Europa folgender Gedanke. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte dieser geschätzte Kontinent wieder neu erstehen, weil ein konkret spürbarer Geist der Solidarität es ermöglichte, die Rivalitäten der Vergangenheit zu überwinden. Umso dringender ist es, gerade unter den heutigen Umständen, dass diese Rivalitäten nicht wieder aufleben, sondern dass sich alle als Teil einer Familie erkennen und sich gegenseitig unterstützen. Die Europäische Union steht heute vor einer epochalen Herausforderung, von der nicht nur ihre Zukunft, sondern die der ganzen Welt abhängt. Lasst uns nicht die Gelegenheit versäumen, einen weiteren Beweis der Solidarität zu erbringen, auch wenn wir dazu neue Wege einschlagen müssen. Als Alternative bleibt sonst nur ein Egoismus der Einzelinteressen und die Versuchung, in die Vergangenheit zurückzukehren, und das Risiko in Kauf zu nehmen, dass das friedliche Zusammenleben und die Entwicklung künftiger Generationen auf eine harte Probe gestellt werden.
In den Tagen vor Gründonnerstag hatte ich über die mir zugänglichen Print- und Online-Medien aufmerksam – und manchmal auch ängstlich – die Entwicklung verfolgt, wie die Europäische Union die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise in den Griff zu bekommen versuchte. Nach einer 16-stündigen erfolglosen Videokonferenz der 27 Finanzminister wurde vertagt, und zwar auf einen Zeitpunkt mehr als 24 Stunden später.
Erst rückblickend wird das alles verständlich: Man hatte begriffen, dass es genügend Zeit braucht für bilaterale Kontakte. Die vor allen anderen solidaritäts-widerspenstigen Holländer mussten kontaktiert werden. Und viele andere mussten auch noch ins Boot geholt werden. Aber so kam am Gründonnerstag ein Kompromiss zustande. Er ist nicht definitiv, weil die Frage der Coronabonds (eine aktualisierte Variante der Eurobonds) darin angesprochen ist, aber nicht unter diesem Begriff.
Wenn sich nun sogar der Papst in dieser Kontroverse äussert, so ist das nicht ganz unbedeutend. Sicher hatte er nicht seine Unterstützung der Eurobonds markieren wollen. Es geht um mehr. Die Zeit der Nationalstaaterei geht zu Ende. Es ist die Natur – und äussere sie sich auch nur durch ein Virus –, die zu neuen Kooperationen zwingt.
Ob die sogenannten C-Parteien noch auf den Papst hören, ist zweifelhaft. Als Nicht-Katholikin sollte ich mich dazu erst recht nicht äussern. Dennoch kann ich nicht verhehlen, dass mich der zitierte Passus in der päpstlichen Rede angesprochen hat.
Dass sich die deutsche CDU/CSU mit den päpstlichen Worten irgendwie arrangieren muss, steht ausser Frage. Diese beiden Parteien haben auch einige Erfahrungen mit Widersprüchen zwischen tages- und machtpolitischen Anforderungen auf der einen und Grundsatzfragen auf der anderen Seite. Und die schweizerische CVP? Eines Tages wird auch sie sich entscheiden müssen, ob sie wirklich europäisch ist.