Beppe Grillo, der Mitbegründer der italienischen Protestbewegung „Cinque stelle“ hasst das etablierte politische System. Die Basis, das Volk, hätte heute nichts zu sagen, erklärt er. Die Eliten würden entscheiden, das Volk sei nur Dekoration. Deshalb will er die totale Basisdemokratie. Via Internet soll das Volk nicht nur mitreden, sondern entscheiden. Und das Volk, das sind seine Anhänger.
Grillo verbreitet seine Ansichten über einen eigenen Blog, der 2,32 Millionen Followers haben soll. Da werden auch seltsame Verschwörungstheorien verbreitet. Dass Grillo immer mehr zu einem Anhänger von Putin wird, stört seine Gemeinde offenbar nicht. Man glaubt eben dem charismatischen Meister. In dem Blog werden auch häufig ganze Artikel der russischen Propagandamedien „Russia Today“ und „Sputnik“ übernommen.
Totale Fehlbesetzung
Via Internet lässt Grillo auch die Kandidaten und Kandidatinnen für anstehende Wahlen bestimmen. Parteiversammlungen gibt es keine, die sind zu teuer und zu kompliziert. Bestimmt werden die Kandidaten in einer Internet-Abstimmung: in Online-Primaries. Stimmberechtigt ist, wer sich im Portal „MoVimento 5 Stelle“ unter Vorlegung einer verifizierten Identitätskarte eingeschrieben hat. Kandidieren können grundsätzlich alle „Cinque stelle“-Adepten.
In Rom haben diese Internet-Primärwahlen im vergangenen Jahr Virginia Raggi (Bild) auf den Schild gehoben. Die 37-jährige Anwältin wurde bei Grillos Online-Konsultation mit 1‘764 Stimmen (45,5 Prozent aller Stimmen) zur Bürgermeisterkandidatin der „5 Sterne“ erkoren. Im Juni dann wurde sie mit 67 Prozent der Stimmen in das höchste Amt der Ewigen Stadt gewählt. Raggi ist intelligent, doch politische Erfahrung hatte sie keine. Diese Unbeflecktheit galt sogar als Pluspunkt in der verkrusteten und korrupten Politiker-Branche. Inzwischen hat Virginia Raggi gezeigt, dass sie eine totale Fehlbesetzung ist. In Rom geht es drunter und drüber.
Sind diese Internet-Primaries wirklich das beste Mittel, um geeignete Kandidaten in die Pole-Position zu bringen? Immer mehr Anhänger der „5 Sterne“ bezweifeln dies.
Mit 20 Stimmen ist man Kandidatin
Zwischen dem 15. April und dem 15. Juni finden in 1011 italienischen Gemeinden Lokalwahlen statt. Besetzt werden das Bürgermeisteramt und das Gemeindeparlament.
Auch in Monza bei Mailand, der drittgrössten lombardischen Stadt, finden demnächst Wahlen statt. Beppe Grillo rief seine Anhänger auf, via Internet einen Kandidaten oder eine Kandidatin zu bestimmen. 80 Stimmen waren eingegangen.
Gewählt wurde mit 20 Stimmen die 36-jährige Anwaltspraktikantin Doride Faldudo (Bild). Niemand kennt sie, politische Erfahrung hat sie keine, aber sie hat ein Doktorat – allerdings arbeitete sie zwölf Jahre daran. Mit 20 Stimmen ist man Bürgermeisterin-Kandidatin? Da und dort wurde geschmunzelt.
Plötzlich tritt sie ab
Jetzt plötzlich ist Doride Faldudo nicht mehr Kandidatin. Sie sagt, sie ziehe sich wegen „persönlicher Verpflichtungen“ zurück. Kaum jemand zweifelt daran, dass Beppe Grillo sie zum Rückzug bewogen hatte, denn ein Aushängeschild für die Bewegung war sie nicht.
Jetzt wurde in Monza der zweitplatzierte, Giovanni Danilo Sindoni (Bild), zum Kandidaten der „5 Sterne“ erkoren. Er, ein Video-Kassettenhändler, bezeichnet sich als „Revolutionär mit den Füssen auf dem Boden“. Bei der Abstimmung hatte er 17 Stimmen erhalten – und er ist ein guter Freund von Beppe Grillo.
Gewählt und abgesetzt
Und jetzt Genua. Auch dort wird im Sommer das Bürgermeisteramt besetzt. Diese Woche bestimmten die Grillini (die Grillen, die Anhänger Grillos) via Online-Abstimmung ihren Kandidaten. 700 Grillen nahmen an der Wahl teil. Völlig überraschend erhielt Marika Cassimatis, ein Urgestein der „5 Sterne“, am meisten Stimmen, nämlich 362. Grillo gefiel das gar nicht.
Am Freitag, drei Tage nach der Wahl, wurde Cassimatis (Bild) abgesetzt. Sie erfuhr im Internet davon. Sie habe ein Verhalten an den Tag gelegt, schreibt Grillo in seinem Blog, „das den Prinzipien der Bewegung“ widerspreche. Sie habe „wiederholt und ständig das Image der ‚5 Sterne’ beschädigt“, indem sie andere Mitglieder der Bewegung angegriffen habe.
Keinen Widerspruch
Der Polemik ging ein Streit zwischen verschiedenen Fraktionen voraus. Grillo hatte mehrere Mitglieder schon früher ausgeschlossen, weil sie ihm ab und zu widersprachen. Widerspruch duldet der Ex-Komiker aus Genua nicht. Die Ausgeschlossenen, so Grillos Vorwurf, haben nun für Marika Cassimatis gestimmt.
„Der Ausschluss kann nicht rückgängig gemacht werden“, schreibt Grillo. „Wenn jemand diesen Entscheid nicht versteht, soll er doch Vertrauen in mich haben.“
„Chaos“
Grillo hat nun in Genua eine neue Online-Abstimmung angesetzt. Entweder entscheidet man sich, gar keine Kandidaten aufzustellen. Oder man wählt den Zweitplatzierten Luca Pirondini. Er hatte im ersten Wahlgang 24 Stimmen weniger als Cassimatis erhalten. Und er ist ein guter Freund von Grillo.
Innerhalb der „Cinque stelle“ besteht offenbar das, was die Römer Zeitung „La Repubblica“ am Freitag mit einem Wort umschrieb: „Chaos“.
PS: Beppe Grillo und die „Cinquestelle“ rechnen sich gute Chancen aus, bei den nächsten nationalen Wahlen stärkste Partei zu werden und damit die Regierung zu stellen.