Die Frauen vergötterten ihn. Die Liebesbriefe stapelten sich, Heiratsanträge sprudelten. „Ja, ich hätte einige haben können“, erzählte er uns.
Kaum ein Schweizer stand so oft vor der Kamera und auf der Bühne wie er. Die Fernsehserien mit dem „schönen Mann aus Basel“, wie er genannt wurde, waren die ersten wirklichen Strassenfeger.
„Graf Yoster gibt sich die Ehre“, hiessen die Krimis, in denen er in den Sechziger- und Siebzigerjahren zur umschwärmten Kultfigur wurde. Die Serie war nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Deutschland, Österreich und andern europäischen Staaten ein Renner.
Der Heringssalat
Obwohl im fortgeschrittenen Alter: Lukas Ammann gedachte nicht zu sterben. An seinem 104. Geburtstag, im letzten September, wurde ihm sein Lieblingspudding gereicht. Auf der süssen Masse stand – mit Johannisbeeren geschrieben – die Zahl 104. Ammann nahm einen Löffel und machte aus der 104 eine 105. Doch dazu kam es nun nicht.
Auch am letzten Silvester war er – nach kurzer Krankheit – wieder in Hochform. Er feierte mit Freunden, erzählte, lachte und ass. Besonders den Heringssalat liebte er. Um halb eins ging er zu Bett. Am Tag danach rief er seine Betreuerin an und fragte, ob noch etwas Heringssalat für ihn übrig sei.
Seit dem Tod seiner Frau lebte er allein, zunächst in Garching bei München. Mit 100 Jahren zog er in eine Dreizimmerwohnung in der Türkenstrasse im Münchner Bohème-Viertel Schwabing. Die Wohnung war so geräumig, dass er alle Bilder seines Vaters aufhängen konnte. Sein Vater war Kunstmaler.
Stets war er elegant gekleidet, dunkler, schicker Anzug, assortierte Krawatte, weisser Seidenschal, schwarze Schuhe.
Der 104-jährige Autofahrer
Vor 50 Jahren erschien Graf Yoster erstmals im bayerischen Fernsehen. Aus diesem Anlass setzte der Bayerische Rundfunk (BR Fernsehen) 36 „Graf Yoster“-Folgen ins Programm. Geplant war auch ein Live-Gespräch mit Lukas Ammann. Doch daraus wurde nichts. Ammann lag mit einer entzündeten Gallenblase und hohem Fieber im Spital. Dann wurde er nach Hause geschickt, wo er am Mittwoch starb.
Erst vor einem halben Jahr hatte er seinen Führerschein abgegeben. Noch vor kurzem fuhr er mit seinem BMW zum Coiffeur. Uns holte er einst, er war damals 99, mit dem Auto am Bahnhof ab. Wie ein Italiener flitzte er nach Hause, wo wir ihn interviewten.
Dandys, Snobs, schöne Frauen
700 Rollen hatte er in seinem Leben gespielt. Graf Yoster war eine Art galanter und würdevoller James Bond, der in der High Society Kriminalfälle löste. Da wimmelte es von Machos, schönen Frauen, Dandys und Snobs. Gedreht wurde in richtigen Schlössern. Zum Einsatz kam ein Rolls Royce, der einem richtigen Frauenmörder gehört hatte.
Begonnen hatte alles im Stadttheater Basel. Als Knabe sieht er Schillers „Räuber“. Da entschloss er sich, Schauspieler zu werden. Franz Mohr faszinierte ihn. „So einen wie er will ich auch einmal spielen.“ Sein Onkel wollte, dass er Geologie studierte. So ging er nach Berlin, schrieb sich dort an der Uni ein, doch nebenbei nahm er Schauspielunterricht. Mit 20 Jahren bekam er am Deutschen Theater in Berlin eine erste Rolle. Fünf Mark Salär pro Abend. Im gleichen Stück spielte Heiri Gretler. Nachdem an einem Abend die Nazis die Bühne gestürmt hatten, Nazi-Parolen schrieben und Nazi-Fahnen entrollten, flüchteten er und Gretler in die Schweiz.
Fernsehgeschichte geschrieben
Nach Engagements im Zürcher Schauspielhaus, in St. Gallen und in München kam das Fernsehen. Ammann war nicht die erste Wahl für die Rolle des Grafen Yoster, dieses Serien-Adligen. Doch seine Konkurrenten waren zu teuer, also erhielt der Basler mit dem aristokratischen, schmalen Gesicht die Rolle, die ihn im deutschen Sprachgebiet zum Helden küren sollte.
Graf Yoster, eine Art moderner Sherlock Holmes, löste die Kriminalfälle nicht allein. Ihm stand ein Diener zur Seite, der von Wolfang Völz gespielt wurde. „Wenn ich mir heute diese Filme anschaue“, sagte uns Ammann, „wundere ich mich, dass diese Serie überhaupt Erfolg hatte. Ich finde sie ein bisschen läppisch.“ Über 70 dieser doch eher biederen Kriminalkomödien wurden gedreht. „Graf Yoster hat Fernsehgeschichte geschrieben“, schrieb die Deutsche Presse-Agentur kürzlich. Und die Dresdener neuesten Nachrichten kommentierten am 21. April: „Als die Helden noch Manieren hatten.“
Der Rolls Royce des Frauenmörders
Für eine in London gedrehte Folge wurde wieder ein Rolls Royce angeschafft. Vorne im Wagen befand sich ein Kästchen für die Visitenkarten. „Wir fanden eine erste Visitenkarte und dahinter noch eine“, erzählte Ammann. Diese zweite Karte war die Visitenkarte eines bekannten Frauenmörders, eines Londoner Serienmörders. „Ihm hatte unser Rolls Royce gehört.“
Mit 92 verkörperte er die Hauptrolle in Micha Lewinskys Film „Herr Goldsein“, der in Locarno als bester Schweizer Kurzfilm mit einem Leoparden ausgezeichnet wurde. Mit 101 trat er nochmals vor die Kamera. Er spielte eine kleine Rolle im surrealistischen Film des 19-jährigen Liechtensteiner Regisseurs Ronnie Vogt: „Réunion Solitaire“.
Sein Lebenswerk beurteilte er kritisch. „Zufrieden war ich vielleicht in 30 Prozent, vollkommen zufrieden höchstens in fünf Prozent.“
Der Bauer mit den schmalen Händen
Doch Lukas Amman war nicht nur Graf Yoster. Er war Theaterschauspieler, Kabarettist und Regisseur. Mit weit über 80 Jahren holte ihn das Fernsehen erneut. In der Fernsehserie „Die Fallers“ spielte er den Bauern. „Ihr könnt mich doch nicht nehmen“, sagte Ammann dem Regisseur, ich habe ja ganz schmale Hände und eine hagere Gestalt.“ „Egal“, sagte der Fernsehmann, „sie sind berühmt, und wir brauchen sie.“ Als er mit 88 dann aufhören wollte, verlangte das Publikum in einer Petition eine Fortsetzung der Serie. Schliesslich wurden von den „Fallers“ insgesamt 249 Folgen gedreht.
Vor allem der in München lebende Max von Kienlin und seine Frau Annemarie hatten sich um Ammann gekümmert. Über dreissig Jahre lang waren die Ammanns mit den Kienlins befreundet. „Meine Frau hat vor ihrem Tod Frau Kienlin gebeten, sich um mich zu kümmern, wenn ich allein bin“, erzählte uns Ammann. Max von Kienlin, ein Adliger, geboren auf Schloss Erolzheim in Oberschwaben, ist Schriftsteller und Bergsteiger.
Seine Frau fuhr Ammann immer wieder auf den Friedhof, wo seine dritte Frau liegt, eine Schauspielerin und ein langjähriges Ensemblemitglied am Münchner „Staatstheater am Gärtnerplatz“. Als er 97 war, starb sie mit 70 Jahren an Krebs.
Der 104-jährige Skyper
Das Essen liess er sich von einem Lieferservice kommen und bereitete es selbst zu. „Die Wäsche mache ich selbst“, erzählte er. „Nur bügeln liegt mir nicht.“ Wie verbrachte er seine Zeit? „Ich bin um sechs Uhr wach, hole mir die Süddeutsche Zeitung und lese bis um sieben, dann schlafe ich noch eine Stunde“, erzählte er uns.
Zwei Stunden pro Tag verbrachte er mit seinem Computer. Mit seinen zwei Söhnen, die in Uruguay leben, skypte er mindestens einmal die Woche.
Die Qualität des heutigen Fernsehens bezeichnete er als „langweilig und ganz miserabel. Ich hasse diese Brutalität, diese Blödheiten. Immer nur ‚Quiz’ und ‚Tatort’.“
„Das kann jeder Pfuscher“
Und wenn schon einmal Klassiker vorkämen, dann würden sie mit technischem Firlefanz verunstaltet. „Die sollen einmal richtige Schauspieler hinstellen.“ Fernsehschauspieler seien ja keine richtigen Schauspieler, die hätten es ja leicht, die müssten nie mehr als zwei Sätze aufs Mal auswendig können. „Es wird ja immer in kleinen Sequenzen produziert, die müssen gar keinen langen Monolog lernen.“ Es sei keine Kunst, im Fernsehen gut zu spielen. „Das kann jeder Pfuscher.“
„Graf Yoster“ und der Serien-Adlige Ammann haben bis heute eine grosse Fan-Gemeinde, sagt eine Sprecherin des Bayerischen Rundfunks. Immer wieder sei das Fernsehen aufgefordert worden, die Serie erneut auszustrahlen. Seit dem 22. April ist es soweit: Das BR Fernsehen zeigt 36 Folgen von „Graf Yoster“.
„Er hat es noch mitbekommen, dass die Serie erneut gesendet wird“, sagt Annemarie Kienlin, „er hat sich sehr gefreut.“