Der Film dokumentiert mehr als die Misshandlung von Kindern. Im Grundton auf Moll gestimmt, ist es ein Film über misshandelnde Nonnen und Priester. Über deren als gottgefällig verstandene Mission, Kinder an den Haaren zu reissen, ins eiskalte Wasser zu tauchen und mit Besenstielen zu traktieren, um den rechten Glauben zu erzwingen.
Subtile Herangehensweise
Der Historiker und Journalist Erwin Beeler erwarb sich einen Namen als Produzent und Regisseur von Filmen über seine zentralschweizerische Heimat. Er legte Spuren frei zur Geschichte und zu Geschichten, zu Mythen und Mentalitäten. Das Unbekannte und Verborgene liegt ihm näher als das Spektakuläre.
Die subtile Herangehensweise gerade auch an heikle Fragen zeichnet ihn aus. Seinem Lebensraum ist er ein bedachter, von Neugier getriebener Erforscher und Erzähler. Seine Filme besitzen Authentizität. Edwin Beeler wurde mit dem Innerschweizer Kulturpreis geehrt.
Schweigen in Schande und Schuld
Der neue Film führt zu Dienerinnen und Dienern des Herrn, die Waisenhäuser und Heime als weihraucherfüllte Hölle auf Erden betrieben und hilflose Geschöpfe als «Hexenkinder», «Verdorbene» und «Drecksäue» quälten, weil sie unehelich geboren oder von den Eltern vernachlässigt wurden.
Edwin Beeler ist die Ruhe selbst. Das Thema ist ihm durch sorgfältige Recherchen vertraut. Er gewann das Vertrauen der Opfer. Die fünf Erwachsenen, die von ihren physischen und psychischen Zerstörungen in der Kindheit erzählen, sind mit Naturaufnahmen umrahmt. Ihre poetische Schönheit verstärkt die schaurigen Schilderungen der zwei Frauen und drei Männer. Sie erhalten eine vernehmbare Stimme.
Die Peiniger und ihre Verharmloser kommen nicht zu Wort. Der Film ist kein kontradiktorisches Ringen um Ausgewogenheit. Wer über Jahre dreinschlug und übergriffig wurde oder als Vormund vor dem Züchtigungshorror die Augen verschloss, muss zu Recht einen Film lang in Schande und Schuld schweigen.
Hoffnung auf Abbitte
Die geschundenen Kinder erwarten jetzt als Erwachsene im reiferen Alten von den kirchlichen Obrigkeiten die Bitte um Verzeihung. Teils mit Erfolg, auch daran ablesbar, dass katholische Institutionen das Drehen an den Tatorten erlaubten und sich an der Filmfinanzierung beteiligten. Teils ohne Erfolg mit der Begründung, die Opfer würden ihre Erfahrungen fantasievoll aufbauschen oder seien Lügner. In solch diffamierenden Reaktionen mit gefalteten Händen steckt eine weitere Verletzung.
Der Film führt über die Kinder hinaus in die gespenstische Welt, wo der religiöse Glaube die wahren Ursachen für in Not geratene Menschen ausblendet. Das Elend wird mit einem sündhaften Verhalten der Betroffenen verknüpft und daraus als Gottes Gebot die Pflicht abgeleitet, die Schutzbefohlenen zwecks Läuterung zu vermöbeln, zu bläuen und zu demütigen.
Eine fürchterliche Tradition
Um die Dimension begreifbar zu machen, was den fremdplatzierten Kindern aus welchen Motiven geschah, wählt Edwin Beeler den scharfen Vergleich mit der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung und deren seelsorgerischem Sadismus zum Nutzen der sich wohlanständig nennenden Gesellschaft.
Der Film beschränkt sich nicht darauf, Mitleid für die misshandelten Kinder wecken zu wollen. Durch deren Schilderungen rückt er die gewalttätigen Erzieher und die untätigen Aufsichtsinstanzen in den Fokus. Die Verbindung zu den Missbrauchsfällen namentlich in der katholischen Kirche ist hergestellt. Damit erreicht der Film eine Aktualität.
Sie brennt, bis die strafrechtlich relevanten Verfehlungen aufgearbeitet sind und sich die Unantastbarkeit der Menschenwürde auch für Schutzbefohlene durchgesetzt hat. Vor einem Vierteljahrhundert ratifizierte die Schweiz die UN-Kinderrechts-Konvention. Die Bergpredigt ist noch älter.
Warnung vor Fundamentalisten
Wie lange der Schritt zur selbstverständlich humanen Erziehung auf sich warten lässt, entscheiden nicht die Opfer, sondern die Täter und Mittäter, Auf sie zielt der Film mit bohrenden Fragen. Sie stecken in den Erinnerungen der Misshandelten.
Es ist das Verdienst Edwin Beelers, eine nüchterne Sichtweise gewählt zu haben und dennoch sein Engagement spürbar werden zu lassen. Er leuchtet unerbittlich hinter Fassaden und spiegelt in den Schilderungen der Opfer die Täter, die sich fundamentalistisch verirrten.
Edwin Beeler vermeidet die Falle der Gefühlsduselei und mutet dem Zuschauer harte Tatbestände zu. «Hexenkinder» wurde gegen die Vertuschung und das Vergessen gedreht und würdigt die entwürdigten Hexenkinder. Der künstlerisch packend formulierte Film warnt vor jeder Art von Radikalismus und sensibilisiert uns sowohl für die Heuchelei, hinter der sich der Wahn entwickelt, als auch für die Beschwichtigungstaktik der Mitwisser. Sehenswert ab dem 17. September in den Kinos der deutschsprachigen Schweiz.