Für einmal war die Prognose nicht schwierig: Selbst die Gegner der Abzocker-Initiative hatten in den letzten Wochen eingeräumt, dass sie praktisch auf verlorenem Posten kämpften. In einem Punkt muss man übrigens dem abgetretenen Novartis-Chef Vasella recht geben: Die Abzocker-Initiative wäre höchstwahrscheinlich auch ohne den Skandal über seinen 72-Millionen-Deal angenommen worden.
Winken mit juristischen Tricks
In Erwartung der absehbaren Niederlage übten sich manche Matadore im Anti-Minder-Lager in unterschiedlichen Mischungen von Zynismus, Kassandra-Rufen und Sozialautismus. Die Zyniker behaupten, an den Millionen Bezügen von Top-Managern könnten auch die Bestimmungen der Anti-Abzocker-Vorlage nichts ändern. Man werde schon geeignete juristische Tricks finden, um das Gesetz den marktüblichen Bedingungen anzupassen.
Mit Verlaub: die berüchtigten „goldenen Fallschirme“ für abgehende Manager (wie im Fall des früheren ABB-Bosses Percy Barnevik) oder die nicht weniger abstossenden „goldenen Begrüssungsgelder“ (wie beim neuen UBS-Vorsitzenden Axel Weber) sind durch die jetzt vom Volk gutgeheissenen Auflagen klipp und klar verboten. Wer dieses Verbot mit cleveren Tricks auszuhebeln versucht, geht ein hohes Risiko ein – siehe die expliziten Strafbestimmungen bis zu drei Jahren Gefängnis. Wie heisst doch das Sprichwort: Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil.
Gegen verschleierte Bezüge
Ausserdem: Die Minder-Initiative richtet sich ja nicht grundsätzlich gegen stolze Manager-Saläre – wie etwa bei florierenden Unternehmen wie Swatch, Nestlé oder Swisscom. Aber sie richtet sich vor allem gegen jene Millionen-Boni von Bankern, deren Institute rote Zahlen schreiben, deren Aktienkurse meilenweit unter dem Niveau vor der letzten Finanzkrise liegen oder die (wie im Fall UBS) mit Steuergeldern vor dem Kollaps gerettet werden mussten.
Und sie richten sich gegen versteckte, intransparente oder gezielt verschleierte Entschädigungen von Verwaltungsräten und Geschäftsleitungsmitgliedern, die ein gewöhnlicher Aktionär in der Regel nicht durchschauen kann. Deshalb muss gemäss Initiativtext den Aktionären künftig zwingend die Gesamtsumme aller Bezüge für diese beiden Führungsebenen zur Abstimmung vorgelegt werden.
Die Kassandra-Rufer im Anti-Minder-Lager wiederum beschworen im Abstimmungskampf die angeblich schwerwiegenden Schäden, die eine Annahme dieses Volksbegehrens für den Wirtschaftsstandort Schweiz zur Folge haben werde. Sie warnten vor Firmenabwanderungen und vor mangelnder Attraktivität für ausländische Top-Manger, in Schweizer Firmen tätig zu werden.
Durchschaute Angstmacher
Über die Qualität solcher Kassandra- Rufe wird man ja in ein oder zwei Jahren konkreter urteilen können. Bisher ist jedenfalls noch kein Fall bekannt, dass eine börsenkotierte Firma erwogen hätte, wegen der sich abzeichnenden Annahme der Abzocker-Initiative ins Ausland zu ziehen. Im EU-Raum würde man ohnehin kaum attraktivere Bedingungen finden, denn dort ist man gerade dabei, für Boni-Interessenten engere Grenzen zu ziehen.
Im Übrigen besteht der berechtigte Verdacht, dass manche Kassandra-Argumente – etwa im Zusammenhang mit der jetzt obligatorisch werdenden jährlichen Wiederwahl von Verwaltungsratsmitgliedern – gar nicht so tiefernst gemeint waren. Die düsteren Rufe sollten vielmehr diffuse Ängste vor unberechenbaren Veränderungen wie Arbeitsplatzverlusten oder ausländischen „Heuschrecken“ schüren – obwohl solche Risiken in einer Marktwirtschaft immer präsent sind und kaum etwas mit vernünftigen Regeln gegen Abzocker-Missbräuche zu tun haben. Wer für die Minder-Initiative gestimmt hat, liess sich von dieser Angstmacher-Strategie offenkundig nicht irre machen.
Andern Ländern einen Schritt voraus
Wesentlich überzeugender als die Unkenrufe der Schwarzmaler, die die Gefahr eines helvetischen Irrweges an die Wand malen, klingt da das Urteil von Haig Simonian, dem Schweiz-Korrespondenten der britischen „Financial Times“. In einem Beitrag für die jüngste Ausgabe der „NZZ am Sonntag“ räumt er erstens mit der gerne kolportierten Legende auf, dass märchenhafte Millionen-Boni für fragwürdige Managerleistungen nur in der Schweiz (beliebtes Stichwort von Minder-Gegnern: Neidgenossen) ein heiss diskutiertes Thema sei. Zweitens ist der angelsächsische Finanzjournalist der Meinung, dass die Schweiz mit diesem demokratischen Vorstoss gegen solche Missbräuche der internationalen Entwicklung „vermutlich einen Schritt voraus“ sei.
Eine Absage hat die Mehrheit der Bürger, die bei der Abzocker-Initiative von ihrem Stimmrecht Gebrauch machten, schliesslich den Sozialautisten erteilt. Das sind diejenigen Wirtschaftsvertreter und Lobbyisten, die zwar in Sonntagsreden gerne die eine oder andere Bemerkung vom hohen Gut der „sozialen Kohäsion“ einflechten, in der Praxis aber verdrängen, dass masslose Bezüge in den Manager-Etagen ohne glaubwürdige Leistung (und in der Regel ohne persönliche Haftung wie bei einem echten Firmenbesitzer) eben diesen sozialen Zusammenhalt unterminieren.
Ein entscheidender Kitt für solchen sozialen Zusammenhalt ist das Vertrauen in die Einsicht zum Masshalten auf allen Ebenen, gerade auch auf jener der Mächtigen in Politik und Wirtschaft. Was passiert, wenn dieses Vertrauen missbraucht oder zerstört wird, kann man beispielsweise in Ländern wie Italien, Griechenland oder in Russland besichtigen.
Minder verdient auch bürgerlichen Dank
Eng verknüpft mit einem breiten Grundkonsens sind aber auch die Glaubwürdigkeit einer sozialen Marktwirtschaft und der direkten Demokratie. Diese wiederum zählen zu den tragenden Pfeilern der politischen Stabilität in der Schweiz und damit auch des helvetischen Erfolgsmodells. Mängel einer Marktwirtschaft, die in den Augen einer Mehrheit von Bürgern allzu viele Schlupflöcher für Selbstbedienungspraktiken einer schmalen Schicht autistischer Wirtschaftsbosse bietet, werden offenkundig nicht allein durch die vielzitierten Selbstheilungskräfte behoben. Wenn diese nicht funktionieren, bleibt in der Schweiz immer noch der Korrekturmechanismus der direkten Demokratie. In diesem Fall hat er gewirkt – Minder sei Dank.
Solchen Dank müssten eigentlich auch die bürgerlichen Gegner dem streitbaren Schaffhauser KMU-Unternehmer schulden. Seine marktwirtschaftliche Reparatur-Aktion wird sich als ein potentes Argument gegen weit schärfere Regulierungsvorstösse erweisen – wie etwa die 1:12 Lohn-Initiative der Jusos, die schon im Herbst zur Abstimmung kommen soll.