Er war eine unverwechselbare Erscheinung: Schlank, agil, witzig, humorvoll, die dichten weissen Haare gepflegt, aber unverkennbar der Intellektuelle und vor allem der Aristokrat, der sich im engen Beraterstab gern mit Männern mit einem «von» im Namen umgab.
Freundlichkeit und Distanz
Staatsbesuche sind natürlich auch in der Schweiz Grossereignisse mit entsprechender medialer Begleitung. Sie bringen einen gewaltigen Aufwand mit sich, logistische Planungen, Auseinandersetzungen mit Polizeikorps und Beamten, aber eher seiten auch Spass und Bereicherung. Ein rares Erlebnis war die Visite des deutschen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker im Mai 1987.
Der Freiherr, der diesen Titel seit Jahrzehnten nicht mehr vor dem «von» führte, wischte mit seiner gekonnten Mischung aus Freundlichkeit und Distanz die Probleme der republikanischen Gastgeber mit dem Protokoll beiseite. Es scheint in Stein gemeisselt zu sein, dass bis heute ein Staatsgast eine Ehrenkompanie vor dem Bundeshaus abschreiten muss. Moritz Leuenberger versuchte, diese Tradition zu relativieren, als er - zwei Mal - Bundespräsident war, aber die Rekruten im unkleidsamen Kampfanzug und ihre leicht nervösen Kommandanten sind dennoch geblieben.
Makeloses Französisch
Richard von Weizsäcker war schon früher in der Schweiz gewesen. Mit dem Diplomaten-Vater vor allem vier Jahre lang in Bern, als Ernst von Weiizsäcker dort als deutscher Gesandter residiete, bevor er, und mit ihm die Familie, ins Auswärtige Amt in Berlin wechselte. Das weitere Schicksal des Vaters, Staatssekretär von Ribbentrops, die Nürnberger Prozesse, die Bemühungen des Sohnes Richard, damals noch Jura-Student, seinen Vater zu verteidigen, sind nie ein Geheimnis gewesen.
Im Zug vom Flughafen Zürich nach Bern ertönte plötzlich überaus gepflegtes Französisch - ein Team des Fernsehens der Romandie interviewte den Staatsgast. Die grosse Überraschung: Der deutsche Bundespräsident beherrschte die Sprache Talleyrands flüssig, ohne deutschen Akzent und mit reichem Vokabular. Wer hätte das erwartet? Mit einem Aussenminister Genscher im Gefolge, der zwar charmant, witzig und taktisch geschickt war, von dem allerdings die Rede ging, er verstehe nicht einmal Englisch?
Kurzes Nostalgie-Programm
Trotz der üblichen Besuchszwänge in den kurzen zwei Besuchstagen hatte es der Deutsche durchgesetzt, in Bern, ausser der Ehrenkompanie und Treffen mit dem Bundesrat sowie den üblichen Honoratioren im Bundeshaus, ein kurzes Nostalgie-Programm einzuschieben. Das hatte er mir bereits angekündigt, als ich ihn vor der Reise in Bonn in der Villa der Bundespräsidenten interviewte. Bern, sagte er, habe einen besonderen Platz in seiner Erinnerung. Der Spaziergang durch die Innenstadt musste auf seinen Wunsch an der Confiserie vorbeiführen, in der er sich als Gymnasiast von seinem Taschengeld manchmal Pralinen leisten konnte, die ihm jetzt natürlich freudestrahlend offeriert wurden.
In der Residenz der deutschen Botschafter hakte er mich unter und bestand darauf, in den oberen Stockwerken das Zimmer zu zeigen, das er 1933 bis 1936 bewohnt hatte. Im Gegensatz zu den eleganten Repräsentationsräumen im Erdgeschoss soll es bemerkenswert schlicht und funktional gewesen sein, wie er erklärte. Aber der Blick über die Aare war immer noch wunderbar.
Das besondere Gastgeschenk
Später hatten die Medien für eine ganze Weile nichts mehr zu melden. Der deutsche Bundespräsident hatte vor seinem Staatsbesuch Schulkameraden und -kameradinnen aus dem Gymnasium Kirchenfeld suchen lassen. Ein Grüpppchen hatte sich in einem der Schulzimmer eingefunden, und nach kurzen Foto- und TV-Aufnahmen gab es hier keinerlei Öffentlichkeit mehr.
Bei einem Staatsbesuch ist es meist üblich, dass der Bundesrat samt Gattinnen dem Gast und seiner Entourage ein Gala-Dinner offeriert. Eine elegante Ausnahme war jeweils die Frau von Bundesrat Hürlimann. Und später zeigte Bundesrätin Elisabeth Kopp, dass ein modisches Abendkleid samt High-Heels dem Amt und dem Land durchaus zur Ehre gereichen konnten, ein Pfad, der heute von den Bundesrätinen und den Bundesrats-Partnerinnen beschritten wird. Ein zweites Dinner war üblich, zu dem die Staatsgäste in ihre Botschafts-Residenzen einluden.
Richard von Weizsäcker wusste, was sich gehört. Er brachte als Gast ein Gastgeschenk mit, das es vorher und nachher nie gegeben hat: Der deutsche Bundesräsident brachte nichts weniger als die Berliner Philharmoniker samt Herbert von Karajan mit, der trotz fortgeschrittener Krankheit ein berauschendes Konzert dirigierte. Das war ein einmaliges Präsent, das Richard von Weizsäcker der Schweiz darbot. Und er war damit auch selber ein Geschenk für das Gastland.