Die Zahlen widerspiegeln das Wirtschaftswachstum und den steigenden Wohlstand. In Peking beispielshalber wurden im Jahr 2006 fünf Millionen Tonnen Abfall registriert. Im Jahre 2013 waren es bereits sieben und 2016 dann zehn Millionen Tonnen. Neben dem Haushaltabfall produziert auch die Wirtschaft Müll. Allein in Peking fallen derzeit jährlich rund zehn Millionen Tonnen Industrie- und 40 Millionen Bau-Abfall an. Die verwöhnten Städter sind für doppelt bis viermal soviel Abfall verantwortlich wie die Landbewohner. Weltweit wurden nach Uno-Zahlen aus dem Jahre 2013 fast vier Milliarden Tonnen Müll produziert, am meisten davon in den Industriestaaten Europas, den USA und Japan.
In der 25-Millionen-Metropole Shanghai zum Beispiel stehen statistisch pro Kopf der Bevölkerung 480 Kilogramm Abfall zu Buche, während es bei einem Landbewohner gerade einmal 90 Kilogramm sind. Das ist zwar ziemlich viel und spiegelt das noch nicht sehr weit entwickelte Umweltbewusstsein. Doch die Industrieländer, wenngleich mit umweltfreundlicherer Entsorgung, kommen auf viel mehr. Die Amerikaner sind mit 760 Kilogramm Abfall pro Kopf und Jahr deutlich Weltmeister. Mit 702 Kilogramm lässt sich aber auch die Schweiz nicht lumpen. Der Schnitt aller OECD-Länder liegt nämlich bei vergleichsweise bescheidenen 520 Kilogramm.
Gute Vorsätze reichen nicht
Seit Jahren bemühen sich die chinesische Zentralregierung sowie unzählige Provinz- und Lokalregierungen, dem wachsenden Müllgebirge Herr zu werden. Ein nationaler Plan zur Reduzierung von Abfällen sowie landesweite Kampagnen für Abfalltrennung und Recycling werden mit grossem Medienecho propagiert. Eine Entsorgungsgebühr für Haushaltsabfälle wurde in vielen Städten diskutiert und in einigen wenigen bisher auch eingeführt.
Seit 2008 sind Plastiktüten kostenpflichtig, theoretisch wenigstens, denn oft sind die Kunststoffsäckchen, wie Ihr Korrespondent weiss, gratis. Becher und Essgefässe dürfen in Strassenrestaurants und Schnellimbissstuben nur noch aus recyclierbaren Stoffen hergestellt sein. Auf Einweg-Essstäbchen aus Bambus wird eine fünfprozentige Steuer erhoben. Je nach Provinz und Stadt werden die national vorgegebenen Ziele unterschiedlich durchgesetzt.
Besonders augenfällig wird das bei der Forderung nach Mülltrennung. Grosse Städte wie Shanghai, Guangzhou, Chengdu oder Tianjin sind dabei seit dem Jahr 2000 mit dem guten Beispiel vorangegangen. Peking hat sich insbesondere für die Olympischen Spiele 2008 viel vorgenommen. Kübel für sortierten Abfall – verwertbar, nicht verwertbar – zieren seitdem die Strassen.
Allein, entsorgt werden sie dann gemeinsam im gleichen Abfallcontainer. 2011 führte Shanghai zunächst probeweise Mülltrennung ein. «Trockener» Abfall musste in schwarze, «feuchter» Abfall in braune Säcke gesteckt werden. Doch bis heute wird in China der grösste Teil des Hausmülls noch ungetrennt entsorgt, nach offizieller Statistik siebzig Prozent. Immerhin, denn vor dreissig Jahren waren es vermutlich an die hundert Prozent.
Tickende Zeitbomben
Dank den Medien und den Lokalregierungen ist ein Umweltbewusstsein langsam im Entstehen. Das braucht Zeit. Taiwan ist ein gutes Beispiel. Vor zwanzig Jahren wurde kaum etwas getrennt entsorgt, heute alles. Auch Europa und zumal die Schweiz sind gute Beispiele. Ihr Korrespondent erinnert sich noch gut an die fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Damals wurde nicht nur ungetrennt entsorgt, sondern alles in Stadt und Land achtlos weggeworfen. Picknickplätze damals waren, Verzeihung, eine Sauerei. Und heute sind wir derart umwelt-erzogen, dass wir nicht mal mehr ein Brösmeli aufs Trottoir fallen lassen.
In China ist man noch nicht ganz so weit. Immerhin gibt es private Müllsammler, meist Wanderarbeiter, die Papier, Karton, Plastik, Metall und Holz auf ihren schwer beladenen Dreirädern zur nächsten Verwertungsstelle fahren und dort dafür gutes Geld bekommen. Grosse Fortschritte sind in den letzten zehn Jahren in den Grossstädten mit der Abfallbeseitigung erzielt worden. Deponien gibt es noch, sind aber verpönt und in einigen Landesteilen verboten. In Peking gibt es keine neuen mehr, dafür dreissig riesige alte Abfalldeponien, die wegen giftiger Rückstände als tickende Zeitbomben überwacht werden.
Kollabierter Müllberg
Der Kollaps eines hohen Abfallberges – siebzig Fussballfelder gross – in der boomenden südchinesischen 10-Millionen-Metropole Shenzhen hat Ende 2016 weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Über zwanzig Menschen kamen dabei im Hengtaiyu-Industriepark ums Leben, fünfzig werden noch immer vermisst. Dreissig Gebäude, darunter 14 Fabriken und zwei Bürogebäude wurden zerstört. Der verantwortliche Stadtbeamte nahm sich das Leben, elf weitere wurden verhaftet.
Bis 2020 will nun Shenzhen 100 Milliarden Yuan (rund 140 Millionen Franken) investieren, um dem Müllproblem Herr zu werden. Mit Umweltkampagnen soll die Bevölkerung sensibilisiert werden. Ziel: bis in vier Jahren sollen 95 Prozent der Haushaltabfälle verbrannt oder recycliert werden.
Beschleunigter Bau von Müllverbrennungsanlagen
Meist haben jetzt in China Kehrichtverbrennungsanlagen die Deponien ersetzt. Im ganzen Lande gibt es derzeit 231 Müllverbrennungsanlagen mit einer Kapazität von 300‘000 Tonnen pro Tag. Im November 2016 veröffentlichte die Zentralregierung neue Richtlinien zum beschleunigten Bau neuer Anlagen. Kaum verwunderlich, denn bis ins Jahr 2020 sollen bis zu 300 weiteren Anlagen gebaut werden.
Wärme für Stadtheizungen und Elektrizitätsproduktion sind willkommene Nebenprodukte dieser Verbrennungsanlagen. Peking allein betreibt derzeit 28 Kehrichtsverbrennungsanlagen, darunter die 2013 in Betrieb genommene Grossanlage Lujiashan im Westen von Peking mit einer Kapazität von 3000 Tonnen am Tag. Auch Shanghai verfügt mit der Laogang-Anlage in Pudong über eine Grossanlage mit 3000 Tonnen Kapazität. Shenzhen in Südchina, ganz dem neuen Umweltbewusstsein verpflichtet, baut jetzt eine noch grösseren Anlage, die 5000 Tonnen Müll pro Tag verbrennen kann.
Diese Anlagen sind kostspielig. Westliche Firmen, insbesondere aus Europa und Amerika, profitieren mit ihrer fortgeschrittenen Technologie bei deren Bau. Wie anderswo wird auch in China gegen die Immissionen der Verbrennungsanlagen protestiert. Manchmal erfolgreich. In der Provinz Fujian erhielten 400 Dorfbewohner vom Gericht sechs Millionen Yuan (umgerechnet 800‘000 Franken) zugesprochen wegen krebserregenden Emissionen.
Sun Minkuans Superangebot
Doch Abfall umweltgerecht zu entsorgen, ist in China noch immer ziemlich schwierig. Wohin mit Batterien, Zeitungen, Karton, alten Kleidern undsoweiter undsofort? Alles in einen Kübel, so jedenfalls ist es noch immer Brauch im Pekinger Quartier Ihres Korrespondenten. Doch neuerdings gibt es ein umweltfreundliches Superangebot. Sun Minkuan, unter anderem Gemüsebauer, macht es möglich. In seinen bislang zwei Pekinger Läden nimmt er Verwertbares entgegen. Dafür bekommt man Punkte gutgeschrieben, mit denen Suns Gemüse erstanden werden kann. Es ist köstlich. Und selbstverständlich Bio.