Welches sind im Jahr 2024 die Brennpunkte des Weltgeschehens? Wie sind die Krisenherde entstanden? Welche Einflüsse drücken ihnen den Stempel auf? – Der neue geopolitische Atlas «Die Welt der Gegenwart» informiert in dichter und attraktiv aufbereiteter Form.
Auf dem TV-Kanal Arte gibt es die wöchentliche Sendung «Mit offenen Karten», die in einer knappen Viertelstunde jeweils ein geopolitisches Thema auf der Basis von Kartenmaterial informativ aufbereitet. Geleitet wird die Reihe von Émilie Aubry. Sie und der langjährige Berater der Sendung, der Geopolitik-Spezialist Frank Tétart, haben ein Buch zur Sendereihe herausgegeben, das 2022 in Französisch erschienen ist und jetzt auf Deutsch in einer aktualisierten Fassung vorliegt.
Der lexikalische Charakter des TV-Formats kommt in der Buchausgabe noch deutlicher zum Tragen. Entstanden ist ein geopolitischer Atlas, der eine Übersicht über aktuelle Brennpunkte des Weltgeschehens bietet. Er zeigt «die Welt in 28 Reisezielen». Die Stationen sind klug gewählt: Moskau, Brüssel, Berlin, Insel Gotland, Medyka (Polen), Washington DC, Amazonien, Tijuana, Punto Fijo (Venezuela), Peking, Causeway Bay (Hongkong), die DMZ (Demilitarisierte Zone) zwischen den Koreas, Tokio, Barossa Valley (Australien), Taj Mahal, Natanz, Al Ula (Saudi-Arabien), Aleppo, die Meerenge des Bosporus, Jerusalem, Algier, Sidi Bouzid (Tunesien), Addis Abeba und Timbuktu. Mit den ergänzenden Destinationen Wuhan (Pandemien), Orly (Verkehr), Riad (Digitalisierung) und Montreal (Klimakrise) werden geopolitische Querschnittthemen behandelt.
Ein solches Buch ruft natürlich der Frage, ob es sinnvoll sei, aktuelle Informationen in diesem Medium zu präsentieren. Kann gedruckte Information den Nachteil gegenüber der jederzeit aktualisierbaren elektronischen Form in irgendeiner Weise aufwiegen? Ja, sie kann! Der buchförmige Atlas punktet mit der Übersicht, die er bietet. Durch seine Auswahl der Themen kreiert das Buch eine Gesamtschau, in die es die einzelnen Kapitel einordnet. Ausserdem erlaubt es den Lesenden mit den Kulturtechniken des Blätterns und Stöberns den Zugang zu Themen, die sie nicht aufgrund von Vorinformationen aktiv gesucht haben. Serendipity nennt man dieses nicht völlig bewusst angezielte, aber auch nicht gänzlich zufällige Finden von Neuem, bislang Unbekanntem oder auch bloss Verkanntem, Vergessenem.
Gedruckte Lexika und Atlanten sind klassische Medien des Serendipity-Prinzips. Was sie den Nutzern bieten, lässt sich in elektronischer Form nicht substituieren. Das Erlebnis des Blätterns ist etwas anderes als das «Surfen» auf digitalen Nutzeroberflächen. Auch versierte User von Netz und Datenbanken kommen mit Gedrucktem und Gebundenem anders und direkter zu Fundsachen, die sie nicht gesucht haben.
Der handliche Atlas ergänzt die Arte-Sendereihe in idealer Weise. Er kommt dem Bedürfnis nach Hintergrundwissen, das die täglichen News meistens nicht liefern können, ein grosses Stück weit entgegen. Da er stets auch historisch zurückschaut, ist der geopolitische Atlas bestens geeignet, jungen Interessierten, welche die jüngste Vergangenheit noch nicht bewusst miterlebten, den Weg zum fundierten Verständnis der Aktualität zu ebnen.
Émilie Aubry, Frank Tétart: Die Welt der Gegenwart. Ein geopolitischer Atlas. C.H. Beck 2024, 223 S.