Schlussspurt: Noch neun Tage bis zur Wahl. Die letzten Umfragen zeigen ein «totes Rennen». Ein Drittel der Wählerschaft hat seine Stimme schon abgegeben. Kamala Harris hat in den letzten Tagen Terrain eingebüsst. Laut der New York Times sind die letzten Umfragen für die Demokratin «nicht ermutigend».
Die letzte grosse Umfrage der New York Times, die vom Siena College durchgeführt wurde, zeigt, dass sowohl Harris als auch Trump landesweit auf 48 Prozent der Stimmen kommen. Auch die letzte CNN-Umfrage zeigt einen Gleichstand, je 47 Prozent.
Im September hatte Harris gegenüber Trump landesweit noch einen Vorsprung von bis zu 3 Prozent. Diesen hat sie eingebüsst. Zudem – und das ist ein schlechtes Zeichen für Harris – entwickelten sich in den letzten Tagen die Umfragewerte ganz langsam gegen Harris und für Trump. Der Ex-Präsident hat die Dynamik auf seiner Seite – wenn es auch eine zahme Dynamik ist. Doch da man ein äusserst knappes Ergebnis erwartet, kann das entscheidend sein.
Auch in den entscheidenden sieben Swing States herrscht fast ein Patt. In Pennsylvania, Wisconsin, Nevada und Michigan führt Harris laut New York Times mit einem Vorsprung von weniger als einem Prozent. In North Carolina, Georgia und Arizona liegt Trump mit gut einem Prozent Vorsprung vorn. Die Fehlermarge dieser Umfragen liegt bei plus/minus 3 Prozent. Wenige tausend Stimmen können den Ausschlag geben.
Taylor Swift, Madonna, Beyoncé
Hunderte Millionen haben die Demokraten für Werbung eingesetzt. Doch dies hat «offenbar wenig genützt», so die New York Times. Auch das teils vehemente Engagement von Taylor Swift, Madonna, Beyoncé, Eminem, Bruce Springsteen, Bob Woodward und Bill Gates haben Kamala Harris wenig eingetragen.
Selbst Jeffrey Kuhlman, einst Arzt im Weissen Haus, blieb ungehört. Er sagte, er sehe bei Trump «Anzeichen von kognitivem Verfall». Und «Mitch» McConnell, ein rechtsgerichteter Ur-Republikaner und noch republikanischer Minderheitsführer im Senat, bleibt wirkungslos. Er hat ein vernichtendes Urteil über Trump gefällt. Sein «Make America Great Again» sei völlig falsch. Der ehemalige Präsident habe «viel Schaden am Image unserer Partei und unserer Wettbewerbsfähigkeit angerichtet», sagte McConnell. Die Trump-Fans wollen ihn nicht hören. Auch das vernichtende Urteil des früheren amerikanischen Generalstabschefs Mark Milley hat die Umfragen nicht beeinflusst. Milley warnte eindringlich vor einer zweiten Amtszeit Trumps und bezeichnet ihn als «Faschisten durch und durch». Auch das Alter des 78-jährigen Ex-Präsidenten spielt plötzlich kaum eine Rolle mehr.
Vergessen sind auch die präsidialen chaotischen vier Trump-Jahre. Vergessen auch, dass er in seiner Amtszeit vor allem Unruhe, aber wenig Konstruktives zustande brachte. Und verdrängt werden auch seine charakterlichen Defizite und Verurteilungen.
«On the wrong track»
2016 hatte Hillary Clinton gegenüber Trump drei Wochen vor den Wahlen landesweit einen Vorsprung von bis zu 8 Prozent – und sie verlor die Wahl trotzdem. Jetzt also herrscht zwischen Harris und Trump Gleichstand, kein gutes Zeichen für die Demokratin.
Gegen Harris spricht, dass eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung pessimistisch ist, was die Zukunft des Landes betrifft. Nur 28 Prozent der Befragten gaben an, dass sich das Land in die richtige Richtung bewegt, die Mehrheit sei «on the wrong track». Gemäss CNN erklärten 49 Prozent der Befragten, dass es ihnen jetzt finanziell schlechter geht als vor einem Jahr, während nur 16 Prozent sagten, dass sich ihre finanzielle Lage verbessert habe.
Trump hat wiederholt ein düsteres Bild der Nation unter Präsident Biden und Vizepräsidentin Harris gezeichnet. Harris wird vor allem vorgeworfen, dass sie zu wenig gegen die illegale Einwanderung unternommen hat. Ihr Verhalten als Vizepräsidentin wird mehrheitlich negativ beurteilt. Jetzt spricht Trump davon, dass er «die grösste Abschiebung in der Geschichte Amerikas» vornehmen werde. Er wolle «Millionen Illegaler ausweisen».
Erneut vier Jahre Trump?
Immer wieder wird gesagt, die Umfragen würden Trump unterschätzen. Die Institute erklärten, dies würde diesmal nicht geschehen. Ob es nicht geschieht, muss sich zeigen.
«Vielleicht müssen wir uns darauf einstellen», erklärt ein Kommentar auf ABC, dass die USA «in den nächsten vier Jahren erneut von Trump regiert werden» – mit allen unabsehbaren internationalen Konsequenzen.
Doch auch wenn die Stimmung im demokratischen Lager zurzeit eher gedrückt ist: Noch ist längst nichts entschieden. Laut den «Poll of Polls» des Instituts «538» haben mehr Amerikanerinnen und Amerikaner eine positive Meinung von Harris als von Trump. 52,1 Prozent der Wählerinnen und Wähler schätzen Trump negativ («unfavorable») ein. 43,4 Prozent werten ihn positiv («favorable»). 47,8 Prozent haben eine «unfavorable» Meinung von Kamala Harris und 46,4 eine «favorable». Die Poll of Polls zeigen Durchschnittswerte Dutzender Meinungsumfragen.
Abgeschreckt von Trumps Verhalten
Eine klare Mehrheit ist gemäss der jüngsten CNN-Umfrage der Ansicht, dass sich Harris mehr um die Menschen im Land kümmert als Trump. 41 Prozent halten sie für «ehrlich und vertrauenswürdig», während dies nur 29 Prozent von Trump sagen. Andererseits glauben 43 Prozent, dass vor allem Trump in der Lage ist, einen Wandel herbeizuführen, «den das Land braucht». Nur 38 Prozent trauen dies Harris zu. Für Harris spricht auch, dass die potenziellen Wähler grösstenteils von Trumps Verhalten und Temperament abgeschreckt sind. 56 Prozent sagen, dass dies ein Grund sei, gegen ihn zu stimmen.
15 Prozent der Wählerinnen und Wähler haben sich neun Tage vor der Wahl noch nicht entschieden. Wem diese Unentschlossenen zuneigen, so erklären Wahlstrategen, ist umstritten.
Einen Unterschied gibt es bei den Geschlechtern. Die Frauen stimmen mehrheitlich für Harris, die Männer mehrheitlich für Trump. 54 Prozent der Wählerinnen befürworten Harris, 42 Prozent Trump. Bei den Männern ist es umgekehrt: 55 Prozent stimmen für Trump, 41 Prozent für Harris.
«Auf die Schnauze gefallen»
Die Vizepräsidenten haben wenig Einfluss auf die Wahlen. 34 Prozent haben eine positive Meinung des Demokraten Tim Walz, ebenso viele eine negative. Beim Republikaner J. D. Vance überwiegen die negativen Meinungen: 43 Prozent sehen ihn negativ, 33 Prozent positiv.
Auch wenn die Demokratin in den letzten Tagen ihren Vorsprung eingebüsst hat – noch ist alles möglich.
Und natürlich weisen die Anhängerinnen und Anhänger von Kamala Harris laut CNN darauf hin, dass die Meinungsforscher 2016 bei der Wahl von Clinton versus Trump «unisono auf die Schnauze gefallen sind».