Luft ist ein gar kostbares Gut. Politiker aller Denominationen bevorzugen meist heisse Luft, die dem Stimmvieh – Verzeihung, Stimmvolk – bei jeder passenden und meist unpassenden Gelegenheit in die Nüstern getrieben wird. Warme Luft wiederum vermasselte den Skiorten zum Jahresende den tourismuswirtschaftlich entscheidenden Schnee. Dicke Luft dagegen herrscht bei privaten wie öffentlichen Disputen. Verschmutzte Luft jedoch ist in den letzten Monaten zum grossen medialen Thema gereift und zum permanenten Schlagzeilen-Star geworden.
Ja, natürlich Peking. Allein im Dezember zweimal Alarmstufe Rot. Pfui Teufel! Aber auch Delhi hat es geschafft. Und Jakarta. Und Bangkok. Und und und. Neulich war sogar von Smogalarm in Italien zu lesen. Kurz danach versank die iranische Hauptstadt Teheran im Smog. Weitere Städte kamen hinzu. Vielleicht, so lässt sich schliessen, ist im Vergleich zu den Zuständen vor zehn, zwanzig, was sag’ ich dreissig oder vierzig Jahren die Lage tatsächlich viel schlimmer geworden. Verglichen mit London oder Basel der fünfziger Jahre indes wohl kaum.
Smog als Geschäftsfeld
Die Wahrnehmung des Luftproblems und das Bewusstsein der Dringlichkeit sind Ursachen der Umkehr. Ganz zum Wohle der Nachhaltigkeit und der globalen Verbesserung der Atemluft. Wie wir in Europa wissen, ist aber der Kampf für bessere Luft mühsam und erfordert viel Zeit. Jahrzehnte.
Deshalb bringen findige Unternehmer Produkte auf den Markt, die das Atmen erleichtern. Kleine, feine Luftreinigungsmaschinchen verbessern beispielsweise die Luft in den Gebäuden der chinesischen KP- und Regierungszentrale Zhongnanhai, der neuen Verbotenen Stadt in Peking. Dort sollen weit über tausend Luftreiniger zum Stückpreis von rund 8‘000 Yuan – umgerechnet über 1200 Franken – den Parteiführern das Atmen und Regieren erleichtern. Auch reichere Chinesinnen und Chinesen schaffen sich solch luxuriöse Geräte an. Für den Laobaixing, den Durchschnitts-Chinesen und Ihren Korrespondenten hingegen bleibt es bei Atemmasken zum Stückpreis ab 32 Yuan, rund 5 Franken.
Luft und natürliche Energie
Vor zwei Monaten hat das findige kanadische Unternehmen Vitality Air auf eine geniale Idee gesetzt. Es verkauft in China frische Luft in Dosen. Nicht irgendwelche Luft, sondern glasklare Luft aus dem Banff National Park der amerikanischen Rocky Mountains. Diese Luft ist nach Angaben der Vitality-Air-Website nicht nur die „reinste und purste“, sondern enthält zudem „natürliche Energie“. Die 7,7 Liter – „von Hand“ notabene – in die Dose gepresste Frischluft, ausreichend für zirka 150 tiefe Atemzüge, ist nicht ganz billig. Sie kostet 100 Yuan (umgerechnet rund 15 Franken). Abnehmer sind nach Angaben der Produzenten vor allem Nachtclubs, Nobelrestaurants und internationale Schulen. Die jedenfalls können sich das leisten. Die Gewinnmarge, wen wundert es noch, soll recht hoch sein.
Die Unternehmer Moses Lam undTroy Paquette von Vitality Air sind laut einem Bericht der amtlichen Nachrichten-Agentur Xinhua (Neues China) wegen Medienberichten auf die Idee gekommen, den nordchinesischen Smog-Markt zu bearbeiten. Kein Wunder, denn Vitality Air ist schon länger im Luft-Business tätig, so mit frischer Luft, aber auch Sauerstoff in den USA, dem Nahen Osten und Indien. Jetzt der neue Megamarkt China. Zunächt wurden 500 Dosen ins Reich der Mitte gesandt. Diese waren sofort ausverkauft. Eine weitere Lieferung von 4000 Dosen ist eingetroffen. Weitere werden sicher folgen.
Luft als Kunstwerk und Souvenir
Doch die Kanadier sind beileibe nicht die ersten in China. Bereits vor zwei Jahren hat der chinesische Unternehmer Chen Guangbiao chinesische Frischluft – ja, die gibt es tatsächlich noch – in Dosen verpackt und für 5 Yuan (80 Rappen) mit einigem Erfolg unters Volk gebracht. Der Künstler Liang Kegang wiederum hat sich vom Smog inspirieren lassen und hat als singuläres Kunstwerk ein Glas mit Luft aus Südfrankreich gefüllt. Kostenpunkt: 6‘500 Yuan (1‘000 Franken). Eine australische Firma hingegen hatte nur kurzzeitig Erfolg. Das Geschäftsmodell: Mit Luft wurde auch Sonnenschein in die Dose gepresst.
Doch die pure Luft aus den Rocky Mountains für atemlose Chinesinnen und Chinesen ist keine Weltneuheit. Bei weitem nicht. Es gibt viele Beispiele. Besonders empfehlenswert die „Original Wienerluft“, die es seit 2012 im Geschäft „decoo“ an der Stiftsgasse im Ersten Bezirk von Wien zu kaufen gibt. Zwölf Varianten sind erhältlich, so zum Beispiel Heurigenluft, Kaffeehausluft, Praterluft, Würstelstandluft, Bühnenluft, Beislluft, Sachertorteluft oder Backhenderlluft. Für Politiker besonders empfelhlenswert die „Parlamentsabfüllung Heisse Luft“.
Freie Luft
Schon Jahrzehnte zuvor gab es Büchsenluft mit politischer Konotation. Die „Original Berlinerluft“ nämlich. Sie wurde auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges 1961 in 180ccm-Dosen produziert und für 1,50 D-Mark von Kiosken und Souvenir-Geschäften an den Mann und die Frau gebracht. Es war das Jahr 1961, als US-Präsident John F. Kennedy beim Besuch der Frontstadt des Kalten Krieges die berühmten Worte sprach: „Ich bin ein Berliner“. Die Büchsen-Produzenten schrieben damals: „Möge nie der Tag kommen, an dem es die freie Berliner Luft nur noch in diesen Dosen gibt“.
Die freie Rocky-Mountain-Luft wird wohl die Harmonie in China kaum stören. Die amtliche englischsprachige Regierungszeitung „China Daily“ berichtete jedenfalls relativ unaufgeregt über die Dosenluft aus dem kapitalistischen Nordamerika. Bei der Beschreibung der chinesischen Reaktionen auf die pure Luft aus dem amerikanischen Nationalpark freilich schrieb die Zeitung: „Einige denken, dass das Produkt nichts anderes als ein Marketing-Trick ist, und beschreiben es als eine ausländische Verhöhnung der chinesischen Umwelt-Problematik“.