Bilder verschiedener Künstler zu vergleichen, ist ein probates Mittel von Ausstellungsmachern, um Eigenheiten von Werken und Beziehungen zwischen ihnen hervorzuheben. Für die Art, wie Museen Kunst zeigen, ist das sogar eher die Regel als die Ausnahme. Sammlungspräsentationen folgen ja vielfach solchen didaktischen Grundsätzen. Werden aber, wie dies im Zürcher Kunsthaus zurzeit gerade zweifach geschieht, eigentliche Dialoge zwischen zwei gewichtig präsentierten Œuvres inszeniert, so bekommt das Vergleichen und Unterscheiden offensichtlich einen besonderen Stellenwert.
Zwei Doppelausstellungen aufs Mal
Die eine dieser Doppelausstellungen zeigt den Wiener Sezessionisten Egon Schiele (1890-1918) zusammen mit der 1970 geborenen Engländerin Jenny Saville (noch bis 25. Januar 2015). Das Wechselbad zwischen Schieles blossgestellten, zu gewebeartigen Ornamenten verdorrten Figuren und Savilles monumentalen, aufgedunsenen, gequälten Weiber- und Kinderleibern konfrontiert den Betrachter mit zwei extremen Haltungen, die sich in unterschiedlicher Art je mit einem Körperideal und dem Geist ihrer Zeit auseinandersetzen.
Während Schiele und Saville sich im Bührle-Saal des Kunsthauses direkt begegnen, hat Peter Fischli seine Protagonisten im Sammlungstrakt zwar benachbart, aber in separaten Sälen untergebracht. Er unterstreicht damit die Distanz zwischen Hodler und Schnyder und lädt gewissermassen dazu ein, sich zuerst in beide malerischen Welten hineinzufinden und erst anschliessend Bezüge und Differenzen zu erkunden (noch bis 26. April 2015).
Landschaftsmaler mit Rennvelo
Der Hodler-Part ist vollständig aus der Sammlung des Kunsthauses bestückt, in der sich mehrere Hundert Werke Ferdinand Hodlers (1853-1918) befinden. Viele der von Fischli ausgewählten Gemälde und Zeichnungen sind, da seit Jahrzehnten nicht gezeigt, für das Publikum neu. Der thematische Schwerpunkt liegt bei Landschaften: Genfersee, Hochalpen, Feld- und Waldmotive, Skizzen.
In dieser Motivwelt und in der Arbeitsweise der Plein-air-Malerei trifft sich der 1945 geborene Jean-Frédéric Schnyder mit Hodler. Fischli hat aus Schnyders Werk zwei Zyklen ausgewählt: die 1982-1983 entstandenen «Berner Veduten» und die Reihe «am Thunersee» von 1995.
Aus der Verlegenheit, vorübergehend kein Atelier zu haben, schnallte sich Schnyder die Staffelei auf den Rücken und erkundete auf dem Rennvelo die städtische und vorstädtische Szenerie im Bern der frühen 1980er Jahre. Die klein- bis mittelformatigen Ölbilder sind malerische Stenogramme dieser visuellen Bestandsaufnahme, rasch gepinselt in einer flüchtigen, aber leicht leserlichen Handschrift. Schnyder will, dass der Betrachter die Szenen wiedererkennt: So sieht das also aus bei uns!
Malen statt Fotografieren
Der zwölf Jahre später entstandene Thunersee-Zyklus hat die städtische Hektik abgelegt, obschon Schnyder noch immer schnell malt. Wie unsereiner sich für den fotografischen Schnappschuss bereitstellt, so platziert er seine leichte Staffelei, holt das Malzeug aus dem Rucksack und wirft mit geübten Pinselstrichen auf die einheitlich kleinformatige Leinwand, was der gedachte Kamerasucher zeigt.
Da ist viel Routine am Werk; Schnyder versteckt sie nicht, sondern zeigt sie als gewolltes ästhetisches Mittel. Entscheidend ist nicht die Ansichtskarten- oder Kalenderbild-Schönheit der malerischen Momentaufnahme, sondern die Dokumentation. Die Bilder haben ein genaues Datum: So sah es an dem bestimmten Tag aus, als Schnyder vor Ort war.
Schnyders Ausrüstung und Arbeitsweise erinnern an die Anfänge der Fotografie. Was er mit sich trägt, dürfte jedoch um einiges leichter und handlicher sein als die seinerzeitigen Balgenkameras und Fotoplatten. Das ändert nichts daran, dass er ähnlich unterwegs ist wie die Fotopioniere, nämlich mit der Frage: Was ist zu sehen? Und mit dem Problem: Wo stelle ich mich hin, um es «richtig» in den Blick zu bekommen?
Auch in der Art, wie Schnyder Gesehenes auf die Fläche der Leinwand überträgt, ist er der fotografischen Optik nah. Beim vergrösserten Ansichtskarten-Format der Thunersee-Bilder auferlegt sich der Maler die Abbildcharakteristik eines Objektivs mit fester Brennweite. Denn genau dies entspricht der visuellen Konditionierung und Sozialisation, die seit der Massenproduktion apparativer Bilder zur zivilisatorischen Norm geworden ist.
Malerei nach der visuellen Revolution
Vor den ersten Fotografien von Joseph Nicéphore Nièpce und Louis Jacques Mandé Daguerre im frühen 19. Jahrhundert existierten keine apparativ hergestellten Abbilder. Erst gegen Ende des Jahrhunderts gab es gerasterte Fotos, die in Massenauflagen gedruckt werden konnten. In den letzten 130 Jahren haben Fotografie und Film eine Kulturrevolution bewirkt, die in einer Reihe steht mit den Medien-Epochenschritten der Menschheit: den Erfindungen von Schrift (4. Jahrtausend v. Chr.) und Buchdruck (in China 14., eventuell schon 11. und in Europa Mitte 15. Jahrhundert).
Ferdinand Hodlers Wirken fällt in diese Zeit der visuellen Kulturrevolution. Die Malerei musste sich gegen die gewaltig aufkommende Fotografie behaupten. In dieser Konfrontation bezog Hodler die Position, Malerei als reflexive, sinntragende Bildkunst zu praktizieren. Der klassischen Ästhetik, die Bildkunstwerke in ihrer Eigenschaft als Imitationen der Natur gewürdigt hatte, war spätestens mit der kulturindustriell genutzten Fotografie der Boden entzogen. Hodler vergewisserte sich des Kunstcharakters seines Tuns mit einem Plus, das zur Imitation nicht nur hinzutrat, sondern sie oft überlagerte: als ikonischer Charakter, als symbolistische Botschaft, als existenzielle Dimension.
Nichts davon bei Schnyders Bildern! Er kennt keine Notwendigkeit, zur Fotografie auf Distanz zu gehen, im Gegenteil: Seine schnellen Ölbildchen – was bei Fotos die Tausendstelsekunden der Verschlusszeiten, das sind bei diesen Malereien wohl die Minuten der Farbtrocknung – gehen dicht an die fotografischen Gesetzmässigkeiten heran. Das drängt einem selbstverständlich die Frage auf, weshalb Schnyder dann nicht gleich zur Kamera gegriffen hat.
Auf Umwegen zum Sehen
Jean-Frédéric Schnyder könnte mindestens zwei Gründe dafür anführen. Zum einen wirkt das Malen «fotografischer» Sujets verfremdend und dadurch Augenöffnend. Die Ölbilder zeigen nicht nur auf die Gegenstände, sondern auch auf das Medium, in dem sie üblicherweise abgebildet werden.
Mit dieser Mehrfach- oder Umwegkommunikation werden die Bilder komplexer und reicher. Durch die Reihung vieler ähnlicher Sujets verstärkt sich diese Anreicherung in einer Weise, dass sie schliesslich völlig in den Vordergrund tritt und die Wahrnehmung des Zyklus prägt.
Ein zweiter Grund, zu malen statt zu fotografieren, könnte darin zu finden sein, dass der Künstler die Probe aufs Exempel macht: Kommt das Medium Malerei nach der erwähnten Kulturrevolution der massenhaft verbreiteten apparativen Bilder überhaupt noch an die Inhalte dieses visuellen Stroms heran? Sind klassische bildnerische Mittel geeignet, den Alltag abzubilden? Kommen Pinsel und Palette mit dem Banalen zurande?
In der Selbstbehauptung der Malerei unter kulturindustriellen Bedingungen liegt ein verborgener Berührungspunkt der von Fischli kombinierten Œuvres. Dies festgestellt, sind wir auch schon wieder bei den Unterschieden.
Die durch ein Jahrhundert voneinander getrennten Künstler reagieren in gegensätzlicher Art auf die Herausforderung des technischen Abbildens mittels Optik und Chemie oder Optik und Elektronik. Hodler orientiert sich im Einklang mit der Kunsttradition «nach oben», zur «höheren» Bedeutung der Bilder; Schnyder wendet sich «nach unten», indem er sich die Stereotypen des apparativen Abbildens und die banalen Inhalte malend aneignet und durch diese Verfremdung ein Moment der Reflexion schafft.