Israelische Soldaten am Montag auf dem Weg in den Gazastreifen. Israel und die Hamas haben inzwischen vereinbart, den viertägigen Waffenstillstand, der am Montagabend ausläuft, um zwei Tage zu verlängern. Dies bestätigt der katarische Aussenminister. Mit einer mehrstündigen Verzögerung hat am Abend die vierte Geiselbefreiung begonnen. Nach Angaben aus Rotkreuzkreisen hat die Hamas neun Kinder und zwei Frau freigelassen.
Im Gegenzug hat Israel dreipalästinensische Frauen und 30 palästinensische Kinder auf freien Fuss gesettzt. Die Hamas erklärt am Montagabend, die Waffentruhe werde «unter den gleichen Bedingungen fortgesetzt wie zuvor». Das heisst: Für jeden freigelassenen Israeli muss Israel drei Palästinenser auf freien Fuss setzen.
Viertägig Waffenruhe?
Ein palästinensischer Beamter erklärte gestern gegenüber der BBC, die Hamas sei bereit, bis zu 40 weitere Geiseln freizulassen, was eine viertägige Verlängerung der ursprünglich mit Israel vereinbarten Vereinbarung bedeuten würde.
Israel neigt Berichten zufolge zu einem eher schrittweisen, tageweisen Vorgehen. Und es hat deutlich gemacht, dass es sich darauf vorbereitet, am Ende des Prozesses den Krieg in Gaza wieder aufzunehmen.
Katatrophale humanitäre Lage
Nach Angaben von Hilfsorganisationen ist die humanitäre Lage vor allem in nördlichen Teilen des Gazastreifens «katastrophal». Zwar träfen die ersten Hilfsgüter ein, doch noch immer fehle es an medizinischem Material, an Nahrungsmitteln, Zelten, Decken und Treibstoff. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNRWA) erklärte, man warte immer noch auf die israelische Genehmigung, Hilfsgütertransporter und Krankenwagen in den Norden zu schicken. Der Palästinensische Rote Halbmond versucht zurzeit, 40 Lastwagen mit Hilfsgütern nach Gaza-Stadt zu bringen.
Al-Sinwar traf Geiseln
Der Chef der Hamas im Gazastreifen, Jihia al-Sinwar ,habe in den ersten Tagen der Entführung in einem Tunnel israelische Geiseln getroffen. Das berichtet die israelische Zeitung Haaretz und bezieht sich auf die Aussagen einer freigelassenen israelischen Frau. Sinwar habe akzentfrei Herbräisch gesprochen und den Geiseln erklärt, ihnen werde nichts passieren. «Ihr seid hier am sichersten, euch wird nichts geschehen», habe er gesagt.
Bisher 39 gegen 117
Nach israelischen Angaben befinden sich noch 184 Menschen in Gaza in Gefangenschaft. Die Hamas hat bereits erklärt, dass sie nicht alle Geiseln festhält, die am 7. Oktober in das Gebiet gebracht wurden.
Eine Verlängerung der Waffenruhe würde es auch ermöglichen, mehr Hilfsgüter nach Gaza zu liefern.
Bisher sind 39 israelische Geiseln im Austausch gegen 117 palästinensische Gefangene freigelassen worden.
Unter den Freigelassenen befindet sich die vierjährige Abigail Edan, eine amerikanisch-israelische Doppelbürgerin. Sie war eine der 17 Geiseln, die während des dritten Geisel- und Gefangenenaustausches am Sonntag freigelassen wurden. Ihre Eltern waren am 7. Oktober beim Hamas-Massaker getötet worden. Unter den am Sonntag Freigelassenen befinden sich 13 Israeli, ein russisch-israelischer Doppelbürger und drei Thai. Im Gegenzug setzte Israel 39 palästinensische Gefangene auf freien Fuss.
Abigail Edan hat eine 6-jährige Schwester und einen 10-jährigen Bruder, die die Ermordung ihrer Eltern am 7. Oktober miterlebten, sagte Liz Hirsh Naftali, Edans Grosstante, gegenüber CNN. Sie hätten sich 14 Stunden lang in einem Wandschrank versteckt, sagte sie. US-Präsident Joe Biden hatte letzte Woche gegenüber Reportern erklärt, er drücke die Daumen, dass Edan bald unter den freigelassenen Geiseln sei.
Problemloser Austausch
Der dritte Geisel- und Gefangenenaustausch am Sonntagnachmittag verlief problemlos, nachdem sich die Aktion am Samstag um mehrere Stunden verzögert hatte, weil die Hamas Israel vorwarf, sich nicht an die Abmachung zu halten. Auf Vermittlung von Katar und Ägypten wurde die zweite Freilassung dann doch mit einer Verzögerung von acht Stunden möglich. Unter den am Sonntag Freigelassenen befinden sich neun Kinder.
Das sind die am Sonntag freigelassenen 13 Israeli
Am Samstag freigelassen
Zu den am Samstag Freigelassenen gehörte die neunjährige Emily Hand, eine irisch-israelische Doppelbürgerin, die bereits als tot gemeldet galt. Sie hatte sich am 7. Oktober im Haus von Freunden im Kibbuz Be’eri aufgehalten, als sie von der Hamas entführt wurde.
Direkt nach Israel
Bei den ersten beiden Freilassungen waren die Geiseln beim Grenzübergang Rafah im Süden des Gazastreifens nach Ägypten gebracht worden. Mit Helikoptern wurden sie dann vom ägyptischen Flughafen al-Arisch aus auf eine israelische Militärbasis geflogen und in Tel Aviv mit ihren Familien zusammengeführt.
Nicht so bei der dritten Geiselbefreiung. Da eine ältere freigelassene Frau dringend medizinische Hilfe brauchte, wurden einige der am Sonntag Freigelassenen direkt nach Israel gebracht.
Auch vier Thailänder wurden freigelassen. Tausende thailändischer Staatsangehöriger arbeiten in Israel in der Landwirtschaft.
«Keine dringend nötige medizinische Hilfe»
Die befreiten Geiseln, die im Sheba Medical Center ankamen, weisen zwar Anzeichen der Gefangenschaft auf, aber keine von ihnen benötigte «dringende medizinische Hilfe». Dies erklärt der Direktor des Safra-Kinderkrankenhauses. «Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass trotz der Tage der Gefangenschaft niemand einen sofortigen medizinischen Eingriff benötigt», sagte Itai Pesach am Sonntag vor Reportern. «Sie werden so lange wie nötig hier bleiben. Wir werden uns weiter um sie kümmern, körperlich und geistig», sagte Pesach.
Eine weitere befreite israelische Geisel, Maya Regev, wurde zur Behandlung einer mittelschweren Verletzung in das Soroka Medical Center gebracht. Ihre Verletzung wird jedoch nicht als lebensbedrohlich angesehen und es wird erwartet, dass sie sich vollständig erholt, sagte Shlomi Codish, Generaldirektor des Soroka Medical Center, am Sonntag.
Nur Frauen und Kinder werden (vorerst) freigelassen
Nach der Freilassung der 13 israelischen Geiseln am Samstag listet das «Forum für Geiseln und vermisste Familien» noch 161 Geiseln auf, nämlich (Stand Sonntagabend)
- 18 Kinder im Alter von 18 Jahren oder darunter. Das jüngste Kind ist 10 Monate alt
- 35 Frauen im Alter von unter 70 Jahren
- 6 Frauen im Alter von 70 bis 84 Jahren
- 88 Männer im Alter von 19 bis 64 Jahren
- 14 Männer im Alter von 65 bis 85 Jahre
Gemäss dem Waffenstillstandsabkommen werden vorerst keine etwachsenen Männer freigelassen.
Warten auf weitere Freilassungen
Am Samstagabend hatten sich im Zentrum von Tel Aviv 5'000 Menschen versammelt und warteten auf die Freilassung weiterer Geiseln.
Vorwürfe an Israel
Israel wurde am Samstag nicht nur vorgeworfen, die Liste mit den freizulassenden Palästinensern abgeändert zu haben. Israelische Streitkräfte – so die Hamas – hätten am Samstag in Beit Hanoun im Gazastreifen zwei Palästinenser getötet – trotz des Waffenstillstands. Israel bestreitet dies.
Die Hamas warf Israel zusätzlich vor, 97 Lastwagen, die mit Hilfsgütern für den Gazastreifen beladen sind, an der Grenze gestoppt zu haben. Zudem würden trotz der Waffenruhe israelische Drohnen über den südlichen Gazastreifen fliegen. Ein Hamas-Sprecher erklärte am Abend, die Geiseln würden so lange zurückbehalten, bis Israel die Hilfstransporte freigebe.
Hindernisse ausgeräumt
Eine Hamas-Quelle teilte der französischen Nachrichtenagentur AFP mit, dass die Übergabe von 13 Geiseln an das Rote Kreuz schon am Samstagnachmittag begonnen habe, erklärte dann aber, der Übergabeprozess sei gestoppt worden.
Ein israelischer Beamter sagte, die Geiseln seien noch nicht an das IKRK übergeben worden. «Israel hat nicht gegen das Abkommen verstossen», erklärt ein israelischer Sprecher gegenüber der AFP.
Katar erklärte am späten Samstagabend, die Hindernisse hätten überwunden werden könne. Der Geisel- und Gefangenenaustausch werde noch am Samstagabend stattfinden.
Freilassungen am Sonntag?
Auch an diesem Sonntag, dem dritten Tag des viertägigen Waffenstillstandes, soll ein Geisel- und Gefangenenaustausch stattfinden. Ein israelischer Regierungssprecher erklärt, Israel habe eine Liste mit den Namen verschleppter Israeli erhalten, die am Sonntag freigelassen werden sollen. «Sicherheitsbeamte prüfen die Liste» und die Informationen wurden an die Familien der Geiseln weitergeleitet, sagt ein Sprecher von Ministerpräsident Netanjahu. Geplant ist, dass erneut 13 Israeli und 39 Palästinenser auf freien Fuss gesetzt werden sollen.
Das sind zwölf der 13 am Freitag freigelassenen israelischen Geiseln.
Nach der Bekanntgabe der Freilassung der ersten Geiseln versammelten sich am Freitagabend in Tel Aviv Hunderte Israeli und freuen sich.
Zur Erinnerung: Im Rahmen des viertägigen Waffenstillstands sollen 50 Geiseln in vier Tranchen im Verhältnis drei zu eins im Austausch für 150 in israelischen Gefängnissen festgehaltene Palästinenser freigelassen werden.
Was geschieht nach der viertägigen Waffenruhe?
Der israelische Ministerpräsiden Benjamin Netanjahu hatte erkärt, der Krieg würde nach der Feuerpause weitergeführt.
Inzwischen ist eine katarische Delegation in Israel eingetroffen. Sie soll über eine mögliche Verlängerung der Waffenruhe mit der israelischen Regierung verhandeln. Der viertägige Waffenstillstand war auf Vermittlung Katars und auf Druck der USA zustande gekommen. Laut diplomatischen Quellen soll Katar jetzt versuchen, die Feuerpause um fünf Tage zu verlängern. Während dieser Zeit sollen weitere israelische Geiseln und palästinensische Gefangene freigelassen werden.
Diaa Rashwan, der Leiter des ägyptischen Staatsinformationsdienstes, sprach am Samstag von «positiven Signalen» für eine mögliche Verlängerung des Waffenstillstandes.
Diaa Rashwan erklärte, dass Ägypten umfassende Gespräche mit allen Parteien führe, um eine Einigung über die Verlängerung der viertägigen Waffenruhe zu erzielen.
Familienzusammenführung in Tel Aviv
Die am Freitag freigelassenen Israeli waren in einem Spital in Khan Younis dem IKRK, dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, übergeben worden. Dann wurden sie beim Grenzübergang Rafah im Süden des Gazastreifens nach Ägypten gebracht. Dort wurden sie medizinisch untersucht. Zudem wurde ihre Identität überprüft. Mit Helikoptern wurden sie vom ägyptischen Flughafen al-Arisch aus auf eine israelische Militärbasis geflogen und im Schneider-Spital in Tel Avis mit ihren Familien zusammengeführt. Laut israelischen Angaben befinden sich die Freigelassener in gutem gesundheitlichem Zustand.
Die jüngste der am Freitag freigelassenen Geiseln, Aviv Asher, ist zwei Jahre alt, die älteste, Yaffe Adar, 85.
Noch werden vermutlich etwa 220 bis 230 Israeli und Ausländer von der Hamas als Geiseln festgehalten.
Thailands Premierminister Srettha Thavisin gab bekannt, dass zwölf bislang als Geiseln gehaltene Thailänder ebenfalls wieder in Freiheit sind. Botschaftsmitarbeiter seien unterwegs, um die Menschen abzuholen, erklärte Thavisin. Ägypten hatte die Freilassung nach eigener Angabe vermittelt.
Die Hamas soll laut dem Abkommen während der jetzt in Kraft getretenen Feuerpause täglich 10 bis 15 israelische Geiseln freilassen – insgesamt 50. Dabei soll es sich vor allem um Frauen und Kinder handeln. Im Gegenzug soll Israel 150 inhaftierte palästinensische Frauen und Minderjährige aus den Gefängnissen entlassen. Am Freitag werden nach Angaben eines israelischen Sprechers die ersten 39 Palästinenser auf freien Fuss gesetzt.
Israel hält laut palästinensischen Angaben rund 7000 Palästinenser und Palästinenserinnen, vor allem auch Jugendliche, in israelischen Gefängnissen.
Tausende Palästinenser und Palästinenserinnen – wie hier in Rafah – benutzen die Feuerpause, um in ihre teils bombardierten Häuser zurückzukehren.
Laut israelischen Angaben hält zur Zeit der Waffenstillstand. Das Abkommen sieht auch vor, dass humanitäre Hilfe nach Gaza gebracht wird. Am zweiten Tag der Feuerpause wurden Lebensmittel, Wasser und Medikamente in den Gazastreifen geliefert. Ausserdem konnten zum ersten Mal seit Kriegsbeginn 129’000 Liter Treibstoff – etwas mehr als 10% der täglichen Vorkriegsmenge – sowie Kochgas geliefert werden. Dies berichtet die Nachrichtenagentur Associated Press AP. In der südlichen Stadt Khan Younis wartete am Samstag eine lange Schlange von Menschen mit Benzinkanistern und anderen Behältern vor einer Tankstelle in der Hoffnung, etwas von dem neu gelieferten Treibstoff zu bekommen. Laut der Hamas habe Israel am Abend die Hilfslieferungen gestoppt.
In Beirut erklärte ein Hamas-Sprecher, dass seit Freitag insgesamt 340 Hilfsgütertransporter in den Gazastreifen geschickt wurden, aber nur 65 den nördlichen Gazastreifen erreichten – das sei weniger als die Hälfte der von Israel zugesagten Menge.
(Journal 21)