In Paris hat das Interesse an afrikanischer Kunst stark zugenommen. Vor allem der frühere Präsident Chirac war ein Anhänger dieser Kunstgattung. Das seit 2006 bestehende Musée du quai Branly beherbergt - neben asiatischern, ozeanischen und lateinamerikanischen - zahlreiche afrikanische Kunstschätze.
Für genuine afrikanische Stücke müssen Sammler nun so tief in die Tasche greifen, dass sich viele jetzt auf die noch grösstenteils unbekannte ozeanische Kunst verlegen.
Bei uns fristet die afrikanische und ozeanische Kunst immer noch ein Schattendasein, obwohl ihr starker Einfluss auf die moderne Kunst bekannt ist. In diversen Sammlungen wird sie Werken von bekannten Künstlern gegenübergestellt. Momentan geschieht dies gerade bei der Fondation Beyeler in Riehen, wo ozeanische Skulpturen neben solche von Alberto Giacometti und neben Werke von Anselm Kiefer gesetzt sind. Schon früher wurden afrikanische Skulpturen gemeinsam mit Gemälden der Kubisten, Fauves und Expressionisten ausgestellt.
Afrikanische Kunst prägte dann auch den Kubismus von Picasso und Braque, wie auch den Expressionismus der Brücke-Maler. Anklänge an afrikanische Skulpturen finden sich bei Henry Moore, Constantin Brancusi, und bei Amedeo Modigliani. Und auch gedankliche Wegbereiter des Modernismus und Philosophen wie André Breton legten sich eigene afrikanische Sammlungen an.
Doch in der öffentlichen Wahrnehmung wurde afrikanische Kunst lange kaum geschätzt. Verantwortlich dafür sind wahrscheinlich zwei Punkte:
Einmal, dass nur wenige ausgewiesene Kenner feststellen können, ob ein Stück Kunst oder Kunsthandwerk ist. Und dann, dass es keine bekannten Künstlerpersönlichkeiten gibt. Die Werke waren bisher nur geographisch und ethnisch zuzuordnen und dort allenfalls zu Kunstwerkstätten.
Auch die Ausstellung im Museum Rietberg ist nach sechs Kunstregionen gegliedert. Alle Gebiete liegen im Raum der Elfenbeinküste, einem der wichtigsten Regionen für afrikanisches Kunstschaffen. Die Auswahl basiert auf kunstethnologischen Forschungen, die das Museum seit den 1970er Jahren betreibt. So liessen sich einzelne Künstler- Persönlichkeiten eruieren und Werkgruppen Einzelnen zuschreiben: Von den Guro und Baule im Zentrum der Region, den Dan im Westen, den Senufo im Norden und den Lobi im Nordosten, bis zu den Meistern der Lagunenvölker im Südosten
Die Kuratoren versuchen dabei, Vergleiche zu ermöglichen zwischen den einzelnen Traditionslinien der Stämme und individuellen Ausprägungen. Die rund 200 Werke westafrikanischer Kunst bürgen für Qualität und einen hohen ästhetischen Genuss. Dazu wurden sie auch von Störendem befreit, wie Schmuck aus Glasperlen, beigefügten Textilien, Kopfputz und sonstigen symbolträchtigen Attributen, um die Reinheit der Schnitzkunst hervortreten zu lassen. Jedes Werk ist zudem auf einem Sockel montiert, was die Entfernung vom Gebrauchsgegenstand hin zum Kunstwerk zusätzlich unterstreicht.
Entstanden sind diese Werke, um Funktionen bei Ritualen und Zeremonien zu erfüllen: Bei den Guro bestellten Startänzer spezielle Masken. Die Dan brauchten sie für einflussreiche Familien oder Geheimbünde. Bei den Lagunenvölkern waren diese Figuren Prestigegüter für reiche Leute; Insignien von Macht, Status und Reichtum. Bei den Senufo dienten sie Wahrsagern als Kraftobjekte oder Verkörperung von Hilfsgeistern. Bei den Baule verkörperten sie häufig „Figuren von Ehepartnern in der anderen Welt“.
Die hölzernen Masken und Skulpturen stellten meist Menschen, Tiere oder Zwitterwesen dar. Entweder mit geometrischen, fast kubistisch anmutenden Formen, wie bei den Guéré, oder in naturalistischen Stil bei den Guro und Baule. Doch die Werke sind durchwegs unsigniert, da im Denken dieser Völker die künstlerische Fähigkeit Teil des Erbes des Stammes ist, oder aber der Eingebung einer höheren Macht, die sich der geschickten Hand des Künstlers bedienen. Diese Künstler waren ausschliesslich Männer, die dank ihrer handwerklichen Begabung und visuellen Fähigkeit nach einer Ausbildung bei einem Bildhauer ihr exzeptionelles Können pflegten. Diese Bildhauer wurden als ‚Spezialisten’ anerkannt und bei den Dan sogar als ‚Meister’ (zo) angesprochen.
Um diese Künstler und ihr Schaffen besser zu begreifen hat das Museum Rietberg seit 1970 ein Forschungsprogramm laufen. Eberhard Fischer, der mit Lorenz Homberger, dem langjährigen ‚Afrika’-Kurator des Museums diese Ausstellung geschaffen hat, unterstützt dies seit er 1972 Direktor des Museums wurde. Fischers Vater, Hans Himmelheber, war mit seiner Publikation ‚Negerkünstler’ von 1935 ein Vorreiter der Erforschung dieser Kunstgattung. Filme erhellen dem Besucher den Kontext, in dem diese Werke entstanden. Sie stellen sogar frühe Meister vor und zeigen den Prozess der Entstehung dieser Werke. Erstaunlich ist, mit welch einfachen Werkzeugen diese Perfektion erzielt wurde.
Fast alle bedeutende Werke dieser Kunst, die vor 1970 geschaffen wurden, befinden sich heute in Europa oder in den USA. Danach erkannte man ihren Exportwert und die Massenproduktion setzte ein. Und doch sind die in dieser Tradition stehenden grossen Talente nicht verloren.
Am Ende der Ausstellung stehen Werke von zeitgenössischen Bildhauern. Jems Robert Koko Bi, der jüngste von ihnen, studierte an der Kunstakademie Düsseldorf und war sogar an der Biennale 2013 in Venedig vertreten.
Allerdings zeigen diese Werke einen bedeutenden Unterschied zu den Werken ihrer Vorfahren: Sie sind keine Gebrauchswerke; haben keine Funktion mehr. Sie nähern sich dem Kunstbegriff des russischen Avantgarden Kasimir Malewitsch, der für die Kunst keinen anderen Zweck als den metaphysischen wollte.
Die Ausstellung im Rietberg Museum, Zürich, dauert bis zum 1. Juni