«Als ob wir uns im Mussolini-Jahr 1924 befänden», schreibt die Römer Zeitung La Repubblica. Sie bezieht sich dabei auf Hunderte Faschisten, die am Sonntagabend in Rom den rechten Arm zum faschistischen Gruss streckten – Bilder, die Bestürzung auslösen.
Der «Saluto Romano», der römische Gruss, vergleichbar mit dem Hitler-Gruss, ist in Italien verboten. Allerdings: Weder Alt- noch Neofaschisten scheren sich um dieses Verbot. Doch der Aufmarsch, der am Sonntagabend vor der Zentrale des ehemaligen neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) im Stadtteil Tuscolano stattfand, war der grösste und provokativste seit Jahren. Er dauerte nur wenige Minuten. Dann verschwanden die schwarz gekleideten Teilnehmer in alle Richtungen.
Die Auswertung der Bilder zeigt, dass sich unter den Teilnehmern auch Ultras des Fussballclubs Lazio Roma und Mitglieder der rechtsextremen, neofaschistischen Bewegung Casa Pound befanden.
Die Aktion löste Konsternation aus. Elly Schlein, die Chefin des oppositionellen sozialdemokratischen Partito Democratico schrieb in den sozialen Medien: «Rom, 7. Januar 2024. Und es fühlt sich an wie 1924. Was passiert ist, ist nicht akzeptabel.» Auch die grossen Zeitungen des Landes entrüsten sich. La Repubblica, La Stampa und der Corriere della sera veröffentlichten Bilder des Aufmarsches.
In Deutschland würden Menschen, die mit dem faschistischen Gruss grüssen, verhaftet, erklärt Sandro Ruotolo, der Informationschef der Sozialdemokraten. Das sei zwei Italienern passiert, die am Oktoberfest in München den Arm zum Hitlergruss ausstreckten. Aber in Italien geschehe nichts. Die Sozialdemokraten verlangen das Verbot aller alt- und neofaschistischen Bewegungen. Der Oppositionspolitiker Carlo Calenda spricht von einer «unannehmbaren Schande in einer europäischen Demokratie».
Und wie reagiert Meloni?
Und wie reagieren die Politiker des Regierungsbündnisses? Antonio Tajani, Vorsitzender der «Forza Italia» und Vizepremierminister im Kabinett von Giorgia Meloni, ist der erste, der reagiert: An einer Medienkonferenz sagte er: «Wir sind eine Kraft, die sicherlich nicht faschistisch ist, wir sind Antifaschisten.»
Gespannt ist man darauf, was Giorgia Meloni zum Aufmarsch vom Sonntagabend sagt – wenn sie überhaupt etwas dazu sagt. Sie ist im neofaschistischen Milieu gross geworden. In ihrer Partei, den «Fratelli d’Italia» sitzen noch immer etliche Kräfte, die Mussolini verehren. Sie weiss, dass einige ihrer Wählerinnen und Wähler verkappte Neofaschisten sind. Diese will sie nicht verärgern. Und als die Forderung aufkam, die faschistische Flamme im Parteilogo der Fratelli abzuschaffen, wehrte sie sich dagegen. Ab und zu versucht sie, sich vom Faschismus zu distanzieren, doch das wirkt nicht immer überzeugend. «Sie wird sich, wenn sie überhaupt etwas sagt, mit einigen Floskeln aus der Affäre winden», sagt uns ein Römer Journalist. «So, wie sie es immer tut. Ja nicht anecken.»
Wenig Berührungsängste mit Mussolini
Vor Jahren hatte Meloni die Abschaffung des 2. Juni als italienischen Nationalfeiertag gefordert. An diesem Tag wird der Sieg über die Nazis und die Faschisten gefeiert. Dieser Tag sei «ein spaltender Feiertag», erklärte sie zur Freude der alten und neuen Faschisten. Auch Ignzio La Russa, Präsident des italienischen Senats und enger Vertrauter von Meloni hat wenig Berührungsängste mit Mussolini. Bei sich zu Hause hat er Dutzende Mussolini-Büsten aufgestellt. Nicht alles sei schlecht, was der Duce getan habe, sagt er. Auch er setzt ab und zu zum Saluto Romano an. Viele Italiener und Italienerinnen zucken nur mit den Achseln, wenn man sie zu Mussolini befragt. Italien gehört nicht zu den Ländern, das die Geschichte sauber aufgearbeitet hat.
Es ist noch nicht allzu lange her, da trat Meloni in der süditalienischen Stadt Latina mit Rachele Mussolini auf, einer Enkelin des Diktators. Tausende waren gekommen und jubelten den beiden zu. Meloni rief: «Wir wollen diesen symbolischen Platz in der Geschichte der italienischen Rechten zurückgewinnen.» Auf dem Platz brach tobender Applaus aus. Latina war eines der Bollwerke Mussolinis, eine Art Denkmal des Faschismus und liegt unweit seiner Paradestadt Sabaudia.
Altfaschisten, Rechtspopulisten
Nein, Italien steuert nicht dem Faschismus entgegen, der Aufmarsch in Rom soll nicht überbewertet werden – und Meloni ist keine Faschistin. Aber sie tut auch nichts, um das rechtsextreme Grollen, das in Teilen der italienischen Gesellschaft noch immer zu vernehmen ist, zu unterdrücken.
Gefahr lauert heute nicht mehr von den aus der Zeit gefallenen, schwarz gekleideten Altfaschisten, sondern von den Rechtspopulisten. Und zu denen fühlt sich Meloni hingezogen. Sie lässt sich gern mit Marine Le Pen fotografieren. Viktor Orbán trifft sie immer wieder. Bei den letztjährigen Wahlen in Spanien schlug sie sich ostentativ auf die Seite des rechtsextremen VOX-Chefs Santiago Abascal, den sie als ihren Freund bezeichnet. Und jetzt hofft sie – erklärtermassen –, dass bei den Europawahlen im kommenden Juni Rechtspopulisten und Rechtsextreme einen grossen Sprung nach vorne machen. «Wir wollen ein neues Europa bauen», sagte sie.