Dem Thema widmet das Museum für Gestaltung in Zürich unter dem Titel „Vintage – Design mit bewegter Vergangenheit“ eine Ausstellung.
Was haben eine zerschlissene Levis-Jeans und ein ausgelatschter Adidas-Turnschuh mit der Valentino-Robe zu tun, die Julia Roberts anlässlich der Oskar-Verleihung 2001 in Los Angeles trug? Alle drei laufen sie unter dem Begriff „Vintage“ und sind Teil einer Ausstellung, die sich mit der Bedeutung des Gebrauchten und Schäbigen in einer auf Überfluss und Konsum getrimmten Gesellschaft auseinandersetzt.
Auf den ersten Blick scheint dies ein Widerspruch zu sein. Denn noch herrscht weit herum der Glaube vor, dass in dieser Welt nur Erfolg hat, was möglichst neu, möglichst perfekt und möglichst makellos daher kommt. Doch seit einiger Zeit schon scheint sich der Wind gedreht zu haben, die Werteskala durcheinander geraten zu sein. „Vintage“ lautet das Modewort, das im Verlauf der letzten Jahrzehnte Objekten mit Vergangenheit zu ungeahntem Wert verhalf.
Seinen Ursprung hat der Trend in den sechziger Jahren, als die Hippies anfingen, sich ihre Klamotten und Gebrauchsgegenstände in Brockenhäusern und auf Flohmärkten zusammenzusuchen. Sie taten es nicht nur aus Mangel an Geld, sondern auch um ein Zeichen zu setzen gegen die bürgerlichen Konventionen der Elterngeneration. Sie taten es aus der Lust am Spiel mit dem Strandgut des Konsums. Sie taten es aber auch, um Kritik zu üben an der Wegwerfmentalität einer Gesellschaft, die sich um Ressourcenknappheit und nachhaltige Produktionsbedingungen nicht scherte.
Doch wie die Konsumwelt so spielt, wurde mit der Zeit Mode, was als Ausdruck von Individualität, und Kommerz, was als Geste der Verweigerung gedacht gewesen war. Bald einmal gab es Hippie-Klamotten regulär zu kaufen. Was aussah, wie aus der Altkleidersammlung gefischt, erzielte zum Teil stattliche Preise. Mittlerweile ist die Entwicklung so weit gediehen, dass Designer-Stücke aus dem Brockenhaus gehandelt werden wie Antiquitäten und in die Jahre gekommene Modellkleider den neuesten Haute-Couture-Kreationen den Rang ablaufen. Vorbei die Zeiten, da Gebrauchsspuren verpönt waren. Heute ist Patina gefragt. Und wenn sie sich nicht von alleine einstellt, so hilft man ihr eben nach. Abgewetztes Leder, löchrige Jeans und Seconhand-Fummel sind heutzutage aus der Modewelt ebenso wenig wegzudenken wie der „Shabby Chic“ aus dem Repertoire der Innendekorateure.
„Vintage“, der Begriff, der für diese Bewegung steht, ist ein aus dem Französischen übernommener Anglizismus, der ursprünglich einen herausragenden Weinjahrgang bezeichnete und heute allgemein „für die Wertsteigerung steht, die ein Objekt durch Alterung, Selektion und Verknappung erfährt“, wie es in dem ausgezeichneten kleinen Beiheft zur Ausstellung heisst. Doch „Vintage“ ist noch weit mehr, und das ist es, was die Schau im Museum für Gestaltung so spannend macht. Unter „Vintage“ versteht man mittlerweile nämlich nicht mehr nur Design-Objekte, die gebraucht sind, und auch nicht nur Couture-Modelle aus dem gehobenen Secondhand-Sortiment. Unter der Bezeichnung „Vintage“ werden heute auch Produkte gehandelt, die bloss so tun, als wären sie alt. Die Palette ist weit gespannt und reicht vom „Used look“ über den „Shabby Chic“ bis hin zu Erscheinungen wie Retro-Design, Reedition, Redesign und Revival.
Es ist das Verdienst der Ausstellungsmacher Moritz Schmid und Karin Gimmit, dass sie Ordnung in dieses Gewirr der Begriffe bringen und anhand ausgewählter Objekte, aber auch mit Hilfe von Texttafeln und Videosequenzen zeigen, wo die Grenzen zwischen den verschiedenen Stilmitteln verlaufen. Beim Gang entlang der sechs Themenschwerpunkte begegnet man Klassikern der Design-Geschichte des 20. Jahrhunderts ebenso wie deren Reeditionen, Trouvaillen vom Flohmarkt ebenso wie mittels künstlicher Patina aufgepeppten Neuanfertigungen. In Filmausschnitten lässt sich verfolgen, wie in Indien Billigmöbel auf antik getrimmt und in Japan brandneue Jeans mit Flicken und Flecken versehen werden. Und staunend nimmt man zur Kenntnis, wie heute ganze Industriezweige davon leben, dass in den westlichen Industrienationen der Glaube an Innovation und Perfektion ins Wanken geraten und von einer ausgeprägten Sehnsucht nach Patina eingeholt worden ist.
Man mag das Nostalgie nennen oder Konsumkritik, beides trifft zu und lässt sich oft nicht klar voneeinander unterscheiden. Das Phänomen „Vintage“ ist äusserst komplex. Vieles entzieht sich genauer Zuordnung. Doch die vertiefte Auseinandersetzung mit ihm lohnt sich allemal. Und dazu bietet die Ausstellung im Museum für Gestaltung die ideale Gelegenheit. Denn sie ermöglicht dem Besucher nicht nur die Begegnung mit Mode- und Design-Ikonen, die auch im eigenen Leben eine Rolle gespielt haben mögen. Sie wirft auch Fragen auf, die weit über Mode und Design hinausgehen. Wie ist es um eine Gesellschaft bestellt, die im Überfluss schwimmt und sich gleichzeitig in Konsumverzicht übt? Was hat es mit einer Zeit auf sich, die dem Neuen huldigt und sich gleichzeitig nach dem Schäbigen und Verbrauchten sehnt? Und was ist mit einer Welt los, in der die Armen Dinge herstellen, die aussehen, als kämen sie vom Müll, damit die Reichen sie für teures Geld erwerben können? Fragen wie diese zielen mitten hinein in die Widersprüche moderner westlicher Konsumgesellschaften und machen die Ausstellung „Vintage Design“ zu einer ebenso anregenden wie aufregenden Erfahrung.
Vintage – Design mit bewegter Vergangenheit. Museum für Gestaltung, Zürich, bis 6. April 2014. Öffnungszeiten: Dienstag – Sonntag, 10 – 17 Uhr, Mittwoch 10 – 20 Uhr.