Eritrea nimmt seine in die Schweiz geflohenen Staatsangehörigen, die hier zwangsweise ausgeschafft werden, nicht auf. Doch genau dies verlangt das Parlament vom Bundesrat. So lange jedoch Eritrea sich kategorisch verweigert, ist die Forderung unerfüllbar.
Die heutige freisinnige Schwyzer Ständerätin Petra Gössi fordert den Bundesrat mit einer Motion auf, «ein Transitabkommen abzuschliessen, das es ermöglicht, abgewiesene eritreische Asylsuchende in ein Drittland zurückzuführen». Als Transitland steht Ruanda im Vordergrund. Von dort sollten die abgewiesenen Eritreer und Eritreerinnen in ihr Herkunftsland zurückreisen.
Gössi erinnerte im Ständerat daran, dass ihr Parteikollege Damian Müller (LU) zuvor vom Bundesrat verlangt hatte, ein Pilotprojekt zur Rückführung von eritreischen Staatsangehörigen, deren Asylgesuch abgelehnt worden war, aufzugleisen. Der Ständerat hatte dem Vorhaben gegen den Willen des Bundesrats zugestimmt, der Nationalrat hatte es abgelehnt, jedoch nur mit 96 gegen 91 Stimmen.
Die Ständerätin hat das Thema wieder aufgenommen und verlangt, mittels eines Transitabkommens mit einem afrikanischen Staat die Rückführung von Eritreern zu erreichen. Gössi weist darauf hin, dass der Druck in der Bevölkerung immer grösser werde, einen Schritt in Richtung einer möglichen Lösung zu tun. (Sie unterliess es, darauf hinzuweisen, dass SVP-Politiker seit Jahren nur Negatives über Asylsuchende und insbesondere über eritreische Staatsbürger verbreiten und so den Unmut anheizten.)
Scharfe Kritik an SEM und Bundesrat
In der Ständeratsdebatte wurde das Staatsekretariat für Migration (SEM) und der Bundesrat von bürgerlichen Politikern heftig kritisiert. Vorwürfe wie Untätigkeit und Nicht-sehen-wollen der Probleme waren zu hören. Daniel Jositsch (SP, ZH) gab hingegen zu bedenken: «Es ist eigentlich in diesem Rat nicht üblich, dass wir ein Problem mit einem Mittel bekämpfen, bei dem wir im Voraus wissen, dass es nichts bringt.»
Bundesrat Beat Jans versuchte die Illusionen vieler Politiker durch Tatsachen zu entkräften. Er betonte, dass der Bundesrat mit der jetzigen Situation betreffend die Rückführung von abgewiesenen Eritreern nicht zufrieden sei. Trotz wiederholter Bemühungen sei und bleibe Eritrea eines der wenigen Länder, welches die unfreiwillige Rückkehr auch aus anderen Ländern kategorisch ablehne. Sollte es gelingen, ein Transitabkommen mit einem Nachbarland Eritreas abzuschliessen, könnten abgewiesene Eritreer auch von dort nicht in ihr Land einreisen, sofern sie nicht freiwillig heimkehren wollten. Ein Transitabkommen, so Bundesrat Jans, würde bloss Kosten verursachen, wenn die Eritreer nicht binnen 72 Stunden in ihr Land zurückkehren können, müssen sie das Transitland wieder verlassen. Die Schweiz müsste für die Kosten der Hin- und Rückreise aufkommen nebst allem bürokratischen Aufwand.
Bei anderer Gelegenheit hat der Bundesrat aufgezeigt, dass er keineswegs untätig war und ist. Mit rund 50 Staaten hat die Schweiz Rückübernahmeabkommen abgeschlossen, d. h. alle diese Staaten haben sich verpflichtet, abgewiesene Asylsuchende aufzunehmen, auch wenn sie zur Rückkehr gezwungen werden. In den letzten Jahren sei die Zahl der Asylsuchenden mit negativem Entscheid, die freiwillig oder zwangsweisen die Schweiz verlassen haben, stets gewachsen. Zudem ist die Zahl der Eritreerinnen und Eritreer, welche die Schweiz verlassen müssten, Ende 2023 auf 278 gesunken.
Ignorierte Tatsachen
Angesichts der hier zitierten Argumente bat Bundesrat Jans den Ständerat im Frühling, die Motion Gössi abzulehnen. Doch die Kleine Kammer, die sich gerne als Chambre de réflexion sieht, hat mit 26 gegen 13 Stimmen dem Bundesrat einen Auftrag erteilt, der auch mit dem besten Willen unmöglich zu erfüllen ist. In der vergangenen Sommersession beharrte der Nationalrat mit 120 gegen 75 Stimmen ebenfalls auf dieser unmöglich erfüllbaren Motion.
Die Schweizer Öffentlichkeit muss zur Kenntnis nehmen, dass die Mehrheit der vom Volk gewählten National- und Ständeräte dem Bundesrat einen unsinnigen, weil nicht erfüllbaren Auftrag gegeben hat. Das ist reiner Populismus, der uns nicht überraschen würde, wenn er von der SVP stammte. Doch in diesem Fall ist die Urheberin der Motion eine ehemalige freisinnige Parteipräsidentin, welche ihre Partei vor einigen Jahren für mehr Umweltschutz zu überzeugen versuchte. Petra Gössi ist, leider, gescheitert, denn das von ihr unterstützte erste CO2-Gesetz ist von vielen ihrer Parteikollegen sowie von der Mehrheit des Volks im Juni 2021 abgelehnt worden.
Gössi ist Vertreterin jener politischen Kraft, welche gegen viele Gegner mit grosser Überzeugungskraft 1848 den Bundesstaat geschaffen und uns Schweizern die Bürgerrechte samt der direkten Demokratie gebracht hat. Dass sich die liberale Politikerin für eine Mogelpackung entschieden hat und ihr die Mehrheit von Nationalrat und Ständerat gefolgt ist, ist eine bittere Enttäuschung für jene, die an vernünftigen und glaubwürdigen Lösungen interessiert sind.
Der Bundesrat ist nun verpflichtet, eine Lösung zu suchen. Nur wenn er zusammen mit der Europäischen Union und Grossbritannien einen weiteren Versuch unternehmen würde, Eritrea zu überzeugen, auch zwangsweise zurückgeführte abgelehnte Asylsuchende zu akzeptieren, könnte das eventuell gelingen. Doch das wird sehr schwierig sein und setzt voraus, dass Eritrea überhaupt bereit ist, zu verhandeln. Diese Bereitschaft fehlte bisher.