„Sein Tod ist eine Befreiung von einem Krebsgeschwür“, frohlockt Leoluchina Savona, die Bürgermeisterin von Corleone. Sie befindet sich auf einer Wallfahrt ins spanische Santiago de Compostela.
„Die Pfaffen sagen uns: Man soll sich nicht über den Tod eines Menschen freuen“, erklärt ein Bürger von Corleone. „Doch, wir freuen uns, wir jubeln, dass der Satan diese Kreatur in die Hölle spediert hat“.
Mafia-Jäger Giovanni Falcone, der im Mai 1992 selbst bei einem Mafia-Bombenattentat ums Leben kam, nannte Provenzano den „blutrünstigsten Mafioso“. Er hat mindestens 50 Menschen eigenhändig erschossen und den Auftrag zu Dutzenden weiterer Morde gegeben.
„Il capo dei capi“
Provenzano, „il capo dei capi“ (der Boss der Bosse) war der Anführer der Corleonesi, dem mächtigen Mafia-Clan aus dem sizilianischen Bergstädtchen Corleone, der einstigen Mafia-Hochburg.
Am Mittwoch starb der 83-Jährige im San Paolo-Spital in Mailand. Dort befand er sich – schwer krank - seit zwei Jahren unter allergrössten Sicherheitsvorkehrungen. Dutzende schwerstbewaffnete Sicherheitsbeamte bewachten ihn. Eine Befreiung Provenzanos wäre das letzte gewesen, was sich Italien hätte leisten können. Nicht einmal seiner Frau und seinen zwei Söhnen wurde erlaubt, ihn zu besuchen, nachdem er ins Koma gefallen war und starb.
Nicht mehr ansprechbar
Alle Prozesse, die gegen ihn geführt werden, wurden wegen seiner Krankheit ausgesetzt. Er war nicht mehr ansprechbar, brach immer wieder zusammen und stammelte nur unverständliche Worte vor sich hin.
„Für mich war Provenzano schon seit vier Jahren tot“, erklärte seine Anwältin Rosalba Di Gregorio. Damals stürzte er im Gefängnis von Parma, wurde operiert und erholte sich nicht mehr. Zwei Mal versuchte die Anwältin Hafterleichterung zu erreichen – vergebens.
Die wirkliche Bedeutung Provenzanos wurde erst Anfang der Neunzigerjahre bekannt, als einige sogenannte „Pentiti“ (ehemalige Mafiosi, die als Kronzeugen auftraten) zu sprechen begannen.
Von Politikern geschützt
Zusammen mit Salvatore (Totò) Riina dominierte Provenzano seit Beginn der Achtzigerjahre die Cosa Nostra. Der jetzt 85-jährige Riina wurde zehn Mal zu lebenslanger Haft verurteilt und sitzt im Gefängnis von Ascoli Piceno. Die Medien bezeichnen ihn als „die Bestie“ (la belva). Er, eng verbunden mit Provenzano, war es, der die Attentate auf die Mafia-Jäger Giovanni Falcone und Paolo Borsellino organisiert hatte.
Piero Grasso, der einstige oberste Mafia-Jäger, warf der Polizei, Politikern und Wirtschaftsvertretern immer wieder vor, Provenzano zu schützen. Der sozialdemokratische Politiker Grasso ist heute Präsident des italienischen Senats.
In dem Dokumentarfilm „Il fantasma di Corleone“ („Das Phantom von Corleone“) erklärt sowohl ein Polizeibeamter als auch der Staatsanwalt von Palermo, dass Provenzano mehrmals hätte verhaftet werden können. Er habe aber unter dem Schutz hoher Staatsbeamter gestanden. Das ging so weit, dass er sich in Marseille auf Staatskosten einer Prostata-Operation unterziehen konnte.
Saubere Wäsche – ausgerechnet
Seit den frühen Sechzigerjahren war Provenzano nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen worden. Er kommunizierte mit seinen Gefolgsleuten ausschliesslich schriftlich mit Kassiber-ähnlichen Zetteln.
Am 11. April 2006 wurde er im Alter von 73 Jahren festgenommen, und zwar in einer heruntergekommenen Hütte, die einem Priester gehörte, der Käse produzierte. Das Versteck befand sich unweit des Hauses seiner Familie. Seit langem war ihm jetzt die Polizei auf der Spur. Zum Verhängnis wurde ihm schliesslich ein abgehörtes Telefon. Darin kündigte ein Vertrauensmann die Lieferung sauberer Wäsche an.
Kein kirchliches Begräbnis
Bei der Festnahme gab er sich zu erkennen und erklärte „Ihr wisst nicht, was ihr tut“. Was dieser Satz bedeutet, ist umstritten. Seit seiner Festnahme brach er die Omertà, das berühmte Schweigegelübde der Mafia, nicht.
Auch Guido Long, ein hoher Polizeibeamter in Palermo, erklärte sich erleichtert über den Tod der „Bestie“. „Ich kommentiere diesen Tod nicht“, sagte er kurz angebunden. Er fügte bei: Ein öffentliches, kirchliches Begräbnis werde es nicht geben, wohl aus Sicherheitsgründen. „Wir verbieten eine solche Beerdigung.“