Am Montag wird der iranische Präsident Hassan Rouhani in New York eintreffen. Am Dienstag werden sowohl er wie auch Präsident Obama vor der Vollversammlung der UNO sprechen. Dass die beiden Präsidenten am Rande der UNO Sitzung ein direktes Gespräch führen könnten, wird von den offiziellen Stellen in Washington nicht bestätigt, aber auch nicht ausgeschlossen.
Charme-Offensive aus Teheran
Rouhani hat viel getan, um seinen Auftritt in New York vorzubereiten. Er gab Interviews in der amerikanischen Presse und in jener Irans, in denen er die Themen seines Wahlprogramms wiederholte und ausführte. Seine Grundformel ist, der Diplomatie müsse eine Chance gewährt werden. Die agressiven Töne aus der Zeit Ahmedinejads werden nicht nur gemildert sondern offen dementiert. Sogar in Bezug auf Israel. Iran, so hiess es, habe nie den Holocaust geleugnet; jene Personen, die dies getan hätten, seien nicht mehr massgebend. Die Tatsache, dass es in Iran Juden gibt, sogar solche, die im Parlament sitzen, wird unterstrichen. Rouhani erklärte sich zu einem Freund der jüdischen Religion.
Was Teheran immer sagte, nämlich dass Iran keine Atombombe wolle und nicht an ihr baue, wird einmal mehr wiederholt – zusammen mit der Standardaussage, Iran habe natürlich ein Recht darauf, Urananreicherung zu friedlichen Zwecken zu betreiben. Doch neu ist die Betonung, dass aller Streit mit diplomatischen Mitteln gelöst werden könne. Beide Seiten gaben bekannt, dass ein Briefwechsel zwischen Obama und Rouhani stattgefunden habe. Rouhani bezeichnete diesen als konstruktiv. Als Mittelsmann hatte der Sultan von Oman gedient.
Kurz vor dem UNO-Termin wurden zwölf politische Gefangene aus der Haft befreit. Unter ihnen befindet sich die Menschanrechtsadvokatin Nasrin Sotudeh, die wegen «Schädigung der nationalen Sicherheit» zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Sie hatte zweieinhalb Jahre davon im Gefängnis verbracht und auch einen lang dauernden Hungerstreik durchgemacht.
Nach den Menschenrechtsbeobachtern gibt es in Iran gegen 800 politische Gefangene. Darunter befinden sich Journalisten, Blogger, Juristen, Feministinnen, christliche Priester, sunnitische Geistliche und die gesamte iranische Führung der Bahai-Religion. In seiner Wahlkampagne hatte Rouhani versprochen, er werde für die Befreiung von politischen Gefangenen sorgen.
Rettung der Wirtschaft
Zu den Wahlversprechen des neuen Präsidenten gehörte auch, dass er die katastrophale wirtschaftliche Lage Irans verbessern werde. Er hatte erklärt, er werde versuchen, eine Lockerung des amerikanischen und europäischen Wirtschaftsboykotts durch diplomatische Mittel zu erreichen. Der Boykott ist eine der Hauptursachen der Wirtschaftsmisere. Die Hoffnung, er könne beendet oder zumindest gelockert werden, war ohne Zweifel ein wichtiger Grund für den Wahlsieg des neuen Präsidenten.
In erster Linie durch die Sanktionen sind die iranischen Erdölexporte seit 2011 um die Hälfte zurückgegangen. Die Inflation hat nach den offiziellen Aussagen 40 Prozent im Jahr erreicht. Die Arbeitslosigkeit steigt, und die iranische Währung verliert beständig an Wert gegenüber dem Dollar. Rouhani hat gute, ja dringende Gründe, wenn er eine Lockerung des Embargos anstrebt.
Auch Khamenei für Diplomatie
Er kann auch, mindestens für den Augenblick, auf Rückendeckung durch Khamenei zählen. Der Herrschende Gottesgelehrte selbst hat das Konzept von der «Flexibilität des Ringers» lanciert. Die Übersetzer haben es auch als «heroische Flexibilität» wiedergegeben, weil der Begriff «Pehlavan» auf persisch den Ringer und den Helden bedeutet. Gemeint war: die Elastizität im Ringkampf. Ringen ist ein traditioneller und beliebter Sport in Iran. Auf die Politik angewendet, bedeutet diese Flexibilität nach Khamenei, dass man nachgeben kann, und manchmal gut daran tut einzulenken, solange man das strategische Hauptziel im Auge behält.
Die potentiellen Gegenspieler Rouhanis sind die Revolutionswächter, die eine grosse Macht im iranischen Staate darstellen. Doch auch sie werden gegen seinen Versuch, einen diplomatischen Ausgleich zu erlangen, zunächst keinen Widerstand leisten. Sie hatten einst mit Ahmedinejad zusammengearbeitet. Doch in den letzten zwei Jahren sagten sie sich von ihm los und stellten sich auf die Seite Khamneis.
Zwischen dem Herrschenden Gottesgelehrten und Präsident Ahmedinejad hatte es mehrmals empfindliche Reibungen und Zusammenstösse gegeben. Nun hat Khamenei den Revolutionswächtern in einer Ansprache erklärt: «Ich bin nicht gegen Diplomatie. Ich befürworte die Flexibilität des Meisterringers. Ein Ringer kann nachgeben aus taktischen Gründen, doch er sollte im Auge behalten, wer sein Gegenspieler und Feind ist.»
Die potentiellen Kritiker des neuen Präsidenten und seines Kurses werden sich erst zu Wort melden, wenn deutlich werden sollte, dass sein Öffnungsversuch gegenüber Amerika und dem Westen dort zurückgewiesen wird oder auf Forderungen stösst, die der iranischen Führung als unerfüllbar gelten.
Das Syrien Assads ist ein wichtiger Verbündeter Irans, und die iranischen Revolutionswächter helfen als Berater und Ausbilder seinen Soldaten und Milizen im Bürgerkrieg. Iran ist auch ein wichtiger Geldgeber Assads, trotz der eigenen Wirtschaftsprobleme. Doch Rouhani betont nun, dass die Gasangriffe ein Kriegsverbrechen seien und aufhören müssten – wenn er auch nicht sagt, wem er sie zuschreibt. Er bietet sein Land als Vermittler an, um das Blutvergiessen in Syrien zu Ende zu bringen.
Abstimmung mit Putin
Bevor er nach New York kam, hat Rouhani Putin getroffen. Dies war am 13. September in Bischkek, der Hauptsatdt von Kirgistan am Rande der OCS oder Organisation für Zusammenarbeit von Shanghai, einem Sicherheitsforum, das Russsland und China mit den vier zentralasiatischen Staaten verbindet und welchem Iran als Beobachter angehört. Putin und Rouhani sollen dort in erster Linie über Syrien gesprochen haben.
Aus russischer Sicht ist eine Zusammenarbeit mit Iran und dem schiitischen Islam attraktiv, auch über Syrien hinaus. Russland hat seine wichtigsten Partner im sunnitischen Raum verloren, nämlich Saddam Hussein und Ghaddafi. Die Beziehungen zu Saudi-Arabien, das heute recht aggressiv als die Vormacht der Sunniten auftritt, sind nie gut gewesen. Die sunnitischen Islamisten im Kaukasus sind bittere Feinde Moskaus. Dies macht eine politische Achse Moskau-Damaskus-Teheran, der die Sympathien aller schiitischen Minderheiten im Nahen Osten zufallen würden, für Moskau attraktiv. Auch die Entwicklung in Afghanistan nach dem Abzug der Amerikaner ist für Moskau wichtig. Iran dort als Partner zu haben, könnte hilfreich werden.
Iran sieht sich als Vormacht am Golf
Doch Moskau möchte in einer solchen Achse natürlich die Rolle einer Vormacht spielen. Teheran jedoch auch, mindestens im Bereich des Persischen Golfs, sodass es schon des Gleichgewichts halber für Teheran wichtig wäre, auch mit Amerika wieder Beziehungen aufzunehmen. Diese sind seit 34 Jahren abgebrochen.
Mit Moskau gibt es auch einige Reibungspunkte, die nun möglicherweise behoben werden: Teheran fordert drei Milliarden Dollar Schadenersatz dafür, dass Russland, damals unter Präsident Medwedew, die versprochene Lieferung von S-300 Raketen im Zuge der atomaren Sanktionen einseitig gestrichen hat. Russland hat angeboten, Iran nun Antey-2500 zu liefern, eine verbesserte Version des S-300 Raketensystems, falls Iran seine Klage vor dem Welthandelsgericht von Genf zurückzieht.
Der Bau eines zweiten atomaren Kraftwerks, Buschehr 2, durch Russland steht nun fest. Die russische Presse schreibt, es sei ein Verlustgeschäft, das aus politischen Gründen abgeschlossen worden sei. Über Buschehr 1 hatte es bedeutende Reibereien mit Russland gegeben, bis jenes Werk fertig gestellt war.
Auch die USA «für Diplomatie»
Obama hat gewarnt, die Iraner sollten den richtigen, nicht den falschen Schluss aus den Entwicklungen in Syrien ziehen. Der falsche Schluss wäre zu glauben, dass sie ungestraft Massenvernichtungswaffen, in ihrem Fall eine Atombombe, bauen könnten, ohne mit einer effektiven amerikanischen Reaktion rechnen zu müssen. Der richtige Schluss aber wäre, zu erkennen, dass amerikanische Aktionsdrohungen zu einer diplomatischen Lösung des Streits über verbotene Waffen zu führen vermöchten. Was einer Einladung zu einer diplomatischen Lösung gleichkommt.
Alles wird jedoch davon abhängen, ob die Amerikaner ihrerseits die Flexibilität zeigen, die notwendig wäre, um zu einer Lösung zu gelangen. Bisher haben sie nicht wirklich mit Iran verhandeln, sondern eher Iran diktieren wollen. Sie erklärten bisher: Erstens wollten sie mit Iran über nichts anderes reden als über die Frage der Atomanreicherung, und zweitens müsse Iran alle Anreicherungsbestrebungen einstellen, egal, ob dies ein vertraglich zugesichertes Recht Irans sei oder nicht.
Wenn Washington weiter auf der zweiten Forderung besteht, ist zu befürchten, dass die diplomatische Offensive Rouhanis im Sande verlaufen wird. Eine volle Einstellung der Anreicherungen wird sich Iran nicht bieten lassen. Falls Rouhani Miene machte, auf derartige Forderungen einzugehen, würde er plötzlich auf heftigen Widerstand innerhalb Irans stossen. Wahrscheinlich würde dies dazu führen, dass Khamenei ihn fallen liesse.
Doch iranische und amerikanische Elastizität ist möglich in der Frage der Inspektionen. Diese zur Zufriedenheit der Fachleute der Kontrollorganisation in Wien so auszubauen, dass die Kontrollen als sicher und vollständig erklärt werden können, das wäre ein realistisches Verhandlungsziel mit Iran.
Eine derartige Übereinkunft müsste gestärkt und flankiert werden, durch weiter greifende Gespräche über die Rolle Irans in seiner nächsten geographischen Umgebung und in der internationalen Gemeinschaft. Eine Normalisierung der Beziehungen mit den USA wäre ein anzustrebendes Ziel. Die gegenwärtigen Sanktionen müssten zunächst gelockert und später im Zeichen von Übereinkünften ganz aufgehoben werden.
Saudi-Arabien und Israel werden bremsen
Es ist voraussehbar, dass weder Saudi-Arabien noch Israel eine derartige Annäherung zwischen Teheran und Washington gerne sähen. Doch es ist ebenfalls klar, dass im Falle eines Fehlschlags der gegenwärtigen Bemühungen Rouhanis die Zeichen erneut und verschärft auf Konfrontation stehen würden.
Auch hier ist Syrien eine Art von Wegweiser. Wenn Obama gute Gründe hat, keine amerikanischen Truppen oder Raketen gegen Syrien einzusetzen, gelten diese Beweggründe zweifellos um ein Vielfaches mehr für das ungleich grössere und gewichtigere Land Iran, das eine noch bedeutendere weltstrategische Stellung einnimmt als Syrien.