Sie ist 37 Jahre alt, ging in Lugano zur Schule und besitzt die Schweizer Staatsbürgerschaft. Ihre Eltern sind beide Professoren. Sie war Mitglied des Europäischen Parlaments und Vizepräsidentin der Region Emilia-Romagna. Jetzt will sie die italienische Sozialdemokratie retten. Weshalb tut sie sich das an?
«Elly» Schlein hat am Wochenende bekanntgegeben, dass sie Präsidentin der italienischen Sozialdemokraten werden will. Der «Partito Democratico» (PD), so heissen die Sozialdemokraten offiziell, befindet sich in einer Krise. Bei den Wahlen im letzten September kam die Partei noch auf 19 Prozent der Stimmen. Parteichef Enrico Letta trat daraufhin zurück. Er ist ein intelligenter Mann, der vieles richtig gemacht hat. Doch er wirkt professoral und unnahbar. Charisma hat er keines. Und Charisma ist in Italien oft wichtiger als Inhalte.
Da jetzt im Land die Rechtspopulisten regieren, angeführt von Giorgia Meloni, käme den Sozialdemokraten die Rolle zu, als eine der historischen Parteien ein wichtiges Gegengewicht zur rechten Regierungskoalition zu bilden.
«Es reicht nicht, die Parteispitze auszuwechseln»
Elly Schlein gilt als linke «Linke» und kritisiert, dass die Sozialdemokraten immer mehr in die Mitte gerückt sind. «Ich gehe wieder mit Rucksack und Notizbuch auf die Strasse, um der Basis zuzuhören», sagte sie. «Wir brauchen Mut zu Veränderung, denn es reicht nicht, die Parteispitze auszuwechseln.» Der PD müsse wieder in der Gesellschaft verankert werden, müsse wieder Kontakt zur Basis pflegen und auf die Nöte der Menschen achten. «Wir müssen entdecken und verstehen, was in den letzten Jahren schiefgelaufen ist», sagte sie. «Eine neue Geschichte beginnt mit uns.»
«Ich will mit euch zusammen Sekretärin (Parteichefin) der neuen Demokratischen Partei werden», erklärte sie im Veranstaltungszentrum Monk in Rom vor ihren Anhängern. Diese begrüssten sie mit dem Partisanenlied «Bella ciao».
Krach mit Matteo Renzi
Elly (Elena Ethel) Schlein verfügt neben der schweizerischen auch über die amerikanische und die italienische Staatsbürgerschaft. Ihr Vater ist emeritierter Professor für Internationale Beziehungen an der privaten «Franklin University Switzerland» in Sorengo bei Lugano. Die Mutter ist Italienerin und lehrte Öffentliches Recht an der Universität Insubrien (Varese, Como). Ihr Grossvater war ein aus Lemberg stammender ukrainischer Jude. Elly Schlein studierte in Bologna Jura und schloss mit einer Arbeit zum Verfassungsrecht ab.
Doch mit dem Partito Democratico tat sie sich schwer. Da sie sich mit dem damaligen Ministerpräsidenten und Parteichef Matteo Renzi zerstritt, trat sie im Juli 2015 aus der Partei aus und schloss sich der neuen Partei «Possibile» an, die links von den Sozialdemokraten politisiert. Bei der Europawahl 2019 trat sie nicht zur Wiederwahl an. Im Juni 2019 trat sie aus der Possibile-Partei aus.
Urabstimmung in Februar
Im Januar 2020 wurde sie in den Regionalrat der Emilia Romagna gewählt, und zwar auf einer Liste namens «Coraggiosa Ecologista e Progressista». Der sozialdemokratische Regionalpräsident Stefano Bonaccini ernannte sie daraufhin zu seiner Stellvertreterin.
Jetzt ist sie wieder in den sozialdemokratischen Partito Democratico eingetreten. Und sie will gleich hoch hinaus. Wie immer bei den Sozialdemokraten wird das Amt des Parteichefs in einer Urabstimmung (Primaries) vergeben. Diese findet am 19. Februar statt. Neben ihr kandidiert ihr einstiger Förderer Stefan Bonaccini und die ehemalige Infrastruktur- und Verkehrsministerin Paola De Micheli. Weitere Kandidaten könnten folgen.
Die «Kommunistin»
Die italienische Linke ist seit jeher eine Schlangengrube. Die Partei besteht aus Dutzenden Fraktionen. Die einen kämpfen für eine pointiert linke Politik, die andern für eine halblinke und wieder andere für eine gemässigt linke Politik. Und vor allem kämpfen sie alle um die Bewirtschaftung ihres eigenen unbändigen Egos. Statt Kompromisse einzugehen, lähmt sich die Partei seit Jahren selbst.
Für die italienische Rechte ist Schlein ein rotes Tuch. Die Berlusconi-Medien bezeichnen sie als «Kommunistin». Und natürlich wird betont, dass sie jüdisches Blut in sich hat und zur Zeit mit einer Frau zusammenlebt.
«Arroganter» Renzi
Um die Linke wieder zu vereinigen, müsste sie auch Matteo Renzi ins Boot holen. Doch die beiden hassen sich aufs Blut. Schlein bezeichnet Renzi als «arrogant» und «böse». Er «demütigt jeden, der eine andere Idee hat».
Renzi, der ehemalige Ministerpräsident und Parteichef, hatte den PD verlassen und eine eigene, linke Partei gegründet. Doch «Italia viva» dümpelt vor sich hin. Und Renzi zieht es zur Zeit vor, mit der Postfaschistin Giorgia Meloni zu flirten, als sich in ein linkes Projekt einzugliedern.
Ungleichheit, Klima, Armut
Drei Themen seien es, die sie in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen wolle, sagt Schlein: Die Ungleichheit in der Gesellschaft, die Klimapolitik und die Armut eines grossen Teils der Bevölkerung. «Wie kann das neoliberale Entwicklungsmodell, das sich als nicht nachhaltig erwiesen hat, geändert werden?», fragt sie. «Wir sind hier, um uns gemeinsam auf den Weg zu machen und einen Beitrag zum Wiederaufbau einer neuen PD zu leisten, die wir brauchen.»
Schleins parteiinterne Gegner haben sich noch nicht in Stellung gebracht. Die Frage, ob sie bei den Primärwahlen eine Chance hat, wird in Rom unterschiedlich beantwortet. Zu ihren Pluspunkten gehört, dass sie eine junge Frau ist.
«Rising star»?
Mit ihrem attraktiven, charismatischen, etwas frechen Auftreten kann sie punkten. Auch die Tatsache, dass sie eher eine politische Aussenseiterin ist, wird als Plus gewertet: Endlich jemand, der nicht aus dem Polit-Establishment stammt! Andererseits fehlt ihr ein Beziehungsnetz innerhalb der Partei. Ihre mehrfachen Parteiwechsel kommen auch nicht überall gut an.
Viele italienische Medien sind begeistert von ihr. Der britische Guardian bezeichnet sie als «rising star». Doch wie immer in Italien: Man ist sehr schnell hoch oben – und sehr schnell wieder unten.
Würde sie gewählt, stellte sich wohl schnell die Frage nach Allianzen. Soll der Partito Democratico mit der heterogenen Protestbewegung Cinque Stelle zusammengehen und den Rechtspopulisten Paroli bieten? Natürlich sind die einen dafür und die anderen dagegen. Zündstoff wäre da. Vor allem in der Ukraine-Politik gibt es riesige Unterschiede. Die Sozialdemokraten befürworten eine klar pro-westliche Politik à la Mario Draghi; die Cinque Stelle dagegen geben sich pazifistisch und lehnen Waffenlieferungen an die Ukraine ab.
Zusammen mit den Cinque Stelle regieren, diesem «wilden Haufen»? Das wünscht man dem ärgsten Feind nicht.