Es ist immer das Gleiche: Wenn ein Notstand verordnet werden muss, sprechen die einen von „Überreaktion“ und „Hysterie“. Sie verdrängen, wollen es nicht wahrhaben; sie reden die Krise klein, berufen sich auf obskure Informationen, zitieren profilsüchtige Wissenschaftler, kolportieren Verschwörungstheorien, schreiben irre Leserbriefe – und gehören natürlich zu den Wenigen, die wirklich Bescheid wissen. Und da gibt es jene, die immer nachher wissen, was man vorher hätte tun sollen.
In der Schweiz schnellt die Zahl der Corona-Infizierten in die Höhe. In Italien sterben täglich bis zu 700 Menschen. In Spanien und Frankreich herrscht Ausnahmezustand. In den USA beginnen die Dämme zu brechen. Die grosse Mehrheit der Wissenschaftler erklärt, dass das Schlimmste erst noch bevorstehe. Neben den gesundheitlichen Aspekten kommen besorgniserregende wirtschaftliche Prognosen. Viele Ökonomen sagen eine Rezession voraus, die schlimmer wird als 2009.
Jedoch: Ein Teil der Bevölkerung scheint noch immer nicht begriffen zu haben, in welcher Situation wir uns befinden. Für einige ist eine weltweite, teils tödliche Seuche wie diese einfach unvorstellbar. Was nicht sein darf, ist nicht. Man hat sich an die persönlichen Freiheiten gewöhnt, man will sich nicht einschränken lassen. Notrecht, Ausnahmezustand, schwerer Eingriff in die persönliche Freiheit – das gab es in der Schweiz seit dem Krieg noch nie. Man muss sich zuerst daran gewöhnen. Wir müssen lernen, was eine echte Krise ist.
Wir müssen uns bewusst werden, dass wir in einer schweren Notlage leben, wie es sie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht gab. Für die verwöhnten Schweizerinnen und Schweizer ist das hart. Wir alle müssen Einschränkungen hinnehmen, Abstriche machen, zum Teil sehr schmerzvolle.
In solch schweren Zeiten ist eine starke Führung gefragt. Jetzt ist nicht Zeit für endlose Diskussionen, für das ewige föderalistische Hin und Her, für Arbeitsgruppen und Rückkommensanträge. Jetzt muss entschieden werden.
Man kann dem Bundesrat und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) vorwerfen, die Gefahr sei am Anfang unterschätzt worden – so, wie viele Regierungen die Seuche unterschätzt haben. Doch in den letzten zehn Tagen bietet die Landesregierung ein ganz anderes Bild: Sie hat resolut die Zügel in die Hand genommen. Gefragt ist jetzt Entschlossenheit. Und jetzt tritt der Bundesrat entschlossen und geschlossen auf. Das war nicht immer ganz so.
Die Krisenkommunikation funktioniert. Der Bundesrat und das Bundesamt informieren fast täglich. Daniel Koch vom BAG steht unermüdlich für Interviews bereit. Das ist wichtig. Denn Gerüchte, Fake-News und Panik entstehen dann, wenn nicht informiert wird. Koch, der Verantwortliche für ansteckbare Krankheiten, flösst mit seiner spröden, unaufgeregten Art Vertrauen ein. Falten auf der Stirn, keine Show, keine banalen Beschwichtigungsversuche, keine falschen blumigen Worte, wie sie in solchen Fällen viele Politiker abspulen. Keine Beschönigungen, keine Panikmache, sachliche, ungeschminkte Informationen.
Bundesrat Alain Berset, der Schweizer Innen- und Gesundheitsminister, wächst über sich hinaus und hat an Statur gewonnen. Ruhig und überzeugend erklärt er die Politik und die Massnahmen der Landesregierung. Man glaubt ihm, was er sagt.
Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga, als diesjährige Landesmutter, trifft den Ton, wenn sie sich an die Bevölkerung wendet. Und selbst Ueli Maurer, der lange Zeit „kei Luscht“ hatte, drastische Massnahmen mitzutragen, macht jetzt mit – und macht viele Milliarden locker. Man glaubt den Bundesräten, dass sie echt besorgt sind und das Beste tun wollen.
Natürlich kann man an den bundesrätlichen Massnahmen dieses oder jenes kritisieren. Da und dort braucht es Korrekturen und Anpassungen. Vieles wird sich vielleicht im Nachhinein als falsch erweisen. Und natürlich soll man nicht einfach nur klatschen für das, was die Regierung macht. Man soll sich Gedanken machen und diese auch äussern. Wir leben ja nicht in einem absolutistischen Staat.
Aber: In Zeiten der Not ist es wichtig, dass man zusammensteht, dass man solidarisch ist, dass man vorerst einmal am gleichen Strick zieht: dass man auch einmal etwas unterstützt, zu dem man nicht zu 100 Prozent Ja sagen will – aber immerhin zu 70 Prozent. Wie sagte ein französischer Feldherr: Manöverkritik ist gut, aber man soll sie nicht während der Schlacht äussern, sondern nach der Schlacht. Jetzt ist es wichtig, dass wir hinter den Massnahmen der Landesregierung stehen. Wenn Zweifel gesät werden, verpuffen die Massnahmen.
Vielleicht stellt es sich im Nachhinein als falsch heraus, dass die Regierung nicht rigorose Massnahmen wie zum Beispiel in Südkorea verhängt hat. Doch offensichtlich will man das öffentliche Leben, die wirtschaftliche Tätigkeit noch nicht total einfrieren und ein umfassendes Ausgehverbot verfügen. Stattdessen appelliert man an die Selbstverantwortung der Bevölkerung. Das beginnt sich auszuzahlen. Viele Leute bleiben zuhause, viele Strassen sind leer, der Abstand wird eingehalten.
Natürlich gibt es immer Blödiane, die sich für unsterblich halten und auf die Massnahmen pfeifen. Dumm ist bei einer Seuche, dass die Blödiane nicht nur sich selbst gefährden, sondern auch die anderen.
Die Solidarität ist da: Grossverteiler schalten ganzseitige Inserate gegen Hamsterkäufe. Viele Zeitungen (auch Journal21.ch) publizieren grosse, rote Inserate „Bleibt zuhause“. Auch die meisten Kantone ziehen mit: Nur Uri und das Tessin scherten aus und wurden zurückgepfiffen. Notrecht steht über Föderalismus.
Die Eindämmung der Pandemie ist das eine. Doch der Bundesrat steht jetzt auch vor einer anderen, ebenso harten Bewährungsprobe. Diese muss er erst noch bestehen. Und wenn wir heute klatschen, hoffen wir, dass wir auch Ende Jahr klatschen können.
Wie können die wirtschaftlichen Schäden möglichst gering gehalten werden? Die ergriffenen Massnahmen sind zum Teil noch unausgegoren. Natürlich ist es störend, wenn der Coop Blumen in rauen Mengen verkauft und die Floristin im Haus nebenan den Laden schliessen und Konkurs anmelden muss. Aber solch anfängliche Unzulänglichkeiten wurden bereits teilweise behoben. Auch Themen wie Mieten, Lohnzahlungen, Kurzarbeitsentschädigung, Entschädigung für Selbstständige und viele andere werden uns wohl noch länger beschäftigen. Viele fürchten um ihre Existenz.
„Hilfe kommt“, sagte Bundesrat Guy Parmelin letzte Woche. Das 42-Milliarden-Hilfspaket wird nicht genügen. Doch Bundesrat Maurer stellte schon in Aussicht: „Wenn es weitere Hilfe braucht, sind wir bereit.“ Und doch werden Viele Abstriche machen und Einbussen hinnehmen müssen. Sicher wäre es jetzt falsch, vom Staat zu erwarten, dass er restlos alle Ausfälle kompensieren wird. Geschäftemachen beinhaltet immer auch ein Risiko. Auch vom Staat soll man nicht jedes Heil erwarten – aber zumindest eine erhebliche Linderung der Probleme.
Die Schweiz zeigt sich jetzt in dieser Krise von ihrer starken, entschlossenen Seite. Der Bundesrat macht einen überzeugenden Eindruck, ein grosser Teil der Bevölkerung hat verstanden und zieht mit. Und möglich wird das alles auch nur dank dem vorbildlichen Einsatz unserer Spitäler, unserer Spital- und Hausärzte, unserer Sanitäter, unserer Pflegerinnen und Pfleger – und auch unserer Polizei, die die unsterblichen Blödiane auseinandertreibt.