Die Bandbreite des tschechischen Komponisten reicht vom Cellokonzert, über Jazz bis zum Familienkonzert "Martinu, die tönende Biographie". Die Martinů-Festtage finden indes nicht zufällig in Basel statt. Bohuslav Martinů (1890-1959) fand nach Lebensphasen in den USA und Paris hier in seinen letzten Lebensjahren dank des Industriellen und Dirigenten Paul Sacher eine Heimat, einen Mäzen sowie jemanden, der seine Kompositionen kundig aufführte. So sagte Paul Sacher über Martinu: "Ich habe in meinem ganzen Leben keinen einfacheren, aufrichtigeren und ergreifenderen Menschen gekannt."
Bohuslav Martinu schrieb in dieser Zeit in Sachers Landhäuschen ‚Schönenberg’ bei Pratteln einige seiner bedeutendsten Werke. Er war einer der produktivsten und vielseitigsten Komponisten seiner Zeit und gilt heute als eines der eigenständigsten und schöpferischsten Talente der Avantgardisten des vergangenen Jahrhunderts; jedes seiner Werke ist von seiner ureigenen Persönlichkeit geprägt. Dabei bereicherte ihn eine Fülle von Einflüssen: Nebst seiner Liebe für tschechische und mährische Volkslieder prägten ihn der Jazz, der Klassizismus, Strawinsky, das englische Madrigal und auch der französische Impressionismus Claude Debussys, seine „grösste Offenbarung“.
Die Natur in der Musik
Der Gründer und künstlerische Leiter des Basler Festivals, der Pianist Robert Kolinsky, erklärt seine Faszination mit Martinu so: "Er hat ja so viel Verschiedenes geschrieben, und doch ist da etwas Geheimnisvolles, das immer wieder überraschend alles zusammenhält. Seine Musik wirkt frei und improvisiert. Und ist doch seriös komponiert. Doch das Beste ist, wie gut er Freude ausdrücken kann. Auch seine tragischen Werke hören mit Hoffnung auf."
Bohuslav Martinů selbst erklärte den Charakter seiner Musik durch die Umgebung, in der er aufgewachsen ist: Er erlebte die Welt aus der Perspektive des hohen Kirchturms in seiner Stadt Policka, wo er geboren wurde und seine Jugendzeit verbrachte. Er war bestrebt, dieses besondere räumliche Empfinden und die Natur, in der er war, in Musik umzusetzen. Dieses versuchte er auch seinen zahlreichen Schülern beizubringen, wie etwa in den USA dem späteren Erfolgskomponisten Burt Bacharach (‚Raindrops Keep Falling on my Head’), der Martinus Kompositionslehre hochhielt.
Langes Warten auf Anerkennung
Die diesjährigen Festtage feiern mit Jazzkonzerten, Filmvorführungen, Familienkonzerten und Neuaufführungen wiederum die Vielseitigkeit des tschechischen Komponisten und fahren in ihrer Strategie fort, seine Bedeutung zu vertiefen, indem sie weltbekannte Interpreten zu Martinu hinführen. Kolinsky: "Vor zwei Jahren hat Frank Peter Zimmermann hier das zweite Violinkonzert gespielt und nun hat er es in seinem Repertoire und spielt es weltweit. Dieses Jahr nun haben wir Helène Grimaud gewonnen, die hier seine ‚Nocturnes’ und die ‚Sept arabesques’ spielen wird. Überhaupt gewinnt Martinu immer mehr an Bedeutung. In der Tschechoslowakei wird er heute mehr gespielt als Janacek, der lange als DER tschechische Komponist gegolten hat."
Dass Bohuslav Martinus Anerkennung lange auf sich warten liess, hat sicher mit seinem nonkonformistischen Charakter, seinen konsequent gelebten politischen Überzeugungen und seinem Freiheitsdrang zu tun. So lautete sein Credo: "Der Künstler ist immer auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, seines eigenen und dessen der Menschheit, auf der Suche nach Wahrheit. Ein System der Unsicherheit ist in unseren Alltag eingedrungen. Der Druck zugunsten von Mechanisierung und Uniformität, dem das Leben unterworfen ist, bedarf des Protestes, und der Künstler hat nur ein Mittel, diesen zum Ausdruck zu bringen, und zwar mit Musik."
Nächtliche Exhumierung
Martinu und sein Heimatland hatten auch deshalb eine wechselhafte, doch durchwegs schwierige Beziehung. Nicht nur, dass er als junger Violinist vom Prager Konservatorium flog wegen ‚unkorrigierbarer Nachlässigkeit’, und später zuerst wegen seiner Aktivität in der ‚Résistance’ im 2. Weltkrieg verfolgt wurde, nach Südfrankreich floh und danach des kommunistischen Regimes wegen im Ausland blieb. Auch nach seinem Tod hörte das Gerangel nicht auf. 1979 übte die Schweiz durch Dr. Hans Rudolf Meyer, den Leiter der internationalen Festwochen Luzern, auf die tschechischen Behörden Druck aus, den Schriftsteller Pavel Kohout für die Uraufführung seines Stückes ‚Roulette’, das er im Auftrag des Luzerners geschrieben hatte, ausreisen zu lassen.
Sonst, so Originalton Meyer, "werde gar nie mehr etwas Tschechisches in der Schweiz aufgeführt werden". Darauf antwortete Prag mit der Forderung, die am 2. September 1959 in Frenkendorf begrabenen Gebeine Marinus an seinen Geburtsort überführen zu können. Der Deal kam zustande und wurde als filmreifes Szenario durchgespielt. Der tschechische Geheimdienst grub nachts unter wachsamen Schweizer Augen Bohuslav Martinus` seit 20 Jahren in Frankendorf ruhenden Gebeine aus. Leider hatten die Agenten einen zu kurzen Sarg bei sich. Nach einigem Quetschen und Zerren wurde das Brechen der Knochen anvisiert, gegen das Dr. Meyer vehement opponierte.
Ihm gelang es schliesslich zu mittelnächtlicher Stunde, einen Bestatter nebst passendem Sarg zu besorgen, in dem die sterblichen Überreste des Komponisten dann eiligst und höchst unzeremoniell abtransportiert wurden. In seiner Heimatstadt Policka wurde Bohuslav Martinu dann mit den gebührenden Ehren eines Staatsbegräbnisses, in Anwesenheit der Schweizer Delegation, beigesetzt.
Allerdings hatte diese Beisetzung schliesslich für Basel eine negative Konsequenz: Die Rechte an Martinus Musik, ursprünglich vertraglich der Martinu-Stiftung unter der Aufsicht Paul Sachers gehörend, wurden durch eine Testamentsänderung der Witwe zur Hälfte dem Tschechischen Musikfonds vermacht. Offenbar wollte sie die Behörden damit günstig stimmen, um sicher zu sein, neben ihrem Gatten begraben werden zu können.