„Ein Ort, nah am Ende der Welt“ nennt die iranische Bürgerrechtsaktivistin Sepideh Qolian den Frauentrakt des Zentralgefängnis in der Stadt Bushehr im Süden des Iran. In vierzehn Tweets beschreibt sie eindrücklich, was Frauen „in der vergessenen Hölle“ ertragen müssen.
Qolian war wegen ihrer Teilnahme an Protestaktionen von Arbeitern und der Aufklärung über staatliche Schikanen gegen die Beschäftigten der Zuckerfabrik Haft-Tapeh selbst zu einer fünfjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Im Juni letzten Jahres trat die 27-Jährige ihre Haft im Teheraner Evin-Gefängnis an, im März 2021 wurde sie ins Bushehr-Gefängnis am Persischen Golf verlegt – eine Strafmassnahme für besonders unliebsame Gefangene.
„Als ich in dieses Gefängnis strafversetzt wurde, wusste ich, dass ich in eine vergessene Hölle gehe“, schreibt Qolian in ihrem ersten Tweet. Doch die Grausamkeit dort habe ihre Vorstellungskraft noch weit übertroffen.
Sie habe die Verantwortlichen auf unterschiedlichen Wegen über die unmenschlichen Bedingungen in dem Gefängnis informiert, doch niemand habe darauf reagiert. Deshalb schreibe sie jetzt auf Twitter über das Grauen im Bushehr-Gefängnis „für all jene, die gegenüber der Gewalt nicht gleichgültig sind“. Qolian ist sich der Konsequenzen, die ihr Bericht für sie haben wird, bewusst. Dennoch nutzt sie einen Hafturlaub, der ihr wegen einer Covid19-Erkrankung gewährt wurde, um über Leid und Schmerzen der Frauen in einem Gefängnis der Islamischen Republik zu berichten.
Misshandlung eines Kindes
Die Bürgerrechtsaktivistin schreibt von einer afghanischen Frau, die mit ihrem kleinen Sohn im Gefängnis ist und zusehen muss, wie dieses misshandelt wird. Der Junge bleibt nachts lange wach und soll durch sein vorgetäuschtes Begräbnis zum früheren Einschlafen gezwungen werden: „Er steht in ein weisses Leichentuch gehüllt mitten im Hof. Man will ihm damit Angst einjagen, damit er in der Nacht früher einschläft!“
Der Kinderrechtsaktivist Hamed Farmand twitterte dazu, nach seinen Recherchen sei dies keine Ausnahme: In vielen iranischen Gefängnissen würden Kinder von Gefangenen misshandelt.
Bestrafung mit Mineralwasser und Milch
Laut Sepideh Qolian sind im Bushehr-Gefängnis die Duschzeiten festgelegt. Wer ausserhalb dieser Zeit das Bad benutzt, wird bestraft. Sie hat eine solche Bestrafung miterlebt: „Sahar steht nackt auf dem Hof und wird mit Mineralwasser und Milch ‚gereinigt‘. Alle Gefangenen müssen zusehen und Sahar ausbuhen. Wer nicht hinschaut, dem wird das Recht auf Telefonate entzogen.“
Sexuelle Dienste
In einem anderen Tweet beschreibt Qolian, wie manche Frauen zur Erbringung von sexuellen Diensten Wärtern und männlichen Gefangenen überlassen werden. Es seien Frauen, die keine finanzielle Unterstützung von aussen bekämen und sich deshalb prostituierten. Dafür nutze man die „Zeitehe“, eine islamisch legitimierte Art der Prostitution.
Im letzten ihrer 14 Tweets schreibt Qolian: „Im Kerker von Bushehr ist Ungehorsam den unmenschlichen Befehlen der Gefängnisleitung gegenüber gleichbedeutend damit, in diesem Fegefeuer, das weder eine Aussenstimme noch ein Gesicht hat, noch mehr erdrückt zu werden.“
Kein Einzelfall
Die grausame Behandlung Gefangener im Iran ist nicht auf das Bushehr-Gefängnis begrenzt. Kürzlich hackte eine Hackergruppe namens Edalat Ali die Überwachungskameras des Teheraner Evin-Gefängnisses. Sie stellte ihre Beute ins Netz und führte der Weltöffentlichkeit vor, wie brutal es im berühmtesten Gefängnis der Islamischen Republik zugeht – den Videobeitrag darüber können Sie hier sehen. In einer ersten offiziellen Stellungnahme zu diesen Bildern behauptete Irans stellvertretender Justizchef Mohammad Mossadegh zunächst, das Video sei gefälscht: Viele der Bilder stammten gar nicht aus dem Evin-Gefängnis.
Erst nach weltweiter Empörung liess die Justizbehörde den Fall untersuchen. Nach drei Tagen gab sie bekannt, dass zwei Gefängniswärter verhaftet worden seien und sechs weiteren der Prozess gemacht werde.
Mohammad Nourizad, ein erbitterter Kritiker des islamischen Regimes, erklärte in einer Videobotschaft, dass in vielen iranischen Gefängnissen ähnliche Zustände herrschten. Nourizad wird seit Jahren immer wieder verhaftet und hat einige Gefängnisse persönlich kennengelernt.
Übernahme mit freundlicher Genehmigung vom Iran Journal